Zugeparkte Gassen machen die Innenstadt nicht attraktiv. Vor allem die Grünen fordern daher autofreie Zonen. Foto: factum//Simon Granville

Die Schwächen der Innenstadt sind passé, die Stadträte sind in Aufbruchstimmung und beschließen ein Leitbild für die City – und sie geben Geld frei für experimentelle Aktionen.

Sindelfingen - Plakate mit dem Titel „Exitus Innenstadt?“ schmücken momentan die Straßen in Sindelfingen. Sie weisen auf eine Veranstaltung der Sindelfinger Bürgerstiftung mit dem Stuttgarter City-Manager Sven Hahn hin, Thema ist der Einzelhandel in Konkurrenz zu Shoppingmalls und Online-Handel. Ein Thema, das auch den Sindelfinger Stadträten am Herzen liegt. Trotzdem empören sie sich über die Plakate. „Exitus Innenstadt“ – solche Wendungen lesen und hören die Kommunalpolitiker gar nicht gern. Sind sie doch erst am Samstag von einer Klausurtagung mit dem Thema Innenstadtentwicklung zurückgekommen – und seither befinden sich alle in großer Euphorie. Jammern ist ab sofort passé.

Positives Denken ist nun angesagt. Von „Aufbruchstimmung“ spricht die Freie-Wähler-Fraktionschefin Ingrid Balzer. „Negative Vokabeln wie ‚Exitus‘ und ‚Leiche‘ müssen aus unserem Wortschatz verschwinden. Es gibt keinen Grund für eine solch nekrophile Sprache“, fordert der FDP-Fraktionschef Andreas Knapp.

Zwei Tage haben die Räte miteinander und mit Vertretern der Stadtverwaltung und der Wirtschaftsförderung analysiert und diskutiert – unterstützt vom Stadtentwicklungsbüro Urbanista. Und dabei hat sich ihr Blick verändert. Statt um die Schwächen der Sindelfinger City ging es vor allem um die Stärken. Und davon gibt es einige, sind sich die Räte nun sicher: die vielen Bildungseinrichtungen im Zentrum – Volkshochschule, Stiftsgymnasium, Haus der Familie. Oder das Jugendcafé als Treffpunkt für Jugendliche.

Autofreie Innenstadt?

Der Handel ist keine Stärke der Innenstadt, auch nicht die zugeparkten Gassen der Altstadt – darüber war man sich im Gremium einig. Wie man dieses Problem angehen will, darüber herrscht freilich noch kein Konsens. Die Grünen möchten am liebsten sofort die komplette Altstadt zur autofreien Zone erklären, die Freien Wähler die Autofahrer möglichst wenig beschneiden. Immerhin etwas Bewegung gibt es: „Die Sperrung der einen oder anderen Straße für Autos “ können sich Freie Wähler und CDU jetzt vorstellen.

Einig sind sich auch alle, dass ein Leitbild für die Innenstadt entwickelt werden soll – und zwar mit professioneller Hilfe. Damit wurde das Büro Urbanista beauftragt. 300 000 Euro für den Entwicklungsprozess hat der Gemeinderat genehmigt – plus 100 000 Euro für Sofortmaßnahmen im neuen Jahr. So soll es im Sommer erstmals einen City-Beach geben, der Wochenmarkt wird erweitert, und in den Sommermonaten soll ein Wasserspiel für Kinder aufgestellt werden.

„Das sind alles Maßnahmen, die uns nicht Millionen kosten, und wir können erst einmal testen, wie sie ankommen“, sagte der Wirtschaftsförderer Sascha Dorday. Experimentieren ist angesagt. Auch Schlüsselprojekte hat der Gemeinderat ausgemacht. Das wichtigste: die Entwicklung des Volksbank-Areals, dem als Scharnier zwischen Bahnhof/Stern-Center und Wettbachplatz eine strategische Bedeutung zukommt. Entwicklungsbedarf sieht der Gemeinderat darüber hinaus für das Stern-Center und die Mercedesstraße und bei der Gestaltung des Marktplatzes.

Der CDU-Chef mutiert zum Rapper

Trotz Haushaltskonsolidierung und Gewerbesteuereinbruch – das Thema Innenstadt soll nach den Vorstellungen der Stadträte und der Verwaltungsspitze nicht liegen bleiben, sondern zügig angegangen werden. „Die Innenstadt soll zur Mitte werden, zum Lebensraum für alle Bürger“ – so lautet das Motto.

Welche Interessen die unterschiedlichen Gruppen habe – das erkundeten die Stadträte während der Klausurtagung mit einem Planspiel, bei dem sie in andere Rollen schlüpfen mussten. So lautete die Aufgabe für den 70 Jahre alten CDU-Fraktionschef Walter Arnold, sich in die Lebenssituation eines 25-jährigen Rappers hineinzudenken.

Dem Linken-Rat Richard Pitterle wurde die Rolle eines 15-jährigen Mädchens zugelost, und der AfD-Rat Winfried Meffert musste sich in den Alltag einer lesbischen Frau einfühlen.