Spielen ist nicht erst seit der Coronapandemie wieder populär – auch bei Erwachsenen. Vor allem Retrospielzeug wie Modellautos funktioniert generationenübergreifend. Ein Sammler erzählt.
Ina Schäfer Die größten Schätze findet man noch immer auf dem Dachboden. Als Christian Blancks Sohn zwei Jahre alt war, sind dort alte Kisten aufgetaucht. Der Inhalt: unzählige Modellautos, zerkratzt, verbeult, voller Gebrauchsspuren. „Zu jedem einzelnen Fahrzeug kann ich eine Geschichte erzählen“, sagt Blanck. Man ist sich in der Familie noch immer uneins darüber, wessen Augen beim Entdecken heller geleuchtet haben, die des Vaters oder die seines Sohnes. Von diesem Moment an jedenfalls wurde im Hause Blanck gespielt. Die Autos wurden gestapelt, sind unterm Sofa verschwunden, irgendwann wieder aufgetaucht. Ein zweiter Sohn kam hinzu. Die Überholmanöver und Auffahrunfälle auf dem Wohnzimmerboden wurden rasanter, die vertikalen und horizontalen Arrangements spektakulärer, die Schrammen und Beulen an den alten Autos zahlreicher.
Dann hat Blanck begonnen, die Auto-Stillleben seiner Söhne zu fotografieren. Der Stuttgarter Strategieberater und Produktentwickler entdeckte zu der Zeit nicht nur die Liebe zu alten Spielzeugautos wieder, sondern auch die zur Fotografie. Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen. Vor wenigen Tagen ist sein nun schon vierter Bildband unter dem Titel „Kinderzimmerhelden“ erschienen. Je mehr Schrammen die Motive aufweisen, desto besser. „Ich bin eher Bolzplatz als Champions League“, sagt Blanck. Man soll den Autos ruhig ansehen, mit welcher Leidenschaft damit gespielt wurde. Retro ist angesagt, Altes wird neu entdeckt. In Mode, Film und Interieur orientiert man sich an früheren Jahrzehnten. Auch in der Spielwarenbranche ist diese Entwicklung zu beobachten. Kinder und Jugendliche drehen bunte Zauberwürfel in den Händen. Pokémon-Sammelkarten, die in den Neunzigern angesagt waren, werden auf Schulhöfen getauscht. Wie bei Familie Blanck sind es oft die Eltern, die den Nachwuchs mit der Begeisterung für Spielzeug aus ihrer eigenen Kindheit anstecken.
Brettspiele wie Monopoly werden wiederentdeckt
„Pandemie, der Krieg in der Ukraine, Inflation – wir leben in unruhigen Zeiten. Die Erinnerung an die Kindheit weckt positive Assoziationen. Deshalb erleben solche Themen immer wieder einen Schub“, sagt Christian Ulrich, Sprecher des Vorstands der Spielwarenmesse in Nürnberg. Die Fachhandelsmesse hat aufgrund der Coronapandemie pausiert. Seit Mittwoch, 1. Februar, findet sie zum ersten Mal wieder statt (und dauert bis Sonntag, 5. Februar). Sie ist die größte Zusammenkunft der Branche weltweit, mehr als eine Million Produkte aus fast 70 Ländern werden an fünf Tagen präsentiert. Erstmals öffnet sich die Messe auch für Verbraucherinnen und Verbraucher. Vorab hat ein internationales Komitee aus Journalisten, Trendscouts und Marktforschern die Trends ermittelt. Ein noch „junges Pflänzchen“ nennt Ulrich den Bereich der sogenannten Metatoys. Das sind Spielwaren, die ihre Nutzerinnen und Nutzer mit Virtual-Reality-Brillen in virtuelle Welten eintauchen lassen. Andere Produkte erklären Kindern, wie Kryptowährung funktioniert, oder lassen die Spieler mit NFTs, einer Art digitaler Kunstwerke, handeln.
Der Retro-Trend, der sich auch auf der Messe niederschlägt, ist da schon deutlich verbreiteter. Und dabei beschränkt er sich nicht nur auf Metallautos oder wiederentdeckte Brettspiele wie Monopoly, sondern umfasst auch Figuren aus Filmen, Serien und Comics. „Brands for Fans“ nennt es das Komitee. Benjamin Blümchen, Jurassic World, Mickey Mouse und die Power Rangers – viele Figuren scheinen generationenübergreifend zu begeistern. Häufig lösen Neuauflagen von Filmen und Serien eine Welle aus. Generell hat die Spielwarenbranche in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Vor allem Erwachsene haben während der Pandemie die Lust am Spielen wiederentdeckt. „Wir sehen am immer breiter werdenden Angebot, dass der Markt an Spielen, die sich an Erwachsene richten, wächst“, sagt Ulrich. Während der ersten beiden Pandemiejahre 2020 und 2021 konnte die Spielwarenbranche hohe Umsatzzuwächse generieren. Das berichteten der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie, das NPD-Marktforschungsinstitut und der Handelsverband Spielwaren auf einer Pressekonferenz im November. In der Pandemie, so die Fachleute, mussten die Kinder beschäftigt werden, damit die Eltern einigermaßen in Ruhe im Homeoffice arbeiten konnten. Gesellschaftsspiele für die Familie wurden gekauft oder entstaubt. Als besonders beliebtes Hobby unter Erwachsenen hat sich das Puzzeln entpuppt.
Während der Pandemie mit Spielen die Welt entdecken
„Einige Trends hat die Pandemie sicherlich befeuert“, meint Ulrich. Ein weiterer Trend, den das betrifft, ist der Bereich der Entdecker- und Wissensspiele. „Lange Zeit konnten wir nicht oder nur in sehr bescheidenem Maße reisen. Spiele aus dem Bereich ‚Discover‘ haben diese Lücke gefüllt. Durch sie konnten auch während der Pandemie fremde Länder oder Kulturen entdeckt werden.“ Das Wichtigste an Spielsachen, so sieht es auch Blanck, sei, „dass Geschichten im Kopf angehen“. Sein aktuelles Buch ist eine Hommage an die Marke Siku. Die Spielzeugautos aus Metall werden seit sechs Jahrzehnten gebaut. Genug Zeit also, um Geschichten zu sammeln, die ebenfalls Einzug in Blancks Buch gefunden haben. „Viele erkennen die Autos wieder, mit denen auch sie in der Kindheit gespielt haben. Doch jeder assoziiert etwas anderes damit“, so Blanck. Ob mit Virtual-Reality-Brille auf der Nase oder mit Spielzeugauto in der Hand, am Ende dienen die Spielsachen vor allem einem Zweck – mal kurz die Welt um sich herum zu vergessen.