Bei dem Münchner Großkonzern Siemens drohen Werksschließungen und Entlassungen. Foto: AFP

Siemens steuert auf einen fundamentalen Konflikt mit Belegschaft und IG Metall, aber auch Teilen der Politik zu. Es drohen Werksschließungen und Entlassungen im großen Stil – trotz eines Beschäftigungspakts.

München - Siemens steuert auf einen fundamentalen Konflikt mit Belegschaft und IG Metall aber auch Teilen der Politik zu. Stellenabbau hat es in den vier Jahren, in denen Joe Kaeser an der Spitze des deutschen Vorzeigekonzerns steht, schon öfter gegeben. Aber dabei wurde immer der Betriebsfrieden gewahrt, auch wenn es vielfach um Tausende Arbeitsplätze gegangen ist.

Diesmal aber droht die Lage zu eskalieren, einmal weil es mutmaßlich zum Tabubruch kommt, zum anderen weil sich Kaeser eine mehrwöchige Hängepartie erlaubt, in schon einige Horrorszenarien durch die Flure von Siemens gegeistert sind und weiter geistern werden, bis endlich die bittere Wahrheit verkündet wird. Auf das Schlimmste vorbereitet hat schon einmal Personalchefin Janina Kugel. Das sind betriebsbedingte Kündigungen im großen Stil. Allein in Deutschland soll es um bis zu 4000 Stellen gehen und die Schließung mehrere Standorte, heißt es im Haus. Offiziell bestätigt wird das bislang nicht.

Werke in Ostedeutschland stehen offenbar zur Disposition

Weil der Schwerpunkt des Kahlschlags Ostdeutschland zu erfassen droht, ist die Angelegenheit mittlerweile auch zum Politikum geworden. Denn ganz oben auf der Liste der Werke, die dem Vernehmen nach vom Aus bedroht sind, stehen mit Görlitz, Erfurt und Leipzig gleich drei Standorte der fundamental kriselnden Kraftwerkssparte. Allein dort geht es in der Summe um 1500 Jobs. Das ist eine Menge, in einer Region, die nicht mit Industriejobs gesegnet ist und bei der jüngsten Bundestagswahl einen immensen Anstieg der extremen Rechten erlebt hat. “Hier Stellen zu streichen wäre nicht nachvollziehbar“, hält Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich dem Siemens-Boss entgegen und spricht damit Amtskollegen aus anderen betroffenen Bundesländern aus der Seele. Niedrige Einkommen, wie es sie in Sachsen gibt, und damit deutlich niedrigere Abfindungen dürften nicht das entscheidende Kriterium bei einem Personalabbau bilden, ätzt Tillich. Auch die scheidende SPD-Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat Siemens bereits im Vorfeld des sich abzeichnenden Kahlschlags ungewöhnlich deutlich kritisiert und an die gesellschaftspolitische Verantwortung eines großen Arbeitgebers appelliert.

Eigentlich Beschäftigungspakt geschlossen

Siemens-intern wiederum steigt die Hitze, weil der Konzern mit Betriebsräten und IG Metall eigentlich einen unbefristeten, wenn auch mit Öffnungsklauseln versehenen, Beschäftigungspakt geschlossen hat, der betriebsbedingte Kündigungen sowie eine Schließung heimischer Standorte ausschließt. Von einem groß angelegten Angriff auf die Arbeitnehmerseite spricht deshalb die IG Metall und macht mobil. Erste Demonstrationen an mutmaßlich betroffenen Standorten hat es bereits gegeben, aber das dürfte erst ein Vorgeschmack gewesen sein, wenn es annähernd wie befürchtet kommt. Selbst um Standorte wie Offenbach mit 600 Siemensianern ranken sich mittlerweile Schließungsgerüchte. Personell ungeschoren dürften auch die beiden größten Werke der Krisensparte mit Mühlheim (4500 Beschäftigte) und Berlin (3700 Mitarbeiter) kaum davon kommen. Dazu kommt, dass sich auch im Geschäft mit Prozessindustrie und Antrieben und damit in einer zweiten Geschäftsdivision größerer Stellenabbau ankündigt.

Sturm könnte am Donnerstag losbrechen

Zusammen ergibt das einen ziemlich perfekten Sturm. Der dürfte bereits kommenden Donnerstag anschwellen, wenn Kaeser in München eine mutmaßlich hoch profitable Siemens-Bilanz für das Anfang Oktober beendete Geschäftsjahr 2016/17 vorlegen wird. Erst gut eine Woche später will Siemens nach bisheriger Planung dann sagen, welche Einschnitte auf das Personal zukommen. Gute und schlechte Nachrichten sollen so zeitlich voneinander getrennt werden. Zur Besänftigung von Betroffenen, Betriebsräten und Gewerkschaft trägt das nicht bei. Das Management wäre besser beraten, zumindest die Ursachen und Eckpunkte des Kahlschlags spätestens zur Bilanzvorlage mit vorzulegen oder am besten noch früher diese Woche.

Bei Gamesa Siemens könnten zudem 6000 Stellen wegfallen

Der Windturbinenhersteller Siemens Gamesa leidet zudem unter einem steigenden Preisdruck für Windenergieanlagen an Land. Das Unternehmen, das aus dem Zusammenschluss des Windenergiegeschäfts von Siemens mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa entstanden ist, will nun in drei Jahren bis zu 6000 Stellen in 24 Ländern streichen. Damit wird der Sparkurs deutlich verschärft. Der Abbau von 700 Stellen war bereits bekannt. Die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern sollen „unverzüglich beginnen“, hieß es am Montagabend in einer Mitteilung.

Erst Mitte Oktober hatte Siemens Gamesa mit einer Gewinnwarnung negativ überrascht. Abschreibungen auf Lagerbestände vor allem in USA und Südafrika wurden als Grund genannt. Das Unternehmen tauschte daraufhin einige Vorstände aus: Sowohl der Finanzchef als auch der für Meeres-Turbinen zuständige Manager mussten gehen. Es ist nicht die erste Enttäuschung bei Siemens Gamesa seit dem im Frühjahr wirksam gewordenen Zusammenschluss: Schon für das dritte Quartal hatte der Konzern schwache Zahlen vorgelegt.