Als ARD-Experte ist Sven Hannawald dem Skispringen auch heute noch sehr verbunden. Foto: dpa/Henning Kaiser

Der ehemalige Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald erklärt im Interview, warum der Bayer Markus Eisenbichler so stark ist.

Stuttgart - Beim Saisonauftakt in Wisla hat Markus Eisenbichler vor seinem deutschen Teamkollegen Karl Geiger gesiegt. Folgt am Wochenende im finnischen Ruka Eisenbichlers nächster Streich? Sven Hannawald kann es sich sehr gut vorstellen. Für ihn ist der Bayer in diesem Winter der klare Topmann.

Herr Hannawald, wir müssen über Markus Eisenbichler reden. Ist er nicht der imposanteste Spätzünder der Branche?

Ich glaube, dass er im einen oder anderen Jahr schon sehr gute Voraussetzungen gehabt hätte, aber irgendetwas hat nicht ganz zum Gesamtpaket gepasst. Als ich früher schon den damaligen Bundestrainer Werner Schuster fragte, wer bei einem Lehrgang der Beste war, kam er mir schon lächelnd entgegen. Da wusste ich: Es war Eisenbichler.

Erfolgreich waren dann aber andere.

Ja, bei ihm war immer was im Weg. Vielleicht hat mal der erste Sprung nicht geklappt. Das wollte Markus dann auf Biegen und Brechen wieder aufholen. Allerdings war dann das komplette Wochenende im Eimer, weil er sich komplett ruiniert hat mit seinem unbedingten Willen und Ehrgeiz. Es war schon vor der WM 2019 in Seefeld so, dass er in einzelnen Sprüngen vorne war, es dann aber nicht in den Wettkampf gebracht hat. Gut, kann man schon mal so machen, dass man keinen Weltcup gewonnen hat und dann Weltmeister wird. Er hatte es aber verdient, weil er eigentlich schon drei oder vier Weltcupsiege hätte haben müssen.

Es geht ihm an die Nieren

Wäre Eisenbichler Tennisspieler geworden, hätte er wohl einige Schläger zertrümmert. Er kann ganz schön aus der Haut fahren.

Ich glaube, dass er deshalb in gewissen Situationen so durchdreht, weil er weiß, dass er es draufhätte, aber nicht so hinkriegt. Solch ein Verhalten spiegelt ja auch den Perfektionisten in ihm wider, ich kenne das ja auch ein bisschen von mir. Wenn man weiß, man ist schlecht, dann springt man mit und fährt wieder nach Hause. Aber wenn man weiß, dass man es kann, aber nicht hinbekommt, dann geht das Typen wie Markus an die Nieren. Dementsprechend muss dann hin und wieder auch was raus.

Ist Eisenbichler inzwischen cooler geworden?

Wenn man ihm gegenüber steht, sieht man ihm nicht an, dass er angespannt ist. Er wirkt in sich gekehrt und ruhig. Der Junge hat seine Hausaufgaben gemacht und weiß, was er zu tun hat. Für mich ist Markus in dieser Saison der Favorit schlechthin.

Was macht ihn eigentlich so stark?

Er passt in das Schema eines perfekten Skispringers. Er ist nicht zu groß und nicht zu klein. Karl Geiger etwa ist größer. Mit seiner Größe kann er viel gewinnen – aber auch viel verlieren, weil man als großer Springer eine größere Angriffsfläche für den Wind bietet und mehr Luftwiderstand hat. Früher hatte Markus beim Absprung vom Tisch bis zum Übergang in die Flugphase oft eine kleine Ecke drin, die viel zerstört hat. Doch mit der Zeit hat er durch seine vielen guten Sprünge das Vertrauen, seinen Sprung laufen zu lassen.

Der stabilste Springer

Und er liegt dann ohnehin wie ein Brett in der Luft?

So kann man es sagen. Er ist in der Flugphase der stabilste Springer. Viele andere müssen schauen, dass sie irgendwie gerade bleiben. Den Übergang vom Absprung in den Flug gestaltet er zurzeit so, dass die anderen sagen: Wow, was macht denn der Eisenbichler da? Ehe die anderen Springer da hinterherkommen, kann schon mal eine halbe Saison vorbei sein.

Wer wird sein größter Konkurrent sein in diesem Corona-Winter?

Ich würde mich fast so weit rauslehnen und sagen: Sein größter Konkurrent ist er selber. Was er in den Einzelsprüngen an den Tag legt – holla die Waldfee!

Welche Rolle spielt Eisenbichler im Team?

Jeder hat so seine Macken in so einer Mannschaft, das war bei uns genauso. Bei Markus wissen die Kollegen: Wenn er ein bisschen unzufrieden ist, lässt man ihn lieber in Ruhe. Ansonsten ist er derjenige, der Streiche im Hinterkopf hat. Aber auf der anderen Seite ist er auch sehr zurückhaltend.

Immer wieder Führungswechsel

Andreas Wellinger hat Verletzungsprobleme gehabt, auch Severin Freund. Es ist erstaunlich, dass dann immer wieder andere deutsche Skispringer nach vorne preschen können wie Eisenbichler oder Geiger.

Das hat auch damit zu tun, dass die, die hintendran mit den Hufen scharren, mit Gewalt immer besser sein wollen – das führt aber nicht zu der Lockerheit, die nötig ist, um tatsächlich besser zu springen. Wenn die Spitze dann aber ausfällt, gibt es weniger Konkurrenz – dann werden auch die anderen gelassener, ruhiger und springen plötzlich viel besser. Als sich Severin Freund erstmals am Kreuzband verletzt hatte, lief es komischerweise bei Andreas Wellinger und Richard Freitag prächtig.

Kennen Sie das auch aus Ihrer aktiven Zeit?

O ja. Wenn es bei Martin Schmitt und mir mal nicht so gut funktionierte, dann war Michael Uhrmann zur Stelle.