Peter Gierer misst das Tempo der Autofahrer. Foto: Rüdiger Ott

Seit anderthalb Jahren misst eine Anlage den Verkehr an verschiedenen Stellen im Bezirk. Zeit für eine Bilanz.

Stuttgart-Sillenbuch - Die Daten gerinnen zu drei eng bedruckten Seiten Papier. Die liegen vor Ulrich Storz. Bei Brezel und Sprudel will er die Zahlen erklären, dafür hat er sich Unterstützung von Peter Gierer und Eckhard Philipsen geholt. Seit anderthalb Jahren messen sie den Verkehr im Sillenbucher Stadtbezirk. Mit einer mit weißen und roten Streifen umrandeten, elektronischen Anzeigentafel, die Autofahrern ihre Geschwindigkeit entgegen blinkt. Das Gerät speichert die Werte. Diese werden später per Computer ausgelesen. An rund 30 verschiedenen Stellen haben sie die Tafel schon aufgehängt, vor allem in Tempo-30-Zonen. Die Runde durch den Bezirk ist damit fast abgeschlossen, und bald werden die drei wieder von vorne beginnen. Zeit für eine erste Bilanz also.

Die besteht aus drei Erkenntnissen. „In den meisten Fällen sehen wir, dass viel gefahren wird und oft zu schnell“, sagt Storz. Nur wenige halten sich an Tempo 30, zumindest dort, wo die Straßen zum Schnellerfahren einladen. Das ist die erste Erkenntnis. „Wir haben selber gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, immer genau Tempo 30 zu fahren“, sagt Peter Gierer.

In Heumaden fällt die Nellinger Straße auf

Besonders zügig sind die Autofahrer in Sillenbuch entlang der Kernenblickstraße, der Tuttlinger Straße und der Oberwiesenstraße unterwegs. Im Schnitt fährt jeder Sechste an diesen Stellen mit mehr als 40 Stundenkilometern. Auffällig ist, dass die gemessenen Geschwindigkeiten in Richtung Tal niedriger sind als aufwärts. In Heumaden fällt die Nellinger Straße auf, jeder Neunte überschreitet dort die 40 Stundenkilometern. In Riedenberg, wo sich die Schemppstraße und die Feigenstraße als Einbahnstraßen durch den Ortskern ziehen, sind die Geschwindigkeitsüberschreitungen geringer.

Storz, Gierer und Philipsen engagieren sich vielfältig in Sillenbuch. Storz sitzt für die SPD im Bezirksbeirat. Wie auch Gierer, der sich nebenher zudem für Ortshistorisches interessiert. Philipsen wiederum ist der Kopf der Lokalen Agenda, einem losen Zusammenschluss von Menschen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung im Stadtbezirk einsetzen.

In wechselnden Konstellationen ziehen sie und drei weitere Helfer alle paar Wochen mit einer Leiter los, stellen sie unter einen Masten und steigen hinauf. In zweieinhalb Meter Höhe zurren sie die Tempotafel an der Stange fest. Knapp 14 Tage hält der Akku, dann ist der Strom weg, und meist ist das dann auch Anlass dafür, einen neuen Standort für das Messgerät zu suchen.

„Wir sind vorsichtig mit absoluten Zahlen“

„Es gibt Messungenauigkeiten“, sagt Storz. Die tatsächlichen Geschwindigkeiten können laut dem Hersteller der Tafel um bis zu drei Prozent abweichen, Autos zählt das Gerät noch ungenauer. „Deshalb sind wir vorsichtig mit absoluten Zahlen“, sagt er. „Bislang hatte ich aber nicht den Eindruck, dass wir eine typische Raserstrecke ausfindig gemacht hätten.“ Das ist die zweite Erkenntnis. Zwar würden immer mal wieder Fahrzeuge mit 80 Stundenkilometern oder mehr gemessen. Das sind aber Einzelfälle. „Das könnten zudem auch Krankenwagen sein, wir wissen es nicht“, sagt Ulrich Storz.

Die Straße, auf der in Sillenbuch mit am schnellsten gefahren wird, wurde außer zu Testzwecken vor anderthalb Jahren noch gar nicht untersucht. Tagsüber stehen die Autos aber ohnehin auf der Kirchheimer Straße meist im Stau. Nachts indes könnte der eine oder andere geneigt sein, mit Vollgas von Degerloch kommend in den Ort zu rauschen. „Es wäre interessant, dort mal die Anlage aufzustellen“, sagt Storz.

Die Tafel haben sie vor anderthalb Jahren übernommen. Ursprünglich war sie für den Bürgerverein Riedenberg-Sillenbuch angeschafft worden. Die Kosten von 3000 Euro hatte die Stadt übernommen, allein 1000 Euro kamen vom Bezirksbeirat. Weil der Verein aber unter Personalmangel litt, fehlte schon bald der Kümmerer. Erst hing die Anzeige stromlos an einem Pfosten an der Florentiner Straße, dann verschwand sie in einem Lager.

„Die Wahrnehmung ist anders als die objektive Messung“,

Mancherorts sind Beschwerden rundheraus unbegründet. An engen und unübersichtlichen Stellen gehen die Autofahrer automatisch vom Gas. Das ist die dritte Erkenntnis, auch wenn sie verkehrsgeplagten Anwohnern nicht immer gefallen mag. „Die subjektive Wahrnehmung ist vollkommen anders als die objektive Messung“, sagt Gierer. „Ein Lastwagen wird als schneller wahrgenommen als ein Porsche.“

„Leute sind zum Beispiel an uns herangetreten und haben gesagt, die Rudolf-Brenner-Straße sei ein Schleichweg und dort würde gerast“, sagt Ulrich Storz. Die Tafel widerspricht dieser Behauptung . Tatsächlich seien die Autofahrer dort im Schnitt mit 28 Stundenkilometern ziemlich gesittet unterwegs.

Eines können die Daten nicht ersetzen: das Gespräch mit den Menschen vor Ort. Viele wüssten zum Beispiel gar nicht, dass sie sich in einer Tempo-30-Zone befinden. Anwohner würden zudem immer wieder davon berichten, dass Autofahrer über die Gehwege rollen.