Der Polizeieinsatz in Ellwangen gilt als Beispiel für einen schwachen Staat. Foto: dpa

Der deutsche Staat zeigt sich schwach und schutzlos, da wittert die AfD Morgenluft, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Eine seltsame Geschichte: Detlev Karsten Rohwedder, der später von der RAF ermordete Treuhandchef, erzählte sie mir, als er noch in seinem alten Job als Chef der Hoesch AG arbeitete. Es sei wunderbar – so bekannte er damals –, nach einem Flug über den Atlantik in aller Herrgottsfrühe vollkommen unkontrolliert in die Bundesrepublik einzureisen. Das geschähe ihm des Öfteren, da manche Zollbeamte morgens um sechs Uhr noch nicht im Dienst seien. Doch er liebe diesen Nachtwächterstaat. Eine gefährliche Liebe. Sie hat ihn das Leben gekostet. So schwach war dieser Staat, dass er ihn nicht vor den Kugeln der Terroristen zu schützen vermochte.

Seither hat der Staat Bundesrepublik keineswegs an Kraft zugelegt, und dies zunächst zur Freude aller, die freiheitlich dachten und denken, denn mit einem übermächtigen, ja totalitären Staat haben wir in Deutschland katastrophale Erfahrungen gemacht. Im Auftrag jenes fernen menschenverachtenden Staates und scheinlegitimiert durch seine grausamen Gesetze sind die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit begangen worden. Kein Wunder, dass die Kinder, Enkel und Urenkel der dafür verantwortlichen Generation beim Gedanken an einen starken Staat sehr empfindlich sind.

Einst galt der schlanke Staat als Ideal, der Abbau der Polizei war angesagt

Schon das absolut harmlose Vorhaben einer Volkszählung löste anno 1987 bundesweite Proteste aus. Der schlanke Staat galt lange als Ideal, Abbau und Umbau der Polizei waren angesagt. Auch das Militär, im alten Preußen ein Sehnsuchtsort für ehrgeizige junge Männer aus gutem Hause, geriet nach Hitlers Krieg begreiflicherweise in Acht und Bann. So schüttelten viele voll Unverständnis ihr besorgtes Haupt, als sich der junge SPD-Politiker Helmut Schmidt am Ende der fünfziger Jahre freiwillig zu einer Wehrübung meldete, um die Parlamentsarmee mit ihren Bürgern in Uniform aufzuwerten.

Inzwischen ist die Wehrpflicht abgeschafft und der Etat für Verteidigung eines um das andere Mal abgeschmolzen worden. Das hat Folgen: Unsere Hubschrauber und Tornados fliegen nicht, die Gewehre treffen nicht, die U-Boote tauchen nicht, und es fehlt an Rekruten. Deutschland, das unter Adolf, dem Massenmörder, die Welt beherrschen wollte, hat sich in den Jahrzehnten danach vom menschenverachtenden Krieger zur verkrampften alten Jungfer gewandelt. Nicht Sieg, sondern Zurückhaltung, ja Demut heißt unser Panier.

Helmut Kohl beförderte diese Haltung. Sie war ja auch lange Zeit angemessen und nützlich. Doch inzwischen erweist sich die Jungfer Bundesrepublik als überreif, steht sie doch – zusammen mit anderen Europäern – ohne den Patenonkel aus Übersee ziemlich schutzlos da. Aber nicht einmal der jugendfrische Emmanuel Macron schafft es, die dröge Dame vor dem endgültigen Vertrocknen noch schnell zu erwecken. Sie zögert und traut sich nicht, weiß auch nicht so recht, wer sie eigentlich ist. Stark oder schwach, das ist hier die Frage.

Die Diener des Staates winken Leute ohne Papiere durch

Zwar spielt die Bundesrepublik wirtschaftlich eine Hauptrolle, sticht andere aus, was nicht die ganze Welt erfreut. Gleichzeitig will sie aber die liebenswerteste aller Republiken sein, ein Gegenentwurf zum Dritten Reich, hilfreich und gut, mild zu bösen Mächten, tolerant auch zu Intoleranten, zaghaft nach innen wie nach außen.

Wenn einstmals in deutschen Schreckenszeiten alles verboten war, so ist nun ziemlich viel erlaubt. Darüber freuen sich die meisten, manchmal freilich auch nicht. Man will keine knüppelnde Polizei, aber eine, die davonläuft vor einem Häuflein Asylbewerber und drei Tage später mit 500 Mann Verstärkung wiederkommen muss, um einen einzigen abgelehnten Flüchtling abschieben zu können, bei Gott, so eine Nachtwächterei will man auch nicht.

Gab es bis weit in die Nachkriegszeit Beamte, die sich gerne aufspielten gegenüber einem Hilfe heischenden Bürger, ihn warten ließen oder schikanierten, so überschlagen sich jetzt die Diener unseres Staates vor Güte in manchen Außenstellen des Amtes für Flüchtlinge und Migration. Sie winken Leute ohne Papiere oder mit gefälschten Unterlagen einfach so durch, erteilen Anerkennungen, wo zumindest Aufmerksamkeit geboten wäre. Noch weiß man nicht, ob nur übertriebene Menschenfreundlichkeit, Schlamperei oder doch auch Korruption dahintersteckt. Und das in Deutschland! Die Leute von der AfD wittern Morgenluft. Heilige Jungfrau Bundesrepublik! Ich bitt‘ für dich.

Angela Merkel – unsere laue Majestät

Schwache Polizisten, undichte Grenzen, unzuverlässige Verwaltungsbeamte, eine Masseneinwanderung und kein Einwanderungsgesetz, überforderte Gerichte und, nicht zu vergessen, hilflose Lehrer. Es ist noch gar nicht so lange her, da haben die alten Pauker Tatzen und Ohrfeigen unter ihren Schülern ausgeteilt. Nun sind sie es, die sich an Leib und Seele verletzen lassen müssen – das eine so schlimm wie das andere. Kurzum, die Jungfrau ist in der Defensive.

Da muss sie heraus. Ein bisschen mehr Staat und Selbstvertrauen darf es schon sein. Aber mit Angela Merkel, unserer lauen Majestät, und Andrea Nahles, die der Kanzlerin zur Seite stehen und gleichzeitig in die Fresse hauen will, wird das wohl nichts.