Auf der Ideallinie: Österreichs Ski-Star Anna Fenninger Foto: Getty

Was läuft schief, wenn sich die derzeit beste Skirennläuferin mit dem eigenen Verband kabbelt? Im Streit zwischen Anna Fenninger und dem Österreichischen Skiverband (ÖSV) geht es um Macht, Einfluss, Klüngelei und Geld. Und um Fragen, die auch viele andere Sportler betreffen.

Stuttgart - Es ist nicht so, dass sich die Medienbranche in Österreich über Arbeit beschweren würde. Im Gegenteil: Wenn die bedeutenden Wintersportler auch im Sommer Gesprächsstoff bieten, umso besser. Trotzdem sagt der Kollege nun: „Das Positive ist, dass jetzt mal Ruhe ist.“ Am Ende sei es „ein Kasperltheater der Superlative“ gewesen. Aber eines, das den Beteiligten keinen Spaß bereitet hat. Es geht um den Streit zwischen Olympiasiegerin Anna Fenninger und dem Österreichischen Skiverband (ÖSV).

Rund zwei Wochen ist der vorerst letzte Friedensschluss her, und manch einer ist tatsächlich verwundert, dass seitdem Ruhe herrscht in einer Auseinandersetzung, die Einblicke gewährte in Macht und Machenschaften eines Verbands, in Vertragswerke, die mancher als Gängelung empfindet, und in Befindlichkeiten, die weit über konträr liegende Geschäftsinteressen hinausgehen. Neben Fenninger und ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel im Mittelpunkt: Klaus Kärcher (56), der Sportmanager aus Fellbach.

Der hat in den vergangenen Jahren unter anderem Eisschnellläuferin Anni Friesinger nach oben begleitet, Sportgymnastin Magdalena Brzeska vermarktet und Turner Fabian Hambüchen Planungssicherheit verschafft. Dass die Interessen seiner Klienten dabei stets über anderen standen, ist kein Geheimnis, dass Kärcher bereit ist, für sie zu streiten, auch nicht. Doch er betont: „Bei mir geht es nie ums schnelle Geld, sondern darum, Sportlern eine langfristige Perspektive zu ermöglichen – weit über die sportliche Karriere hinaus.“ So sieht er auch sein Engagement für Anna Fenninger.

Fenninger will mitbestimmen

Die alpine Skirennläuferin aus Salzburg, darauf legt Kärcher Wert, habe sich 2011 auf Managersuche befunden, wollte einen, der fernab der ÖSV-Gemeinde tätig ist. Die Zusammenarbeit läuft seit 2012 vertrauensvoll, zuletzt drohte aber die Eskalation. Mit einer Frage als entscheidendem Punkt: Wie frei ist ein Athlet unter der Lizenz des ÖSV?

Die Frage gewann zunehmend an Bedeutung, da Fenninger als Sportlerin gilt, die ihre eigene Meinung nicht an der Liftkasse gegen ein Gondelticket tauscht. Früh in ihrer Karriere fühlte sie sich vom Verband verheizt, bestärkt durch sportliche Erfolge, will die 26-Jährige nun Konzepte sehen, will mitbestimmen, will eigene Entscheidungen treffen. Dumm nur, dass dies im ÖSV in Vermarktungsfragen kaum vorgesehen ist: In der Lizenzvereinbarung wird die Abtretung sämtlicher Persönlichkeitsrechte verlangt.

Solch eine Vereinbarung, angelehnt an die Wettkampfordnung des Weltverbands Fis, ist generell nicht ungewöhnlich. Da die Skisportler bei den jeweiligen Verbänden nicht angestellt sind, werden Rechte und Pflichten derart geregelt. Doch gerade in Vermarktungsfragen gibt es nationale Unterschiede. Ein Beispiel: Im Gegensatz zum Deutschen Skiverband (DSV) macht der ÖSV bei den Persönlichkeitsrechten keine Unterscheidung zwischen Sportler und Privatperson. „Es ist eine völlig undifferenzierte Übertragung der Persönlichkeitsrechte vorgesehen“, sagt der Stuttgarter Anwalt Markus Wekwerth, „die Athleten dürfen keine Verträge schließen, alles läuft über den ÖSV – so ist ein riesiges Sport-Kartell entstanden, in dem ein Verband alle Vorgänge kontrolliert und jeden Wettbewerb ausschaltet.“

Der ÖSV dagegen argumentiert mit dem Solidarprinzip. Die Sportler werden erst gefördert; wenn sie später erfolgreich sind, zahlen sie per Werbewert zurück. Dies wird auch von Stars wie Anna Fenninger nicht infrage gestellt, obwohl deren Werbewert für den Verband die Investitionen schnell überschritten hatte. Doch sieht sie Grenzen, die außerhalb Österreichs auch gelten.

Unterschiede zwischen DSV und ÖSV bei der Vermarktung

Die Werbeflächen auf der Wettkampfkleidung sind auch beim DSV zentral vermarktet, so generieren die Dachorganisationen das nötige Geld für ihre Förderstrukturen. Für diese Partner müssen die Sportler PR-Termine wahrnehmen, im DSV aber weniger als im ÖSV, zudem werden Aufwandsentschädigungen bezahlt. Alle weiteren Flächen (Kopf, Skisprung-Ski, Gewehr . . .) gibt der DSV bis auf Widerruf und wenige Ausnahmen frei. In Österreich müssen auch solche Verträge über den Verband abgeschlossen werden, zudem erhält der ÖSV zehn Prozent der Einnahmen. Der DSV verzichtet auf diesen Anteil und überlässt alle individuellen Abschlüsse nach einer obligatorischen Prüfung des Partners den Athleten oder deren Management. Die verbandsnahe Agentur „triceps“ unterstützt auf Wunsch die Sportler, Stefan Schwarzbach, Geschäftsführer der DSV Marketing GmbH, betont jedoch: „Die Athleten können auf die Netzwerke des Verbands zurückgreifen, ‚triceps‘ arbeitet aber völlig unabhängig.“

Weltcup-Athleten aus dem zweiten oder dritten Glied fahren in Österreich derweil gut mit der weitgehend vom Verband organisierten Vermarktung. Die Topleute, die samt Preisgeldern im Jahr bis zu eine Million Euro verdienen können, haben teils jedoch Schwierigkeiten, ihr Potenzial auszuschöpfen. Doch Schröcksnadel, der seit 1990 amtierende ÖSV-Präsident, sagt: „Wir wollen nicht, dass unser System unterlaufen wird.“

Der allmächtige Verbandsboss spielt damit auf die bislang höchste Eskalationsstufe im Streit Fenninger/ÖSV an: eine Kampagne für die vom Autobauer Mercedes unterstützte Laureus-Stiftung. In einer Anzeige waren die Skirennläuferin und ein Fahrzeug mit dem Stern zu sehen. Da aber Audi Toppartner des ÖSV ist und (wie beim DSV) Branchenexklusivität genießt, wetterte Schröcksnadel: „Die Anna ist leider irregeführt.“ Der Tiroler drohte mit Konsequenzen, über einen Nationenwechsel und ein Karriereende wurde spekuliert, ehe zwischen Präsident und Sportlerin ein Burgfrieden geschlossen wurde – der unterschiedlich ausgelegt wird. Die einen stellen die Einigung vor allem als Entmachtung Kärchers dar. „Manager wird er nicht bleiben, vielleicht Berater“, sagt Schröcksnadel. Kärcher kontert, genau dies sei er seit Jahren. Die Zusammenarbeit bleibe bestehen, lediglich die Kommunikation mit dem Verband werde neu geregelt. „Die Anna“, verkündete Schröcksnadel, „akzeptiert alle Regeln.“ Anwalt Wekwerth ergänzt: „Sofern sie rechtens sind.“

Es wird also weiter diskutiert werden über das System Schröcksnadel, das sich in fast 25 Jahren etabliert hat. Kenner der Szene beschreiben das Wirken des 73-Jährigen wie folgt: Der Präsident schließt Verträge mit den Verbandssponsoren und entscheidet dann, welcher Rennläufer mit welchem Partner zu welchen Konditionen eine individuelle Vereinbarung bekommt. „Der ÖSV bestimmt, was ein Athlet verdient“, sagt einer. Und der Verband kann auf die Exklusivität für seine zahlreichen Partner (zu der auch mächtige Medienunternehmen wie die „Kronenzeitung“ gehören) pochen und so andere Abschlüsse blockieren. Fenninger sprach schon mehrfach von nicht eingelösten Versprechungen, Verhandlungen von Kärcher mit möglichen Partnern sollen behindert worden sein, das Vertrauen des Ski-Stars in die Verbandsspitze schmolz mehr und mehr. Zumal ihr Wunsch nach Verbesserungen im Leistungsumfeld angeblich an Bedingungen geknüpft worden ist.

Der Friedensgipfel brachte Ruhe

Die derzeit wohl kompletteste Skirennläuferin der Welt erbat sich einen eigenen Konditionstrainer, da ihr lädiertes Knie täglich eine spezielle Behandlung benötigt. In einer Mail an den Verband prangerte Fenninger an, dass sie sich hierfür von Kärcher hätte trennen müsse. Die Mail gelangte an die Öffentlichkeit – von wem, ist unklar.

Die ÖSV-Seite bezichtigte das Umfeld Kärchers und nannte als Hinweis eine deutsche E-Mail-Absenderadresse. Im Zuge von Ermittlungen wurde zumindest klar, dass die Mail von einem nur kurzzeitig aktiven Account und aus dem österreichischen Mobilfunknetz gesendet worden war. Es folgten ein lange aufgeschobener Krisengipfel (ohne Schröcksnadel), eine vermeintliche Einigung, dann aber unterschiedliche Ansichten über das Sitzungsprotokoll. Die Laureus-Kampagne wurde gestoppt, dann brachte der bislang letzte Friedensgipfel Ruhe. „Es braucht oft einen Tsunami, bis wirklich etwas passiert“, schrieb Fenninger im Internet und genießt nun das geforderte Privileg.

Kärcher wird derweil weiter versuchen, in der breiten Grauzone der österreichischen Athletenvereinbarung seine Klientin zu positionieren und sie mit langfristigen Engagements abzusichern. Schröcksnadel sieht sich zwar als Sieger, es ist aber bei weitem kein Erfolg auf ganzer Linie. Anders als vor Jahren im Fall von Marcel Hirscher.

Der Superstar, so erzählt ein Journalist, hatte damals ähnliche Forderungen wie Fenninger, auch er hatte einen eigenen Manager. Der Strauß wurde hinter verschlossenen Türen ausgefochten. Am Ende hatte Hirscher seine Privilegien und gute Verträge, aber keinen externen Manager mehr. „Er wollte eben keine Revolution gewinnen“, sagt der Kollege, „sondern einen Riesentorlauf.“

Darum geht es Fenninger („Ich denke, der Friede wird halten“) bald auch wieder.