Peter Sloterdijk Foto: dpa

"Rosenstein - Wir gestalten unsere Stadt von morgen": Philosoph Peter Sloterdijk zu Gast.

Stuttgart - Es ist ein Sirren und Schwirren an diesem Dienstagabend - vor wie im Stuttgarter Rathaus. Das aufgeregte Sein hat seinen Grund: Peter Sloterdijk soll sprechen - über das Thema "Die Bauherren der Stadt. Stichworte zur urbanen Anthropologie". Das weckt offenkundig hohe Erwartungen.

Der Große Sitzungssaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, und auch auf der Tribüne hoch oben ist kein Stuhl mehr frei. Das Interesse ist enorm - und hat doch einen Haken, den Peter Sloterdijk später noch kurz, aber doch vernehmbar streifen wird. Studierende aus der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, der Sloterdijk seit 2001 vorsteht, sind gekommen, können aber über den hohen Altersdurchschnitt im Saal und auf der Tribüne nicht hinwegtäuschen. "Verstehe ich gar nicht", sagt eine der Sloterdijk-Studentinnen später. Aber sie versteht noch mehr nicht. Über das Modell der Planungen für das Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 im Erdgeschoss des Stuttgarter Rathauses gebeugt, sagt sie: "Wahnsinn, was hier alles geht. Dabei soll doch in Stuttgart alles so eng sein." Und sie fragt: "Wo sind denn jetzt die Gleise, von denen immer die Rede ist?" "Hier überall sind jetzt Gleise", antwortet ein Studienkollege. "Wie? Das alles, bis mitten in die Stadt? Und da wehren sich welche dagegen, dass das ein Ende hat? Verstehe ich nicht."

Eine Randnotiz nur, aber doch auch ein Hinweis darauf, wie groß der Informationsbedarf in Stuttgart selbst wie auch im ganzen Land noch immer ist. Hier setzt die Veranstaltungsreihe "Rosenstein" der Stadt Stuttgart an. Um strukturelle Fragen ging es bisher, um die Frage auch, wie andere Städte sich weiterentwickeln. Und zuletzt um die in Heiner Geißlers von den Stuttgart-21-Projektpartnern wie von den offiziellen Projektgegnern anerkannten Schlichterspruch formulierte Anforderung, die Grundstücke für das künftige Quartier Rosenstein in eine Stiftung einzubringen. Aktueller Stand hier: Die Grundstücke könnten in einen als Eigenbetrieb geführten Rosenstein-Fonds eingebracht werden, eine öffentlich-rechtliche Stiftung Rosenstein wäre parallel Motor der Bürgerbeteiligung.

Wie aber erleben Menschen überhaupt das Gebilde Stadt? Eine Frage für Peter Sloterdijk. Erwartungsgemäß skizziert er den Mensch als ein Wesen, das im Grunde ständig auf der Flucht ist und sich entsprechend nach Ruhe sehnt. Die Voraussetzung: Die Ruhe ist geschützt. Sloterdijk, 2009 mit dem Preis für Architekturkritik des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet, sieht den Versuch des Menschen, sich in der Welt heimisch zu machen, folglich unmittelbar mit der Frage verknüpft, wie man auf die "Autorität des vollendeten Werks" reagieren kann, als das der "Mensch als Spätankömmling" Welt grundsätzlich erlebt.

Was wir anstreben, ist nach Sloterdijk eine "Grammatik der Raumentwicklung" - und so skizziert er eine Ausgangslage, in der die Natur den Menschen als Bauherren "instrumentalisiert". "In Vertretung der Natur ist der Mensch der nachgeordnete Bauherr", formuliert Sloterdijk - und benennt "fünf Bauherren".

"Für die Einführung einer Rucksacksteuer"

Er beginnt mit dem "Homo nocturnus", dem Menschen der Nacht. Der gebaute Raum und in der Folge die Stadt verspricht ihm eine "Humanisierung der Nacht", und aus dem "immunitären Imperativ" ergibt sich der Bau "gesicherter Schlafstätten, Häuser, Dörfer." Sloterdijks Folgerung: "Städte sind gebaute Immunsysteme". Einen Beweis für die fast mythische Überhöhung der nächtlichen Sicherheit sieht Sloterdijk in der Bedeutung von Rembrandts Gemälde "Nachtwache" von 1652. Die Umdeutung eines Bürgerwehr-Porträts in die den dunklen Farbtönen geschuldete "Nachtwache" ist nach Sloterdijk Teil des Versuchs, sich während der "organisch bedingten Weltfremdheit" des Schlafes zumindest sicher zu fühlen. Die "Stadt als Nachtruheraum für individualisierte Populationen" sieht Sloterdijk denn auch als "primären architektonischen Imperativ".

Als zweites ruft Peter Sloterdijk den "Homo mercator" auf, den Mensch des Handels. Der wache Mensch erscheint in dieser Rolle als "mangelgetriebener Dämon", der dem Eros des Habenwollens erliegt. Die Stadt antwortet darauf mit "Knotenpunkten der Verführung". Der Lockruf als "Ort, der ganz auf Arbeitsteilung beruht", heiße, so Sloterdijk weiter, "du sollst dich von anderen abhängig machen". "Die neuen Städte", fügt er hinzu, "sind erotische Konstrukte" - dem Umstand geschuldet, dass die Menschen "in der Stadt Bereicherung suchen".

Der "Homo politicus", nimmt eine andere Richtung. Wobei Sloterdijk den politischen Menschen als jemand sieht, der aus einer Gemeinschaft hervortritt und dieser etwas gibt. "Urbane Großzügigkeit beginnt mit dem Sich-aussetzen", sagt Sloterdijk und benennt die drohende Gegenfrage: "Was fehlt ihm bloß, dass er das nötig hat?" Sloterdijk schließt diesen Gedanken mit einem kritischen Blick auf die "Massendemokratie", die das Heraustreten zum bloßen athletischen Spiel mache.

Als "engen Verwandten des Homo nocturnus" sieht Sloterdijk den "Homo restaurandus", das "pausenabhängige Wesen". "Der Mensch kommt periodisch aus der Form", sagt Sloterdijk - und folgert: "Architekten sollen Menschen akzeptieren als das Tier, das Pause macht." Folgerichtig ist ihm die Stadt ein "Netzwerk von Reparaturbetrieben", und da ist der Weg von der Restaurierung zum Restaurant nur kurz. "Kaum aufgestanden, leiden wir schon wieder an einem Schwächeanfall", lässt Sloterdijk die Besucher schmunzeln. Die Antwort? "Paris bietet ein unendliches Netzwerk von Cafés und Bistros. An jeder Ecke wird man wieder hergestellt." "Ein tragischer Irrtum" sei es denn auch, wenn sich die Menschen "mit bordeigenen Mitteln in Form halten wollen". Eine Tendenz, die "Städte in Campingplätze verwandelt." Sloterdijks Votum: "Ich wäre für die Einführung einer Rucksacksteuer."

Der fünfte Bauherr im Menschenbund ist für Sloterdijk der "Homo ludens", der aus der "Verlegenheit des Wohlstands" geborene spielende Mensch. Das "steinzeitliche Spiel vor der Diktatur von Not und Sorge" sei, so sieht es Sloterdijk, mit der Entwicklung des Bürgertums wieder möglich geworden. Doch Vorsicht, der spielende Mensch kann sowohl "Einheimischer" als auch "Gast" sein. Sloterdijk: "Der Spaziergänger verhält sich vor Ort so, als komme er nur zufällig vorbei, der Tourist fühlt sich für die Stadt nicht verantwortlich". Das Fazit? "Die Stadt der Zukunft muss den Widerspruch tragen." Auch mit dem Risiko, dass die Unterhaltung den Sinn verdrängt. "Der Homo ludens", sagt Sloterdijk, "nimmt die Hintergrundkulisse wahr" und ist als Tourist "ein leichtfüßiger Verwandter des Homo mercator". Da sich aber auch ein Gutteil der Einheimischen als Touristen gebärden, gilt nach Sloterdijk: "Der Homo ludens ist einer der wichtigsten Bauherren."

Was aus all dem folgt? Peter Sloterdijk lächelt. Die Natur, unsere Natur verführt uns offenbar, unsere Bauherrentätigkeit als einheitlich zu sehen, was sie indes nicht sein kann. Als Fluchttier lässt sich der doch so auf Schutz bedachte Mensch offenbar am liebsten selbstgefährdend alle Türen offen.