Auch am Montag ist die Tübinger Straße illegal zugeparkt. Die Euphorie der Händler dort hält sich in Grenzen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit einem guten halben Jahr hat das Gerber an der Paulinenbrücke geöffnet. Seither sind mehr Menschen im Viertel unterwegs. Doch die Euphorie bleibt bei vielen Händlern rund um den Einkaufs- tempel aus: Bisher klingelt besonders die Stadtkasse – durch Falschparker.

Stuttgart - Der vergangene Samstag war ein Tag so recht nach dem Geschmack der Händler im Einkaufszentrum Gerber und in seiner Nachbarschaft. Das Parkhaus voll, die Geschäfte auch. „Da war die Hölle los, so wie früher nur vor Weihnachten“, sagt Kerstin Sänger. Sie wechselt mit ihrem Fotohaus in der Tübinger Straße am 27. April die Straßenseite und vergrößert sich. Das Gerber habe die Kundenfrequenz und auch die Umsätze erhöht – zumindest jeweils von Donnerstag bis Samstag.

Am Montagnachmittag sieht das schon wieder ganz anders aus. Im oberen Stockwerk des Einkaufszentrums herrscht gähnende Leere. Zwei Geschäfte haben geschlossen, der Modeladen Madonna wirbt mit totalem Räumungsverkauf. „Wir werden aber weiterhin geöffnet haben“, sagt die Verkäuferin. Weil die ganze Gruppe insolvent ist, schließen anderswo Filialen, die Waren werden umverteilt. Bereits kurz nach Öffnung hatten im Gerber zwei Läden dicht gemacht und fehlende Umsätze beklagt.

Bei schönem Wetter flanieren die Leute lieber im Freien

„Zu Wochenbeginn herrscht tote Hose“, heißt es in einem anderen Geschäft. Insgesamt entsprächen die Umsätze dennoch einigermaßen den Erwartungen. Das bestätigen auch andere Händler. Freitag, Samstag und Ferienzeiten seien gut, über die restliche Zeit spreche man lieber nicht. „Wenn das Wetter noch lange so schön bleibt, bekommen wir allerdings ein Problem“, sagt eine Ladenbetreiberin.

Dann flanieren die Leute lieber im Freien. Also auf der Tübinger Straße und im Gerberviertel. Die Gegend rund ums Einkaufszentrum sollte zu den großen Gewinnern in der Stuttgarter Innenstadt gehören. Die Umgestaltung der Tübinger Straße in einen sogenannten Shared Space, also eine Mischfläche, in der das Parken verboten ist und alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind, und das Gerber sollten dem gesamten Areal Aufwind verleihen.

Ob das gelungen ist, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Kerstin Sänger, die auch im Gerberviertelverein aktiv ist, sieht Erfolge, und auch Citymanagerin Bettina Fuchs hält die Entwicklung für positiv: „Dort ist heute deutlich mehr los als früher. Der ursprüngliche Wunsch, das Viertel zu beleben, hat sich zu hundert Prozent erfüllt.“

"An 20 000 Besucher pro Tag glaube ich nicht"

Das sehen nicht alle so. „Freitags und samstags mögen ein paar Leute mehr unterwegs sein, aber ansonsten ist alles wie vor den Baustellen“, sagt Volker Gegenheimer. Er betreibt seinen Kiosk an der Tübinger Straße seit 20 Jahren und gehört damit zu den alten Hasen im Viertel.

Von großen Umsatzsteigerungen habe er nirgendwo gehört. Er wagt eine Prognose: „Irgendwann werden die Flächen im Center neu aufgeteilt. An 20 000 Besucher pro Tag glaube ich nicht, die Kunden fallen ja nicht vom Himmel.“

Auch diverse andere Händler in der Straße sagen unisono: Viel geändert hat sich nicht. Einige sprechen gar von steigenden Mieten. Andere bemängeln den Wegfall der Parkplätze durch den Straßenumbau. „Die Leute parken mir jetzt direkt den Eingang zu. Da müsste die Stadt in großem Stil abschleppen“, ärgert sich eine Händlerin.

Kontrolliert wird regelmäßig – vier Mal am Tag. Und es hagelt geradezu Strafzettel. Knapp 2000 Verwarnungen hat das Ordnungsamt im Shared Space bis Anfang April schon wieder verteilt. Im gesamten vergangenen Jahr sind es 8378 gewesen. Ein Lerneffekt tritt nicht ein, denn noch 2013 sind es 2400 weniger gewesen. „Von 15 Euro Strafe lassen sich viele offenbar nicht abschrecken“, heißt es im Ordnungsamt. Auch am Montagnachmittag ist alles zugeparkt. Jetzt sollen in den nächsten Wochen Bänke und weitere Elemente der Straßenmöblierung in Richtung Fahrbahn verschoben werden, um die Situation zu entschärfen.

Kostenloses Parken "sehr erfolgreich"

Das Gerber hat seine Aktion, in der ersten Stunde kostenlos parken zu können, bis Ende April verlängert. Die Aktion sei sehr erfolgreich, sagt ein Sprecher. Langfristig strebe man eine Lösung an, bei der auch die anderen Geschäfte im Viertel an einem Rückvergütungssystem beteiligt werden. „Die geschlossenen Geschäfte haben ein Betreiber-, kein Standortproblem“, so der Sprecher. Die Verträge bestünden weiterhin, zudem feile man am künftigen Profil des Centers und führe Gespräche mit interessanten Betreibern. Das gesamte Quartier verzeichne eine spürbare Belebung: „Es gilt bereits als neues Stuttgarter In-Viertel.“

Enttäuschte gibt es dennoch. Vielleicht ein Trost: Auch das Einkaufszentrum Milaneo hinterm Hauptbahnhof, mit Riesenandrang gestartet, nähert sich dem Normalbetrieb. In der vergangenen Woche haben einzelne Geschäfte gar überzähliges Personal nach Hause geschickt. „Verglichen mit der Frequenz am Anfang lässt es natürlich nach. Aber das haben wir immer gesagt und sind nach wie vor hochzufrieden“, sagt Centermanagerin Andrea Poul. Kamen im Dezember durchschnittlich 36 600 Besucher am Tag, sind es im März noch 28 000 gewesen. „Solche Entwicklungen und Mieterwechsel sind völlig normal“, sagt Citymanagerin Fuchs, „das muss man entspannt sehen.“ So mancher im Gerberviertel tut sich da schwer .