Kann das sein? Laut Studie der Stadt Stuttgart zeigen nur zwei Drittel der Opfer einen Wohnungseinbruch an. Foto: dpa

Wie viele Opfer von Kriminalität gibt es wirklich? Eine Bürgerumfrage der Stadt Stuttgart liefert nun erstaunliche Erkenntnisse über sehr hohe Opferzahlen – doch die Studie hat offenbar Schwächen.

Stuttgart - Eigentlich wollte Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) ein positives Signal aussenden: Trotz allgemeiner Terrorangst fühlten sich die Stuttgarter weniger von Kriminalität bedroht, so sein Fazit über die Bürgerumfrage zum Thema Sicherheit. „Die bundesweit sprunghaft angestiegene Sorge über Terroranschläge schlägt sich nicht im lokalen subjektiven Sicherheitsgefühl nieder“, so Schairer. Allerdings müssten bei den Angaben zu persönlichen Opfererfahrungen die Alarmglocken schrillen – sollten die Daten stimmen.

Der Teufel steckt im Detail, und so stecken in der Sicherheitsstudie diese Nachrichten: Knapp 12 000 Männer sollen im vergangenen Jahr das Opfer eines Wohnungseinbruchs geworden sein. Mehr als 14 000 männlichen Opfern wurde in den letzten zwölf Monaten das Fahrrad gestohlen. Immerhin 4700 wurden auf der Straße ausgeraubt, und mehr als 2300 Männern wurde im letzten Jahr das Auto gestohlen. Diese Zahlen ergeben sich aus den entsprechenden Opferquoten der Umfrage unter mehr als 4000 Befragten. Die Werte sind – statistisch zulässig, weil repräsentativ – auf die Stuttgarter Bevölkerung hochgerechnet.

Statistisch wurde letztes Jahr 2300 Männern das Auto gestohlen

Die Stuttgarter Polizei ist überrascht: „Die Realität sieht anders aus“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen. Allerdings sei die städtische Studie „nicht unsere Statistik, wir können nur unsere eigenen Daten bewerten“, so Petersen. Hochgerechnet 12 000 Wohnungseinbrüche – allein mit männlichen Opfern? Der Blick in die Kriminalstatistik der Polizei im Jahr 2016 zeigt, dass lediglich 1133 Diebstähle aus Wohnräumen, und davon auch nur 685 klassische Wohnungseinbrüche, registriert wurden. Die Fallzahlen für 2017 sind noch nicht öffentlich, sie sollen aber deutlich gesunken sein.

2300 Männer, denen im letzten Jahr das Auto gestohlen wurde? Auch mit einer solchen Größenordnung kann Polizeisprecher Petersen nicht dienen. Im Jahr 2016 wurden lediglich 62 Fahrzeuge als gestohlen gemeldet. Die städtische Opferzahl wäre demnach 40-mal höher als die der Polizei – weibliche Opfer kämen noch dazu.

Haben die Befragten die Frage nicht verstanden?

Stimmt also etwas an der Sicherheitsstudie nicht – oder gibt es da ein gewaltiges Dunkelfeld? Eine solche Hochrechnung und Gegenüberstellung mit der Polizeistatistik seien nicht zulässig, sagt Thomas Schwarz, Leiter des Statistischen Amts und Autor der Studie. Denn die Befragten würden „nicht nur selbst erlebte, sondern auch im Umfeld passierte Straftaten in der Beantwortung vermischen“. Dabei lautete die besagte Frage eindeutig: „Ist Ihnen persönlich in den letzten zwölf Monaten in Ihrem Wohngebiet Folgendes zugestoßen?“ Etwa: „Einbruch in die Wohnung“, „Diebstahl des Autos“ oder „Auf der Straße ausgeraubt worden“.

Schwarz schränkt ein, dass auch schon das Statistische Bundesamt erklärt habe, dass eine Vergleichbarkeit von Kriminalstatistik und Opferbefragungen eingeschränkt sei. Weil es nicht „exakt dieselben Kategorien“ gebe. Außerdem stimme „die juristische Definition mit dem Alltagsverständnis nur teilweise überein“.

Jeder dritte Wohnungseinbruch nicht angezeigt?

Entsprechend widersprüchlich bleiben auch die Aussagen der Opfer darüber, ob sie nach der Straftat Anzeige erstattet hätten. Demnach hatten nur 73 Prozent der Opfer der Polizei gemeldet, dass sie auf der Straße überfallen worden seien. Lediglich 72 Prozent hatten den Diebstahl ihres Autos angezeigt. Und gar nur 67 Prozent, also zwei Drittel, den Wohnungseinbruch. Sexuelle Belästigungen werden nur zu 42 Prozent der Polizei gemeldet. Statistiker Schwarz kann nur spekulieren: „Man weiß ja auch aus anderen Kriminalitätsstudien, dass die Dunkelziffer erstaunlich hoch ist.“

Doch gerade beim Wohnungseinbruch hält es die Polizei für überaus fragwürdig, dass ein Drittel der Fälle angeblich nicht angezeigt wird. „Beim zuständigen Dezernat ist es noch nie vorgekommen, dass man bei Ermittlungen nachträglich auf einen nicht angezeigten Wohnungseinbruch gestoßen wäre“, sagt Polizeisprecher Petersen. Ein so großes Dunkelfeld könne man sich „überhaupt nicht vorstellen“, so Petersen. Es sei höchstens denkbar, dass womöglich die Versuche nicht angezeigt würden.

Wohlfühlzonen Plieningen und Stuttgart-West

Alles nur ein Missverständnis? Dies würde freilich auch die Verlässlichkeit der Angaben zum subjektiven Sicherheitsgefühl infrage stellen. Hier sind immerhin die Werte über die letzten Jahre vergleichbar. Dabei zeigt sich, dass sich die Angst der Stuttgarter abends bei Dunkelheit in der Wohngegend insgesamt nicht verändert hat.2009 fühlten sich insgesamt 79 Prozent der Bewohner „sehr sicherbis eher sicher“ – wie nun auch 2017. Allerdings gibt es Unterschiede in den Stadtbezirken.

Abends am sichersten fühlen sich die Bewohner in Plieningen und im Stuttgarter Westen – mit 88 Prozent. Vergleichsweise unwohl fühlen sich die Einwohner von Zuffenhausen und Stammheim – mit einem Wert von jeweils 67 Prozent. Außerdem zeigt sich, dass sich die Gefühlslage in den vergangenen zehn Jahren nicht nur verbessert hat – in neun Stadtbezirken lief es anders. Laut Studie haben sich die Wohlfühlwerte in Bad Cannstatt, Botnang, Degerloch, Hedelfingen, Möhringen, Sillenbuch, Stammheim, Vaihingen und Zuffenhausen verschlechtert.