Wer derzeit in die Kita geht und wer nicht ist laut Kritikern willkürlich. Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Weil der Zugang nicht klar geregelt ist, wird in manchen Kitas derzeit um jeden Platz gefeilscht. Erzieherinnen fordern, früher geimpft zu werden.

Stuttgart - Julia Barbov steht untere Druck. Je länger der Lockdown dauert, umso mehr Eltern drängen mit ihren Kindern in die Notbetreuung der Stuttgarter Kita, die die Erzieherin leitet. Ein bis zwei Neu-Anträge pro Woche seien es. Mittlerweile betreuten sie und ihre Kolleginnen in den fünf Gruppen gut die Hälfte aller Kinder. Julia Barbov muss Entscheidungen treffen, die sie eigentlich nicht treffen will: Welche Kinder nimmt sie auf und welchen teils verzweifelten Eltern sagt sie ab? Was wiegen Kindes- und Elterninteressen und was der Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiterinnen?

Spätestens seit in einer Freiburger Kita Mutanten aufgetaucht seien, kämen manche Kolleginnen mit einem mulmigen Gefühl zur Arbeit, sagt Barbov. Das Wort vom Kanonenfutter macht die Runde. Besonders bitter: Manche Erzieherinnen erlebten, dass sich im Privaten niemand mehr mit ihnen treffen will, weil sie so viele Kontakte haben.

Forderung nach klaren Regeln

„Durch die Notbetreuung wird ein unnötiger Interessenskonflikt zwischen Eltern und Erziehern geschaffen“, sagt Barbov, die mit ihrem Team einen offenen Brief an die Politik geschrieben hat. Sie wehren sich unter anderem dagegen, dass die Landespolitik die Entscheidung, wer am Ende in die Notbetreuung kommt und wer nicht, weitgehend den Trägern und Einrichtungen überlassen hat und fordern klarere Regeln.

Etwas, das vielen Erzieherinnen und Erziehern im Land aufstößt. Das Land hat den Zugang zu Notbetreuung bewusst offen gestaltet: Einen Platz beantragen können Familien, in denen beide Eltern arbeiten müssen. Doch während manche Kitas eine Arbeitgeberbescheinigung verlangen, reicht anderen das Wort der Eltern. Ob ein Kind in die Notbetreuung geht oder nicht, dafür gibt es im Grunde keine einheitlichen Kriterien. „Wenn man davon ausgeht, dass alle Kinder dieselben Rechte auf Bildung und soziales Miteinander haben, ist das zutiefst ungerecht“, sagt ein Erzieher unserer Zeitung. Und absurd wird es, wenn man bedenkt, dass sich nachmittags alle Kinder – egal ob in der Notbetreuung oder nicht – wieder auf den Spielplätzen treffen.

Eltern halten sich nicht an Vorschriften

Dazu kommt, dass nicht alle Eltern, die jetzt keinen Platz bekommen, einsichtig sind. Eine Erzieherin aus einer Kita im Stuttgarter Osten erzählt, dass eine Mutter, die mit Baby daheim ist, fast täglich am Telefon drängelt, ihr älteres Kind in die Notbetreuung aufzunehmen. Zur Belastung können auch Eltern werden, die sich nicht an Hygienevorschriften halten: „Ein Vater latscht immer wieder einfach ohne Maske in die Einrichtung“, sagt die Erzieherin.

Von solchen Verwerfungen zwischen Eltern und Erziehern weiß auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE): „Uns ist von einzelnen Fällen berichtet worden, wo es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Elternhaus und Kindertageseinrichtung kam“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende Walter Beyer unserer Zeitung, der klarere Regelungen für die Notbetreuung fordert.

Initiative fordert, Betriebe zu schließen

Radikaler sieht es eine Initiative von Erzieherinnen im Land. Damit die Wirtschaft weiterlaufen könne, würde die Gesundheit von Familien und Kita-Personal aufs Spiel gesetzt, heißt es in einem offenen Brief auf der Seite solidaritaet-und-klassenkampf.org an die Kultusministerin. Die Erzieherinnen kommen deshalb zu dem Schluss, dass sowohl Betriebe als auch Kitas eine Zeit lang komplett geschlossen werden müssten, um diese dann – wenn die Infektionszahlen niedrig sind - wieder ganz öffnen zu können.

Der Landeselternbeirat Kita (LEBK-BW) wirbt für Verständnis, wenn die Nerven von Eltern hier auch mal blank liegen, warnt vor einem unnötigen Keil zwischen Personal und Eltern, betont aber auch, dass in der Praxis Eltern und Erzieherinnen überwiegend an einem Strang ziehen. Der LEBK sieht die Politik in der Pflicht, die für alle unbefriedigende Notbetreuung zu beenden und die Kitas wieder zu öffnen – allerdings mit Schutzausrüstung für das Personal und regelmäßigen, möglichst einfachen Schnelltests, die in den Einrichtungen stattfinden müssten.

Frühere Impfungen für das Personal

Forderungen, die auch das Team der Educcare-Kita hat. Außerdem wünscht sich Julia Barbov, dass die Landesregierung endlich nicht mehr von geschlossenen Kitas spricht. Diese seien bereits jetzt de facto offen. Wer das anerkenne, komme nicht umhin, ihren Berufsstand genauso zu schützen, wie etwa Pflegepersonal. „Kaum eine andere Berufsgruppe arbeitet so nah mit anderen Menschen wie wir. Masketragen und Abstandhalten sind mit kleinen Kindern nicht immer möglich. Wir müssen deshalb schnellstmöglich geimpft werden“, sagt Barbov. Derzeit sind Erzieherinnen in Gruppe 3 vorgesehen.