Richard Freitag unterstreicht mit den Plätzen eins und fünf in Engelberg seine gute Form Foto: dpa

Richard Freitag hat sein Olympia-Pech, Motivationslöcher und Krankheit abgehakt – in Engelberg glänzt er als bester deutscher Skispringer. Es hätte aber auch ganz anders kommen können.

Engelberg - Nach dem zweiten Springen in Engelberg herrschte hektische Aufbruchstimmung. Alle wollten so schnell wie möglich nach Hause. Selbst die obligatorischen Interviews absolvierten sie im Vorbeigehen. Auf dem Plan steht jetzt erst einmal Weihnachten bei der Familie, möglichst viele Kräfte sammeln vor der Vierschanzentournee, die am Samstag mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt. Die deutschen Springer Severin Freund, Marinus Kraus und Andreas Wank nahmen noch einen Umweg über Baden-Baden. Als Team-Olympiasieger durften sie bei der Proklamation zum „Sportler des Jahres“ nicht fehlen. Im Kurhaus trafen sie auch wieder ihren Kollegen Andreas Wellinger, der sich bei einem Sturz in Ruka das Schlüsselbein gebrochen hatte.

Den Abstecher in die Kurstadt hätte Richard Freitag auch gerne mitgemacht. Doch in drei internen Ausscheidungsspringen bei den Olympischen Spielen in Sotschi war er dreimal Wank unterlegen – also musste der Springer vom SC Hinterzarten zuschauen, wie seine Teamkollegen Gold holten. „Es war zwar ein Segen für die Jungs“, hat er im Sommer gesagt, „aber für mich ist es natürlich ärgerlich gewesen, ich musste einiges bei mir hinterfragen.“ Dass Richard Freitag diesen Rückschlag überwunden hat, zeigte er am Wochenende. In Engelberg gewann er sein viertes Weltcupspringen, am Sonntag ließ er Platz fünf folgen. Wobei seine Freude an beiden Tagen sehr verhalten ausfiel. „Das Wochenende war in Ordnung, es geht nicht nur ums Gewinnen“, philosophierte er, „es geht darum gut Ski zu springen.“ Eine Lehre des schwierigen Jahres 2014.

Denn noch vor zwei Wochen waren dem 23-Jährigen aus dem Erzgebirge keine guten Sprünge gelungen. Zimmerkollege Freund wusste die Erklärung: „In Lillehammer hat er nicht gut ausgeschaut, weil er körperlich nicht so gut dabei war.“ Ein grippaler Infekt hatte ihn geschwächt. Bundestrainer Werner Schuster verordnete ihm eine Pause. Nach auskurierter Krankheit intensivierte Freitag wieder das Krafttraining und konsultierte den Teampsychologen. Und kam gestärkt zurück. „Wir haben alles auf eine Karte gesetzt“, erklärte Coach Schuster am Samstagabend, „es gab nur eines: hopp oder top.“ Freitag wählte die positive Variante. Nach zwei Wochen Sprungpause kam ihm auch die Charakteristik der Titlisschanze zugute. Diese Naturschanze verfügt über einen besonderen Anlauf, mit dem nicht alle Springer zurecht kommen. Freitag dagegen schon.

Im Frühjahr hatte der schlanke Mann mit den schwarzen Haaren ans Aufhören gedacht. Doch bei einem US-Urlaub mit Abstecher nach Salt Lake City, der Olympiastadt von 2002, spürte er ein Kribbeln. „In Leistungssport kann es auch mal bescheiden laufen.“ In der Folge veränderte er seine Sichtweise und die Herangehensweise. Weil sich ein Medizinstudium mit dem Springen nicht vereinbar ist, begann er in Chemnitz eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Der Berufswunsch Arzt bleibt jedoch. „Das war der notwendige Befreiungsschlag“, urteilte Bundestrainer Schuster nach dem Erfolg. Sorgen, dass sich sein Springer im Vorfeld der Vierschanzentournee Illusionen hingeben wird, macht er sich keine. „Nein, Ritschi grübelt jetzt nicht.“ Denn mit seiner neuen Einstellung wird er auch die Ergebnisse von Engelberg richtig einordnen.

Und was war mit Severin Freund? Der Zweite der Weltcupwertung ist kein Freund der Schanze in Engelberg. Aber Platz sieben und zehn zeigen, dass sich der Rastbüchler mit ihr arrangiert. Und richtig spannend wird’s sowieso erst am Sonntag, beim Tourneeauftakt. Die Schanze in Oberstdorf mag er. Und Richard Freitag mag sie auch.