Tobias Claessens, Uwe Trentsch und Andrea Haygis (von rechts) Foto: Lichtgut/Rettig

Männer die nach Frauen grapschen tun dies oft im Schutze der Dunkelheit – auch in Stuttgarter Clubs. Ein Betreiber und sein Personal bieten Betroffenen künftig Soforthilfe an. Dafür gibt es das Codewort.

Stuttgart - Es ist Freitagabend, das Wochenende beginnt. Gegen 1 Uhr nachts brodelt es in den Clubs, es ist voll, es ist laut, Lichtblitze zucken im Rhythmus der Musik, es ist dunkel. Eine Hand auf dem Po der jungen tanzenden Frau bleibt ungesehen, das empörte „Hey! Nimm die Pfoten weg!“, ungehört. „Wenn viel los ist, bemerkt das keiner“, sagt Tobias Claessens, der Geschäftsführer der Clubs Pure und Cocolores an der Friedrichstraße.

Grapschereien, Belästigungen, sexuelle Übergriffe sind keine Ausnahme, das legt der offene Brief mehrerer junger Frauen nahe, der Anfang des Jahres in einer ostdeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Darin heißt es: „Es darf nicht sein, dass sechzehnjährige Mädchen, die das erste Mal mit Muttizettel ausgehen, von hinten angetanzt, angefasst und ohne ihr Zutun geküsst werden und denken, dass das normal ist. Ist es nämlich nicht. Das ist scheiße.“

Timo Bemsel ist derselben Meinung. Er ist Betriebsleiter der beiden Innenstadt-Clubs und sagt im Telefoninterview: „Wir erinnern täglich in unseren Personalbesprechungen kurz vor Öffnung der Clubs an das Thema und daran, was in einem solchen Fall zu tun ist. Wir wollen, dass sich die Frauen bei uns sicher fühlen.“

Beratungsstelle bietet Dienste an

Seit 2013 haben Bemsel und Claessens von 3 Uhr an Personal abgestellt für den Fall, dass eine Frau zum Bahnhof, in die Tiefgarage oder zu ihrem Auto begleitet werden wollte. Die Männer hatten immer gut zu tun. „Wir wollen aber zudem, dass sich die Frauen auch im Club sicher fühlen“, sagt Bemsel und verlässt sich dabei auf Luisa. Luisa ist ein Codewort. Wer sich bedrängt oder nicht sicher fühlt, kann beim Personal an der Theke fragen: „Ist Luisa hier?“ Die Barkeeper wissen dann, dass diese Frau Hilfe braucht, und sind gehalten, sie in einen sicheren Bereich zu führen, um zu klären, was zu tun ist. „Bei Bedarf rufen wir ein Taxi – oder die Polizei“, sagt Timo Bemsel. Am Wochenende tummeln sich zwischen 800 und 1400 Besucher in den beiden Clubs, „da ist immer wieder mal wer genervt“, sagt Tobias Claessens. Klar sei, dass die Mitarbeiter Lösungen anbieten sollen, nicht Küchentischtherapien. Die hilfesuchenden Frauen bekommen einen Flyer ausgehändigt mit Adressen und Notrufnummern des Stuttgarter Frauenberatungszentrums Fetz. „Manche Frauen suchen das Gespräch, andere wollen nicht reden oder stehen unter dem großen sozialen Druck eines Freundeskreises und wollen niemanden anschwärzen“, sagt Andrea Haygis von Fetz. Die Idee zum Projekt hat übrigens eine Selbsthilfegruppe für Betroffene sexueller Gewalt rund um Uwe Trentsch aus Köln importiert und will sie nun hier weiterentwickeln, auch im Landkreis Ludwigsburg. „Uns ist wichtig, dass die Frauen Rückhalt bekommen, dass auch andere sagen: Sexuelle Belästigung ist nicht normal“, so Trentsch.

Als Starthilfe hat er einmalig von der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) eine 1500-Euro-Förderung bekommen. In Hamburg, Berlin, Münster und Leipzig tut sich schon was, im Pure und Cocolores soll das Projekt für Stuttgarter Clubs Schule machen, die Geschäftsführer glauben, dass die anderen Clubs nachziehen. Tobias Claessens ist optimistisch: „Die Sicherheit für Frauen ist ein Wettbewerbsvorteil, denn Frauen entscheiden, was in der Gastro-Szene los ist: Wo Frauen hingehen, dorthin kommen auch die Männer.“