Das Internet hat das Kennenlernen zweier Menschen grundlegend verändert. Foto: dpa

Zu Zeiten von Single-Plattformen wie Tinder und Parship gestaltet sich die Partnersuche schwerer denn je. Eric Hegmann erklärt, was sich seit dem Millennium verändert hat und warum Körbe auf dem Weg zum perfekten Partner wichtig sind.

Hamburg - Jeder kennt die üblichen tröstenden Worte, die den Schmerz einer frischen Trennung lindern sollen. Dabei fühlt es sich für Menschen mit Liebeskummer oft an, als könnten selbst enge Vertraute nicht ansatzweise verstehen, was in ihnen vorgeht.

Eric Hegmann hat es sich zum Beruf gemacht, die tröstenden Worte so zu formulieren, dass sie eben doch helfen. Er arbeitet seit 15 Jahren als Single- und Paar-Therapeut in Hamburg und hat schon jede fiese Masche miterlebt. Dabei suchen Alleinstehende heutzutage vor allem Sicherheit. Das Internet sei allerdings wenig hilfreich.

Herr Hegmann, es gibt bereits sehr viele Partnervermittlungen im Internet. Jetzt möchte Facebook noch ein Dating-Portal an den Start bringen. Was halten Sie davon?
Die Idee, Freunde von Freunden zu treffen, hat sich bewährt. Aber Facebook hat gleichzeitig angekündigt, dass Facebook-Freunde auf dem neuen Dating-Portal von der Partnersuche ausgeklammert werden. Mitglieder möchten nicht zeigen, dass sie Single sind, denn das Alleinsein gilt heutzutage oft als Makel. Das ist einerseits nachvollziehbar. Andererseits verspielt Facebook damit seinen wichtigsten Vorteil. Dann handelt es sich um eine Partnerbörse wie jede andere, in der gleiche Interessen miteinander abgeglichen werden. Aber eine Beziehung entsteht eben nicht, wenn sich zwei für dieselbe Band interessieren.
Sondern?
Viel wichtiger ist die Persönlichkeit der Beteiligten und die kann Facebook nicht messen. Darum hätte ich auch mehr Angst vor einer Partnervermittlung von Google als von Facebook. Denn würde man deren Informationen oder noch schlimmer, sämtlichen Datenfundus, zu einem Persönlichkeitsprofil verarbeiten und auf dieser Grundlage potenzielle Partner matchen – das könnte schon funktionieren; aber das würde mir ehrlich gesagt Angst machen.
Vielleicht könnte so aber auch das perfekte Paar ermittelt werden. Wie weit könnten Algorithmen in Zukunft gehen?
Man könnte alle gesammelten Daten auswerten und ein Persönlichkeitsprofil erstellen, bei dem Ergänzungen wie Nähe-Distanz-Bedürfnisse oder Gemeinsamkeiten gegeneinander abgewägt werden. Dann hätte man schon ein sehr ausdrucksstarkes Profil, bei dem die Matching-Garantie sehr hoch wäre. Das machen Partneragenturen mit ihren Fragebögen schon heute. Die verwenden allerdings nur Fragebögen, die freiwillig ausgefüllt wurden. In Zukunft werden wir aber an einen Punkt kommen, an dem persönliche Daten auch in die Partnersuche mit eingebunden werden.
Inwiefern?
Ich kann mir Augmented-Reality-Brillen [Anm. d. Red.: „Augmented Reality“ beschreibt die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung] vorstellen, an denen Apple oder Microsoft sicher schon arbeiten. Singles könnten direkt vor Ort durch eine Brille schauen und Informationen über eine Person einsehen, die sich in der Nähe aufhält. Die Profile könnten abgeglichen werden und das potenzielle Paar wird direkt vor Ort zusammengeführt. Ob das in fünf oder zehn Jahren realisiert wird, sei dahingestellt. Aber ich bin mir sicher, dass es das geben wird.

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Würden Sie Ihren Klienten die Online-Partnervermittlung empfehlen oder dazu raten, sich wieder im realen Leben nach dem Traumpartner umzusehen?
Das eine schließt das andere ja nicht aus. Und ich würde Online-Dating immer nutzen, um Kontakte herzustellen, die ich sonst zum Beispiel aus Zeitgründen nicht herstellen könnte. Gefahren sehe ich darin, dass Online-Partnervermittlungen noch schamloser versuchen, Sicherheit zu suggerieren und Glück zu garantieren. Ich glaube, das würde auf lange Sicht zu noch mehr Frustration und zu mehr Bindungs- und Verlustangst führen.
Wie definieren Sie diese Ängste?
Es gibt eine Bindungstheorie des britischen Psychoanalytiker John Bowlby, die besagt, dass jeder Mensch eine Bezugsperson braucht. Dabei gibt es Menschen, die sich Liebe verdienen wollen, und Menschen, die Angst vor der Bindung haben. Die beiden Positionen sind extrem entgegengesetzt und trotzdem ziehen sie sich unglaublich an. Deswegen geraten sehr viele Singles an einen Menschen mit dem eine Beziehung extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich wird.
Haben Sie es in Ihrer Praxis häufig mit Bindungs- und Verlustängsten zu tun?
Oh ja, seit dem Millennium können wir eine sehr deutliche Zunahme an Problemen mit Bindungs- und Verlustangst beobachten. Das sieht man auch an all den Kunstwörtern, die jetzt durch die Medien gehen – „Ghosting“, „Mosting“ und „Benching“ und wie sie alle heißen – das sind alles Formen von Schutzmechanismen. Dabei gab es diese Art von Abfuhr früher auch schon. Heute wird sie nur mehr thematisiert, weil sich Menschen eine größere Sicherheit für die Partnersuche erhoffen.

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Was hat sich seit der Jahrtausendwende verändert?
Wir sind fast 24 Stunden am Tag mit dem Internet verbunden. Dating-Apps wie Tinder nutzen diesen Sicherheitsgedanken aber aus. Nutzer können nur miteinander kommunizieren, wenn beide „ja“ geklickt haben. Andere werden dank der Masse an Profilen einfach vergessen. Singles müssen also keine Angst vor Zurückweisung mehr haben. Dieser Sicherheitsgedanke führt dazu, dass die Erfahrung mit Körben nicht mehr so gelebt wird, wie vor zwanzig Jahren, als man noch im Café auf jemanden zuging und fragte, ob man sich dazu setzen dürfe.
Hilft uns dieser Sicherheitsgedanke bei der Partnersuche?
Nein, im Gegenteil. Auch Kinder müssen ein gewisses Frustrationslevel aushalten, um erwachsen zu werden. Das muss man üben. Und wenn wir das bei der Partnersuche nicht üben, dann werden wir es in der Partnerschaft erst recht nicht aushalten können. Das ist ein Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Denn das wird nur noch größer.
Inwiefern?
Heute führen wir mehr Beziehungen als unsere Großeltern und Urgroßeltern zusammen. Dabei darf man nicht vergessen, dass jede Beziehung, die wir führen, auch endet. Dabei ist es egal, ob sie drei Jahre oder drei Monate anhält. Wir haben immer das Gefühl, dass wir versagt haben.