Moment des Schreckens: Die Drohne stürzt hinter Hirscher in den Schnee Foto:  

Für den einen ist nach einem kapitalen Sturz die Saison gelaufen, der andere ist mit dem Schrecken davongekommen. So oder so – die Ereignisse um zwei österreichische Ski-Stars befeuern die Diskussionen um die Sicherheit im alpinen Skirennsport.

Stuttgart - Günter Hujara ist selten um Worte verlegen. Der frühere Renndirektor beim Internationalen Skiverband (Fis) aus Neuenbürg im Schwarzwald gilt als Kommunikator – über den Moment am Dienstagabend, kurz vor halb zehn, sagt er gegenüber unserer Zeitung jedoch: „Mir hat es die Sprache verschlagen.“

Es war der Moment als in Madonna di Campiglio im Weltcup-Slalom die Entscheidung nahte – die hinterher kaum mehr einen interessierte. Marcel Hirscher war auf der Strecke, absolvierte Tor für Tor, als nur einen Meter hinter ihm plötzlich ein Fluggerät vom Himmel stürzte und auf der Piste zersplitterte Der österreichische Ski-Star gab später zwar an, den Aufprall bemerkt zu haben. Wie viel Glück er aber wirklich hatte, dass ihn die etwa zehn Kilogramm schwere Drohne samt TV-Kamera nicht erwischt hatte, erkannte er erst, als er die Fernsehbilder sah. Mit dem Glücksgefühl kam die Wut.

„Eine Frechheit“, schimpfte Hirscher und ergänzte am Tag danach: „Wenn ich mir die Bilder ansehe, bekomme ich feuchte Hände und zittere.“ Er schloss mit einer Bitte: „Passt besser auf.“ Markus Waldner hätte sich angesprochen fühlen können, als Nachfolger von Günter Hujara ist er für die Sicherheit im Weltcup verantwortlich. Der Südtiroler aber war ähnlich sauer und nahm die Verantwortlichen des Kameraflugs ins Visier: „Das ist eine Schweinerei und wird Konsequenzen haben.“ Welche das sind, liegt für Hujara auf der Hand.

Der langjährige Renndirektor war dabei, als vor vier Jahren erstmals Drohnen für TV-Zwecke im Einsatz waren. Bis dahin waren mitfahrende Kameras an Seilen im Einsatz, Hubschrauber in 300 Meter Höhe oder Kran-Kameras, die über die Piste schwenken – was auch nicht ohne Tücken ist. „Da ist ein Widerstand eingebaut, damit der Kran-Arm nicht auf die Piste knallen kann“, sagt Hujara, betont aber: „Auch da muss man immer hinschauen, manche Kameraleute sind eben sehr motiviert.“ In Wengen wurde dann die Drohne getestet, „der Pilot stand neben mir“, erinnert sich Hujara. Es war klar: Sie darf nicht über der Strecke fliegen. Der damalige Versuch auf der Suche nach neuen Perspektiven ging gut, die noch überschaubare Bildqualität ließ das Thema aber zunächst ruhen. „Seit geraumer Zeit ist das Interesse der TV-Produzenten aber da“, sagt Hujara. Die Auflagen sind es ebenso.

Pilot sollte nicht über Strecke fliegen

Auch vor dem Drohneneinsatz am Dienstag mussten Überfluggenehmigungen eingeholt werden, die hohen technischen Standards mussten erfüllt sein, die Absprachen waren angeblich klar. „Es war ausgemacht, dass der Pilot nicht über die Strecke fliegt“, sagte Waldner, „doch im zweiten Lauf ist der dann immer weiter reingeflogen. Ein Wahnsinn.“ Und weil der beinahe verheerende Folgen gehabt hat, schlägt Hujara den vorläufigen Verzicht auf derartige Flugobjekte vor: „Grundsätzlich würde ich nach diesem Ereignis erst mal keine Drohnen mehr zulassen. Ausnahmen müssten in Einzelfällen genau geprüft und an strengste Auflagen geknüpft werden.“ Waldner stimmte mit ein: „Solange ich die Verantwortung trage, werden Drohnen bei Rennen verboten.“ Der TV-Rechte-Inhaber Infront hat sich mittlerweile entschuldigt und eine genaue Untersuchung angekündigt. Diese ist in einem anderen Fall bereits nahezu abgeschlossen.

Am Dienstag jedenfalls trafen sich Mediziner, Biomechaniker, Techniker eines Protektoren-Herstellers sowie Vertreter des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), um über die Erkenntnisse aus dem Sturz von Matthias Mayer zu beraten. Der Olympiasieger hatte sich am Wochenende in Gröden zwei Brustwirbel gebrochen, weil er ein Sicherheitssystem am Oberkörper trug, konnten schwerwiegendere Verletzungen aber verhindert werden. So die ursprüngliche Annahme – der nicht alle folgen wollten.

US-Star Ted Ligety etwa kritisierte, es würde dabei mit einem „nicht erprobten System experimentiert“, und womöglich habe der Airbag die Verletzungen sogar verschlimmert. Aussagen, die Günter Hujara nicht unkommentiert lassen möchte. „Das sind für mich befremdliche Sätze“, erklärt der Mann, der seit Jahren in Sachen Sicherheit im Skisport forscht, „ich schätze Ted Ligety als Sportler sehr, aber wenn er so etwas sagt, dann hat er sich nicht kundig gemacht oder ein mentales Problem.“

Am Airbag wird seit Jahren getüftelt

Seit acht Jahren nämlich werde an dem System getüftelt, das wie folgt funktioniert und im Motorradrennsport längst etabliert ist: In einem Rückenprotektor ist ein elektronischer Sensor integriert, dieser erfasst die Lage des Körpers. Anhand eines komplizierten Algorithmus wird erkannt, wann die Lage des Rennläufers derart unnatürlich ist, dass er nicht mehr selbst reagieren kann. Dann wird der Airbag innerhalb einer Zehntelsekunde aufgeblasen – und schützt im Idealfall Brustkorb, Schultern und Nacken. Zwei zugelassene Systeme gibt es, „seit Jahren haben die Teams die Möglichkeit zu testen“, sagt Fis-Technikexperte Hujara. Ein Teil der Profis nutzt ihn in dieser Saison im Wettkampf. Dass der Großteil zögert, kann Hujara auf der einen Seite sogar verstehen.

„Ich weiß, wie die Rennläufer ticken“, sagt er und berichtet vom Kampf um Hundertstelsekunden. Kjetil Jansrud und Aksel Lund Svindal (Norwegen) etwa würden den Airbag im Training tragen, im Rennen aber darauf verzichten – vermutlich aus aerodynamischen Gründen. Die Weste trägt unter dem Rennanzug 27 Millimeter auf, kann Falten werfen und ist 800 Gramm schwer. Finanzielle Gründe gibt es bei Kosten von 1250 Euro pro Stück auch, dazu die Sorge, dass der Airbag im falschen Moment auslöst.

Bei Matthias Mayer, das hat die Analyse der Experten ergeben, hat der Airbag sauber funktioniert. Mayer war 115 Kilometer pro Stunde schnell, als er ausgehoben wurde, beim Aufprall etwa 30 Meter weiter waren es 109, dabei wirkte eine Gewichtskraft von 13 g. So konnte der Airbag die schweren Verletzungen zwar nicht verhindern, er hat sie nach Ansicht der Experten aber auch nicht begünstigt, sondern verhinderte wohl Verschlimmerungen. Der ÖSV wird seinen Rennläufern daher empfehlen, das Sicherheitssystem zu nutzen. „Ich glaube, dass diese Aussage die richtige ist“, sagt Günter Hujara, der wohl hofft, dass der schlimme Sturz zumindest diese eine positive Folge hat: dass die Akzeptanz des Airbags wächst.