„Wir sehen in China noch großes Potenzial, weil es dort viele Megastädte gibt“: Trotz der schwächelnden Konjunktur bleibt Smart-Chefin Annette Winkler bei China optimistisch. Foto: dpa

Morgens um halb sechs ist sie noch um den Bodensee gerannt, nachmittags stellt sie in Valencia das neue Cabrio vor: Smart-Chefin Annette Winkler ist ein Energiebündel und meist gut gelaunt. Nur ein paar Fragen nerven sie auch.

Frau Winkler, Sie gelten als aussichtsreiche Kandidatin für einen Vorstandsposten im Daimler-Konzern. Welches Ressort würde Sie dort denn besonders interessieren?
Mich interessiert es, Chefin von Smart zu bleiben.
Hat überhaupt schon mal jemand gefragt, ob Sie sich einen Wechsel vorstellen könnten?
Ich denke über absolut nichts anderes nach als über Smart, und es gibt keine Aufgabe im Konzern, die mich mehr reizen würde.
Sie haben ja auch ein gutes Jahr hinter sich gebracht, in dem Sie fast 120 000 Smart verkauft haben. Geht das dieses Jahr so weiter?
Wir gehen von einem weiteren Wachstum aus. Wir denken, unser neues Smart Fortwo Cabrio, das die Kunden seit Dezember bestellen und ab Mitte März bei den Händlern Probe fahren können, wird das Wachstum weiter beflügeln.
Inwiefern?
Das Vorgängermodell hat pro Jahr durchschnittlich 15 Prozent vom Absatzvolumen ausgemacht, und wir hoffen natürlich, dass wir daran mit dem neuen Cabrio anschließen werden.
Als Absatzmarkt wird für Sie auch China immer wichtiger. Wie hat sich der Markt für Sie 2015 entwickelt?
Es stimmt, dass wir in den vergangenen Jahren in China eine schöne Wachstumskurve hatten. 2015 allerdings war das Jahr, in dem dort das Vorgängermodell ausgelaufen ist – das macht sich natürlich beim Absatz bemerkbar. Trotzdem konnten wir dort nach 17 800 Fahrzeugen in 2014 im vergangenen Jahr noch 13 100 verkaufen. Dieses Jahr bieten wir das neue Modell an, sukzessive kommen zusätzliche Motorisierungen dazu. Außerdem kommt im Frühjahr der Smart Forfour auf den chinesischen Markt und im Sommer das neue Cabrio. Insofern erwarten wir dort eine neue Dynamik.
Dabei schwächelt die chinesische Wirtschaft gerade ziemlich.
Mit Blick auf China und den chinesischen Automobilmarkt sind wir weiterhin wie Mercedes-Benz optimistisch. Wir sehen in China noch großes Potenzial, weil es dort viele Megastädte gibt. Insbesondere in Ballungsräumen wie Peking oder Schanghai haben wir mit Smart weltweit das stärkste Wachstum zu verzeichnen.
Was verwunderlich ist, weil der chinesische Premiumkunde doch eher dafür bekannt ist, dass er gern große Autos kauft mit langem Radstand, weil er es gewohnt ist, dass ein Chauffeur ihn fährt.
Tatsächlich war der Smart in China direkt nach der Markteinführung in 2009 zunächst eher schwach unterwegs. Für uns bestand die Herausforderung darin, dass die Menschen im Smart nicht nur das nette, funktionale superpraktische Stadtauto sehen, sondern ihnen nahezubringen, dass es hier um ein Stück Lebenshaltung geht. Inzwischen wird der Smart in China insbesondere von Architekten, Künstlern und Designern gekauft, die sagen, sie wollen zwar eine Premiummarke fahren, aber eben nicht das, was alle haben.
Das heißt, der Smart hat in China ein ganz anderes Image als in Deutschland, wo er doch eher als praktisches Stadtauto gilt?
Das würde ich nicht sagen. Ich denke schon, dass es uns gelungen ist, den Smart auch in Europa als Lifestyle- und Premiumprodukt zu positionieren. Nicht umsonst haben wir in Europa 2015 ein Absatzplus von rund 73 Prozent erzielt. Weltweit war es ein Plus von rund 33 Prozent.
Wie groß ist der Anteil Chinas am Gesamtabsatz?
Der Anteil lag 2014 bei rund 20 Prozent. Die Stadt mit der weltweit höchsten Smart-Dichte ist übrigens Rom, und Italien ist derzeit nach Deutschland der wichtigste Absatzmarkt für Smart.
Autoexperten sagen, dass Sie 200 000 Fahrzeuge im Jahr absetzen müssten, damit Daimler bei Smart nicht draufzahlt. Wann ist es soweit?
Wir tragen mit Smart bereits heute positiv zum Ergebnis bei. Und ich will nochmals betonen: Wir verkaufen dieses Auto als Premiumprodukt. Das heißt, wir werden nicht um jeden Preis Volumen generieren.
Wenn die Zahlen so gut aussehen: Warum war es dann nötig, im Werk im französischen Hambach die Arbeitszeit um vier Stunden anzuheben – zwei davon ohne Lohnausgleich?
Hambach steht als Produktionsstandort im weltweiten Wettbewerb. Mit dem „Pacte 2020“ verbessert das Werk seine Wettbewerbsfähigkeit und sichert die Beschäftigung der Kernbelegschaft am Standort. Eine der Maßnahmen ist, dass wir die Arbeitszeit von 35 auf 39 Stunden erhöhen. Im Gegenzug erhalten die Mitarbeiter sechs Prozent mehr Geld und eine Beschäftigungssicherung bis 2020. Für das Werk ergibt sich eine Senkung der Arbeitskosten. Die Zustimmung zum Pacte ist außerordentlich hoch. So haben 97 Prozent der Beschäftigten freiwillig die Einzelverträge unterschrieben, die diese Regelung beinhaltet. Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft und ihren Beitrag.
Smart ist ja auch interessant für neue Mobilitätskonzepte wie Car2go. Inwiefern profitieren Sie davon?
Auf der einen Seite ist Car2go mit fast 14 000 Fahrzeugen in der Flotte unser größter Einzelkunde. Bislang gibt es Car2go an rund 30 Standorten. Und wir sehen in dem Bereich noch Potenzial, da Car2go weitere Städte erschließt. Das wird besonders spannend, wenn Car2go seine Dienstleistung auch in China anbietet. Jede Fahrt mit Car2go ist außerdem eine Probefahrt. Dadurch erreichen wir auch Menschen, die sonst nie mit dem Gedanken gespielt hätten, einen Smart zu kaufen. Die anfänglichen Befürchtungen, dass wir uns mit diesem Konzept selbst kannibalisieren, sind also nicht eingetreten. Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch auch der Absatz von E-Smarts zusätzlichen Schwung bekommt. Viele Städte haben Interesse daran, dass Car2go bei ihnen mit E-Fahrzeugen angeboten wird.
Ende dieses Jahres kommt der Fortwo mit Elektroantrieb und Anfang 2017 der Forfour. Gehen Sie davon aus, dass diese Modelle eine größere Akzeptanz finden werden als die Vorgänger?
Also zunächst mal haben wir mit den Vorgängerversionen in Deutschland dreimal hintereinander die Marktführerschaft gehabt unter den Vollelektrischen . . .
. . . aber auf niedrigem Niveau.
Ja, das stimmt. Ob der Gesamtmarkt für Elektrofahrzeuge wächst, wird schlicht und ergreifend davon abhängen, ob den Kunden zusätzliche Anreize geboten werden. Das fängt bei den kostenlosen Parkplätzen für E-Fahrzeuge in den Innenstädten an, geht über Sonderabschreibungen für gewerblich genutzte E-Fahrzeuge bis hin zu Kaufprämien für Privatkunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die E-Mobilität in den Städten langfristig durchsetzen wird. Aber wenn man den Prozess beschleunigen will, wird man nicht umhinkommen, die Kunden finanziell zu unterstützen. Denn natürlich ist E-Mobilität immer noch mit einem ziemlichen Aufpreis verbunden.
Aufgrund des Abgasskandals bei VW hat die Diskussion um Emissionen noch mal eine ganz neue Dimension bekommen. Hilft Ihnen das beim Verkauf der E-Smarts?
Unter den Smart-Kunden herrscht schon immer ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Die aktuellen Ereignisse verstärken eine Diskussion, die ohnehin schon lange geführt wird.
Sind Ihre Kunden vornehmlich grün denkende Menschen?
Unsere Kunden sind Menschen, die lebensfroh und optimistisch sind. Mit einer besonders offenen Weltsicht. Natürlich nehmen solche Menschen gerade auch Umweltthemen besonders ernst.
Ihre Modelle tauchen auch regelmäßig bei den Rankings der beliebtesten Frauenautos auf.
Der Anteil weiblicher Kunden liegt ungefähr bei 50 Prozent.
Welche Tipps können Sie den Leuten von Mercedes geben, die derzeit auch versuchen, Frauen als Zielgruppe stärker anzusprechen?
Smart ist nicht einfach nur ein Auto, sondern eine Lebenshaltung. Ein Smart ist ein klassenloses Premiumprodukt, mit dem man zur Oper genauso gut fahren kann wie zur Uni. Und das ist schon ziemlich einzigartig.
Hat Ihr Chef Dieter Zetsche recht, wenn er sagt, dass Frauen das nächste China sind?
Mein Chef hat immer recht (lacht). Im Ernst: Unsere Gesellschaft ist von immer mehr jungen, gut ausgebildeten, selbstbewussten Frauen geprägt. Und natürlich bestimmen Frauen immer mehr, welche Autos gekauft werden, und sind daher eine interessante Zielgruppe.
Ist es richtig, dass Smart das Konzernziel, dass die Frauenquote in der Führungsebene bis 2020 bei 20 Prozent liegen soll, schon jetzt erreicht hat?
Wir haben bei Smart sehr viele engagierte und talentierte Kolleginnen und sind daher auf einem sehr guten Weg, unser Ziel zu erreichen. Das gilt übrigens auch für die Daimler AG, der Anteil liegt inzwischen bei mehr als 15 Prozent und damit voll im Plan.