Ein Bild aus der Vergangenheit: Viktoria Rebensburg schwingt ab. Foto: imago//Frank Hoermann

Nach zahlreichen Rücktritten schickt der DSV unerfahrene Skifahrer zum alpinen Saisonauftakt nach Österreich

Stuttgart - Am 4. Oktober hatte Viktoria Rebensburg Geburtstag. 31 Jahre alt ist sie geworden, und ihren fast 3000 Gratulanten auf Facebook dankte sie mit einem netten Foto, das sie in traumhafter Pulverschneelandschaft bei einem Ausflug zeigt. „Ich werde nicht jede einzelne Nachricht beantworten können, aber ihr könnt euch sicher sein, dass jedes Wort gut angekommen ist“, teilte die Bayerin ihren Freunden mit. Gut schaut sie auf dem Bildchen aus – erholt, entspannt und bester Dinge. Ein neuer Lebensabschnitt kann beginnen. Der Stress im aufgeregten Skizirkus, das Foto suggeriert es, ist vorbei.

 

Für den DSV-Alpinchef Wolfgang Maier kam der Rücktritt seiner besten Rennläuferin vor wenigen Wochen überraschend. Doch war es nicht nur Rebensburgs Karriereende, das Maier zu verkraften hatte. Neben der „Vicky“ sind ihm auch noch Christina Ackermann, Veronique Hronek, Fritz Dopfer, Dominik Stehle, Benedikt Staubitzer und Klaus Brandner von der Fahne gegangen. Und das Karriereende des aufgeweckten und mit urbayerischem Humor ausgestatteten Frontmanns Felix Neureuther, der tut noch heute weh. Auch wenn er schon mehr als eineinhalb Jahre zurückliegt.

Ohne Zuschauer auf den Rängen

Eine Woche früher als sonst – und ohne Zuschauer – startet am Wochenende der alpine Weltcup-Zirkus auf dem Rettenbachferner über Sölden in die „Corona-Saison“. Nach den zahlreichen Rücktritten bietet der Deutsche Skiverband (DSV) eine dezimierte und teilweise unerfahrene Mannschaft auf. Bei den Frauen gehen im Riesenslalom am Samstag Lena Dürr, Andrea Filser, Jessica Hilzinger und Lisa Loipetssperger an den Start. Am Sonntag bestreiten Stefan Luitz, Alexander Schmid und Fabian Gratz dann den Riesenslalom der Männer. Leute wie Dürr, Luitz und Schmid gehören da schon zu den arrivierten Kräften, unter den anderen sind auch Lehrlinge dabei. Auf Ergebnis werden die Jüngsten beim traditionsreichen Auftakt in Sölden kaum fahren. Dabei sein und Erfahrungen sammeln ist oft schon die halbe Miete.

Wolfgang Maier ist von Natur aus Optimist, also vertraut er seiner Kükentruppe auch – die Mannschaft muss sich jetzt freischwimmen und vor allem lernen. „Unseren jungen Sportlern bietet sich nun die Chance, in die Fußstapfen ihrer Vorgänger zu treten – das Potenzial in den Mannschaften ist vorhanden“, sagt der Alpinchef. Hochmotiviert seien die Athleten. An den Trainingstagen auf den Gletschern von Zermatt oder Saas-Fee haben sie mächtig Gas gegeben und zielstrebig an ihrer Form geschuftet. „Gemeinsam wollen wir die nächsten beiden Saisonen nutzen, um die notwendigen Schritte auf dem Weg in die Weltspitze zu gehen“, sagt Maier zur mittelfristigen Marschroute. Zwei Skiwinter gibt er seinen jungen Athleten also Zeit, dann aber sollte der Weg für den einen oder anderen möglichst aufs Stockerl führen – im Idealfall ganz nach oben. Eben dorthin, wo Rebensburg und Neureuther immer mal wieder standen und die alpine Herrlichkeit aus deutscher Sicht auch nach dem Abschied von Maria Höfl-Riesch am Leben hielten.

Das erste Rennen überhaupt

Lisa Loipetssperger ist 20 Jahre jung, kommt aus München, und sie ist eine patente Nachwuchsfahrerin. „Ich bin richtig happy, am kommenden Samstag in Sölden mein erstes Weltcup-Rennen bestreiten zu können“, sagt sie. Zwar wird sie mit einer hohen Nummer starten, aber das stört sie herzlich wenig, denn sie weiß: „So fangen die meisten im Weltcup an.“ Fabian Gratz ist zwar schon 23 Jahre alt, aber viel weiter als Loipetssperger ist er im alpinen Skizirkus auch noch nicht gekommen. „Dass ich in Sölden mein zweites Weltcup-Rennen fahren werde, finde ich richtig gut.“ Er habe in den vergangenen Jahren oft live oder am Fernseher zugeschaut, wenn in Sölden die Saison losgegangen war. „Und jetzt stehe ich selber in ein paar Tagen am Start“, freut sich Gratz, „das ist einfach nur cool.“

Auf Zuschauer müssen die beiden Nachwuchskräfte verzichten. Es gab das Corona-Abitur – und es gibt den Corona-Skiauftakt. Alles ist anders in diesem verrückten, aber auch besorgniserregenden Jahr 2020. Vielleicht haben die unvorhersehbaren Verhältnisse Viktoria Rebensburg ja auch erst dazu bewogen, einen Schnitt im Leben zu machen. Rückblick: Am 5. August postete sie auf Facebook ein Foto aus Saas-Fee im DSV-Rennanzug mit dem Satz: „Das Lächeln, wenn du wieder Schnee unter deinen Füßen fühlst!“ Und am 1. September meldete sie sich wieder – diesmal mit ihrem Abschied. Auch deshalb war Wolfgang Maier so überrascht. Jetzt müssen halt die anderen ran.