Die Böblinger Kulturmeile von der Stadtkirche bis zur Zehntscheuer strahlte am Samstagabend in allen Farben. Foto: factum/Granville

Bei der städteübergreifenden Langen Nacht der Museen erzählen die beiden Kulturamtsleiter Anekdoten aus der Geschichte – das Verhältnis der beiden Städte war auch vor 100 Jahren schon schwierig.

Sindelfingen/Böblingen - Wenn etwas funktioniert in der bisweilen ziemlich schwierigen Zusammenarbeit der Nachbarstädte Böblingen und Sindelfingen, dann ist es die gemeinsame Lange Nacht der Museen. Bereits zum 15. Mal ging sie an diesem Samstag über die Bühne – mit Lichtkunst in Böblingen, Familienprogramm in Sindelfingen und Sonderführungen durch die Museen in beiden Städten an insgesamt 16 Lokalitäten. Anlass genug, das durchaus ambivalente Verhältnis der Nachbarn zu beleuchten, finden die beiden Kulturamtsleiter, Horst Zecha aus Sindelfingen und sein Böblinger Kollege Peter Conzelmann.

Proppenvoll war das Dachzimmer im Sindelfinger Stadtmuseum, wo die Kulturchefs ihre Anekdoten zum ersten Mal präsentierten, anschließend folgte im Böblinger Bauernkriegsmuseum die zweite Runde. Enthüllungen über aktuelle Scharmützel zwischen den Rathäusern dürfe man aber nicht erwarten, dämpfte Zecha zu Beginn die Erwartungen des Publikums: „Wir wollen unseren Job behalten. Deshalb gibt es nur Geschichten aus der Vergangenheit.“ Conzelmann versprach: „Sie werden Parallelen zu heute entdecken.“

Bereits vor hundert Jahren musste der Landrat zwischen den Städten vermitteln

Und die gibt es in der Tat. Besonders aufschlussreich sind die Aufzeichnungen von Georg Kraut, der von 1919 bis 1937 Schultheiß in Böblingen war. Als Auswärtiger aus Künzelsau pflegte er nicht die Vorbehalte vieler Böblinger gegen die Nachbarn aus Sindelfingen. Dabei gab es bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts Animositäten in Hülle und Fülle; doch auch damals wusste man, dass man sich bei manchen Projekten zusammenraufen müsse.

So tagte vor der Gründung einer gemeinsamen höheren Schule – dem späteren Goldberg-Gymnasium – eine Kommission, bestehend aus den zwei Bürgermeistern und jeweils drei Gemeinderäten. Doch diese konnten sich nicht einigen und der Bezirksrat – vergleichbar dem heutigen Landrat – musste vermittelnd eingreifen. Der Böblinger Bürgermeister Kraut kam den Sindelfingern entgegen. Als Standort schlug er das damals freie Hochplateau auf dem Goldberg vor. Das Areal liegt auf Sindelfinger Gemarkung, wenn auch ziemlich genau zwischen den beiden damals kleinen Städten. Nicht alle Böblinger waren damit einverstanden und mokierten sich über den Standort auf der Nachbargemarkung.

Während der Inflation gab es gemeinsame Geldnoten

Beim Bau des Bahnhofs 1904 zogen hingegen die Sindelfinger den Kürzeren. Auch dieser war als gemeinsames Projekt geplant, es sollte an der Stelle der heutigen S-Bahn-Haltestelle Goldberg entstehen. „Bei den Planungen rückte der Bahnhof jedes Mal mehrere hundert Meter weiter nach Böblingen und wurde schließlich am heutigen Standort gebaut“, erzählte Horst Zecha. Durchgesetzt hatte sich damit die Böblinger Zuckerfabrik, die damit einen direkten Anschluss an die Bahnlinie hatte. Die Sindelfinger jedoch waren abgehängt vom Fortschritt. Sie initiierten deshalb bereits 1905 eine Buslinie nach Böblingen. „Einer der ersten Stadtverkehre in Württemberg“, so Zecha. Währen der Inflation 1923 gab es sogar gemeinsame Geldscheine, die die Städte drucken ließen und an die Bürger ausgaben – mit astronomischen Summen. Der höchste Schein war 200 Millionen Reichsmark wert.