Thomas Dreßen hebt nur auf der Piste ab. Ansonsten ist der Oberbayer ein geerdeter Mensch. Foto: dpa

Der Oberbayer Thomas Dreßen hat viel vor in der neuen Skisaison. Er will endgültig beweisen, dass er nach dem sensationellen Streich auf der Streif keine Eintagsfliege ist – sondern ein Weltklasse-Abfahrer.

Stuttgart - Thomas Dreßen guckte vor wenigen Wochen bei der Einkleidung in Herzogenaurach ziemlich verdutzt. Im vergangenen Winter gab es zahlreiche Olympiasieger. Stolze 14 Goldmedaillen nahmen die deutschen Athleten aus Südkorea mit. Ausnahmekönner wie die Biathletin Laura Dahlmeier und der Kombinierer Johannes Rydzek schnappten sich sogar zweimal den Hauptpreis. „Skisportler des Jahres“ wurden sie aber nicht. Die interne Wahl, bei der ausschließlich Sportler des Deutschen Ski-Verbandes ihre Stimmzettel abgeben, fiel auf Thomas Dreßen.

Der Oberbayer gewann den Abfahrtsklassiker in Kitzbühel – und löste damit ein sportliches Erdbeben aus. Ehrlich gesagt: am wenigsten beeindruckt hat der Zauber ihn selbst. „Ich bezeichne mich nicht als Kitzbühel-Sieger“, sagt Dreßen in seiner kernig bayerischen Art und es fehlt nur noch, dass er seinen Zuhörern mitteilt, es sei ihm wurscht. Hätte er die Abfahrt in Garmisch gewonnen, Dreßen weiß es, wäre der Wirbel im Vergleich zur Kitzbühel-Aufregung gegen Null tendiert. So aber stellt er sogar gestandene Olympiasieger in den Schatten.

Der Mythos Kitzbühel macht unsterblich

Insgeheim bewerten die harten Jungs der Schussfahrt einen Erfolg im Ski-Mekka der österreichischen Bussi-Bussi-Gesellschaft höher als Olympia-Gold. Der Mythos Kitzbühel macht unsterblich, kein Geheimnis ist das, da kann man sie alle fragen, egal ob sie Cuche heißen oder Maier oder Eberharter. Aber wenn jemand nicht unsterblich sein will, dann der bodenständige Bayer Thomas Dreßen. „So toll es war in Kitzbühel – es ist jetzt auch wieder vorbei“, sagt der 24 Jahre alte Brocken von einem Mann. Und er fügt hinzu: „Ich habe echt keine Lust drauf, dass das jetzt so ein einmaliger Geschichtsbucheintrag wird. Es soll schon noch etwas kommen.“

Am besten am Wochenende im kanadischen Lake Louise. Dort treffen in der noch jungen Saison erstmals die Abfahrer aufeinander. Dreßen, den Supermänner wie Aksel Lund Svindal oder Beat Feuz spätestens seit dem Hahnenkammrennen 2018 richtig ernst nehmen, will der Welt zeigen, dass er angekommen ist im elitären Kreis der Besten. Und wenn es nicht klappt, dann klappt es halt nicht. So ist der Mann aus Mittenwald nun einmal gestrickt: direkt, unaufgeregt, sachlich. Ausgestattet mit der bayerischen Ruhe. „Thomas wird demütig und bescheiden bleiben. Es kommen wieder andere Tage“, sagt der Bundestrainer Mathias Berthold.

Dreßen hat mit dem Boulevard nichts am Hut

Sein bester Abfahrer dreht nur kurz auf, wenn das, was er für Werte hält, über Bord geworfen wird. Nach Kitzbühel nahm ein deutsches Boulevardblatt seinen Sieg zum Anlass, die Seilbahntragödie, bei der sein Vater 2005 in Sölden ums Leben kam, noch einmal haarklein darzustellen – mit sehr viel Text und noch mehr Bildern. „Die haben wieder alles ausgegraben. Da habe ich mich gefragt: ,Seid ihr einfach nur bescheuert oder habt keinen Anstand?‘ Die können zahlen, was sie wollen, die bekommen mein Lebtag kein Interview von mir“, sagt Dreßen – und haut beherzt auf den Tisch.

Mit seinem persönlichen Schicksal die Verkaufszahlen zu steigern – so geht man mit ihm nicht um. Auf die große Bühne pfeift er ohnehin. Die Leute haben sich nach Kitzbühel um ihn gerissen. Um nicht unterzugehen im Sammelsurium der Einladungen, verteilte er Körbe. Als ihn ein Stahlhersteller, der sich darauf berief, auch die Kanten für Ski-Firmen zu produzieren, für einen Vortrag einladen wollte, da sagte Dreßen entschlossen „nein“. Mit der Begründung, er kenne sich „null“ aus im Stahlbau, deshalb möge man ihn bitte in Ruhe lassen. Fehlte nur noch, dass sie ihn mit einem Quietsch-Entchen in der Badewanne Werbung machen lassen für einen Schaumbadhersteller – nicht mit dem geerdeten Bayern.

Auch auf dem Motorrad fühlt er sich wohl

Anders war es, als Motorsport-Einladungen ins Haus flatterten. Der Kitzbühel-Held besuchte die DTM am Norisring und die Formel 1 in Spielberg. Als dann die DTM in Spielberg gastierte, fragte er beim Team Audi-Abt nach, ob er noch einmal kommen könne – mit ein paar Freunden im Schlepptau. Das klappte sofort. Der leidenschaftliche Harley-Fahrer bezeichnet sich als Motorsport-verrückt. „Diese Besuche waren für mich ein Bonus“, sagt Dreßen, „kein Muss.“ Ärgerlich war nur, dass er in dem aufregenden Jahr nach dem Hahnenkamm-Erfolg seine Motorräder nicht so oft spazieren fahren konnte wie er wollte.

Nach Kitzbühel gewann der kräftige Bursche im März noch die Abfahrt im norwegischen Kvitfjell – so viel zum Thema Eintagsfliege. „Wenn du einmal gewonnen hast, willst du wieder gewinnen, weil es einfach geil ist – aber so einfach gewinnst du nicht“, sagt Thomas Dreßen. Klingt simpel. Doch nach seinem „Wahnsinns-Ding“ in Kitzbühel hatte er sich nur eines vorgenommen: so viel zu arbeiten wie immer.

Und der Sieg auf der Streif? Der hat seiner Ansicht nach nur ein bisserl die Motivation gesteigert, sagt der Speed-Fahrer und winkt lässig ab. Ob ihm das jetzt in Kanada hilft? Man wird es sehen – oder auch nicht. Hauptsache, sagt sich der Urbayer, der Mensch bleibt g‘sund. Darum geht’s – und um nichts anderes.