Zwei Schweizerinnen schieben in Konstanz ihren Einkaufswagen durch einen Supermarkt mit Bodensee-Relief. Der deutsche Einzelhandel profitiert derzeit vom starken Franken. Foto: dapd

Starker Franken lockt viele Eidgenossen zum Einkaufen nach Konstanz – Die Gastronomen jubeln.

Konstanz - Des einen Freud, des anderen Leid: Weil "die Dütsche" nicht mehr in den Massen zum Nüdeli- und Schoki-Einkaufen ins Nachbarland fahren, haben die großen Schweizer Discounter ihre Preise um bis zu 20 Prozent gesenkt.

Der normale Samstag-Einkaufswahnsinn in Konstanz: Für die gut drei Kilometer von der Stadtgrenze brauchen Autofahrer viel Geduld. Zwischen Bahnhof und der Einfahrt des Parkhauses im Einkaufscenter Lago geht nichts mehr. Eine Stunde Wartezeit. Weil die Kreuzung blockiert werden könnte, gibt's eine Umleitung in Richtung Zoll.

Die Stadtsheriffs winken gnadenlos weiter. Dann muss man sich wieder in die Kolonne einreihen, zwischen Autos mit Schweizer Kennzeichen: Zu den TG-, SG- und SH-Schildern der Grenzkantone Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen kommen auch Autos aus der Innerschweiz dazu.

Schweizer bekommt Mehrwertsteuer zurück

Noch immer gibt es für einen Franken 84 Cent. Als die Schweizer Währung Anfang August auf dem Höhenpunkt war, waren es sogar 96 Cent. Auch deswegen hat nur jedes siebte Auto, das ins Parkhaus fährt, ein deutsches Kennzeichen. Jetzt versteht man, wieso die Schweizer Nachbarn das Konstanzer Kennzeichen KN immer Kreuzlingen Nord nennen. In den Geschäften überwiegt das Schwyzerdütsch: "Hoi, sond'r au am Lädele?", ruft die Frau über zwei Schlangen an der Kasse eines Sportgeschäfts ihrer Nachbarin aus St. Gallen zu. Übersetzt: "Hallo, seid ihr auch beim Einkaufen?"

Auf der anderen Straßenseite, an der Kasse des Sporthauses von Peter Kolb, füllt jeder Schweizer Kunde beim Bezahlen die grünen Zettel der Umsatzsteuervergütung aus. Das Formular muss beim Grenzübertritt vom deutschen Zoll abgestempelt werden. Tausende sind es an manchen Samstagen. So mancher Räppli-Fuchser soll sich auch wegen 80-Cent-Produkten in die Schlange gestellt haben.

Beim nächsten Einkauf ist das Formular bares Geld wert. Die Mehrwertsteuer, umgerechnet auf den Verkaufspreis 15,9664 Prozent, bekommt der Schweizer zurück. "An Samstagen haben wir etwa ein Drittel Schweizer Kunden, wir leben ja seit Jahren davon", sagt Peter Kolb. Seit Jahrzehnten habe er rund 35 Prozent Schweizer Stammkunden. Kolb warnt aber vor den Schwankungen des Franken, die er seit langem kenne: "Der wird sich wieder auf dem Niveau von 65 Cent einpendeln."

Viele Läden sind schon geschlossen

 Viele Läden sind schon geschlossen

Die jetzige Situation würde allein dem Konstanzer Handel zehn Prozent mehr Umsatz bringen. Die Kaufleute können darüber froh sein. Weil Konstanz kein Umland hat, quasi mit dem Rücken zur Schweiz steht, können jetzt viele Geschäfte wieder positive Ergebnisse schreiben. In Kreuzlingen werden hingegen am Samstag um 14 Uhr die Bordsteine hochgeklappt. Viele Läden sind schon geschlossen. Dafür bahnt sich durch die Stadt ein Stau bis zur deutschen Grenze.

Die Frau von Dirk Petzold steht gern im Stau. Sie arbeitet als Sekretärin in der Schweiz. "Sie freut sich, denn sie hat seit Anfang des Jahres eine monatliche Gehaltserhöhung bekommen", sagt der Geschäftsmann aus Radolfzell. Petzolds Frau gehört zu rund 48.000 Deutschen, die als Pendler ihr Geld in der Schweiz verdienen. Rund 38.000 fahren laut Industrie- und Handelskammer in der Region Hochrhein-Bodensee zum eidgenössischen Arbeitsplatz.

Bevor der Franken-Kurs in die Höhe kletterte und fast zum Eins-zu-eins-Kurs gewechselt wurde, verdienten sie schon 20 Prozent mehr als ihre deutschen Kollegen. Aus diesem Grund haben schon Firmenchefs ihren deutschen Mitarbeitern eine Lohnkürzung angedroht. Andere wollen das monatliche Gehalt nur noch in Euro auszahlen. Die Model AG in Weinfelden im Kanton Thurgau lässt ihre Mitarbeiter fürs gleiche Geld zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten. Weil über die Hälfte der Schweizer Ausfuhren in den Euro-Raum gehen und der weiche Euro in harte Franken umgewechselt werden muss, sacken die Erträge ab.

Deutsche Gastronomen freuen sich

Und selbst die Schweizer Preise fallen: Weil die deutschen Kunden ausbleiben, hat der Discounter Migros in seinem Markt vor Schaffhausen die Preise gesenkt. Die Benzinpreise haben sich schon automatisch angeglichen. Der Liter Diesel kostet in der Schweiz weiter 13 Cent mehr, der Liter Super ist nur noch 2,8 Cent billiger. Die in den letzten Jahren wegen des Tanktourismus wie Pilze aus dem grenznahen Boden geschossenen Tankstellen von Kreuzlingen bis Basel bleiben leer.

Ins Jubeln geraten derzeit deutsche Gastronomen: Der Konstanzer Spitzenkoch Johann Kraxner verzeichnet in seinem Papageno, in dem er schon früher 50 Prozent Schweizer als Gäste zählte, einen weiteren Zuwachs um 20 Prozent. Auch Mario Antonitsch zählt in seinem Landgasthof Kellhof auf der Höri viele Schweizer.

Er erzählt von einem Kunden, der beim Essen in Winterthur für einen Espresso umgerechnet 4,65 Euro berappen musst. "Der geht doch nie mehr in die Schweiz zum Essen", scherzt Antonitsch. Schon jetzt kommt dort teilweise der Tourismus zum Erliegen. Hoteliers sprechen von bis zu 20 Prozent weniger Gästen.