Unmissverständliche Geste: Emmanuel Macron (rechts) drückt Donald Trump am 25. Mai in der US-Botschaft in Brüssel so fest die Hand, dass man weiße Flecken auf Trumps Greiforgan sieht. Foto: AP

Der neue französische Präsident Emmanuel Macron ist gefürchtet – für seinen energischen Handschlag. Donald Trump und Wladimir Putin mussten den „Händedrucks des Schreckens“ schon über sich ergehen lassen.Was steckt dahinter? Die Kulturgeschichte des Handschlags.

Stuttgart - Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist der neue Superstar unter den Händeschüttlern. Sein Handschlag mit US-Präsident Donald Trump am 25. Mai in der Brüsseler US-Botschaft – das erste Zusammentreffen der beiden Alphamännchen – artete zum nonverbalen Machtkampf aus. Sieger nach manuellen K. o.: Macron.

„Handshake-Battle“

Als „Moment der Wahrheit“ wird Macrons Handschlag gefeiert. „Episch“ nennt ihn die britische „Daily Mail“. Der „Guardian“ spricht von einer „angespannten Handshake-Battle“. „Ist das noch ein Handschlag – oder schon ein Ringkampf?“, fragt der „Spiegel“.

Trump verliert in seiner politischen Paradedisziplin

Dominator Trump versucht gequält lächelnd seine Phalangen aus der stahlharten Umklammerung des Franzosen zu bekommen. Vergeblich. Ausgerechnet in seiner politischen Paradedisziplin, dem Dominanz-Handschlag, muss sich der 70-Jährige geschlagen geben.

„Händedruck des Schreckens“

Selbst Russlands unerschrockener Staatschef Wladimir Putin hat bei seinem ersten Treffen mit Macron so viel Respekt vor dessen Händedruck, dass er zögert die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Der „Händedruck des Schreckens“, wie die Weltpresse Macrons Schraubstock-Griffel nennt, lässt selbst die härtesten Krieger erstarren. „Trump wollte einfach nur seine Hand wiederhaben“, twittert Steve Holland, Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters.

Merkel – Meisterin des sanften Shakehands

Ganz anders Angela Merkel. Ihr Besuch bei Putin in Sotschi Anfang Mai war so frostig wie der Übergang der Armee Napoleons über die Beresina anno 1812. Die Kanzlerin, ohnehin bekannt für ihre zurückhaltende Gestik, zeigt mit ihrem zögerlichen Händedruck-Minimalismus klare Kante gegen das russische Raubein.

Auch gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigte sich Merkel im Mai 2016 in Istanbul betont reserviert. Während der zwölfte Präsident der türkischen Republik artig ein Diener vor der Dame aus Berlin macht, schaut Merkel demonstrativ lächelnd zur Seite.

Trudeau, Merkel, Abe – und jetzt Macron

Donald Trump hat es in seiner noch jungen Amtszeit mit „Handshakes“ schon mehrfach in die Schlagzeilen geschafft. Im Februar schüttelte er 19 Sekunden lang die Hand des japanischen Regierungschefs Shinzo Abe. Im März verweigerte er Bundeskanzlerin Angela Merkel ostentativ den Handschlag. Das war nicht nur ein rüpelhafter Verstoß gegen diplomatische Sitten, sondern auch ein deutliches gestisches Zeichen der Geringschätzung und Herabwürdigung. „Mit DIR will ICH kein Händchenhalten!“, lautet die Botschaft.

Bei Kanadas Premierministers Justin Trudeau wollte Trump im White House der Erst-Handgeber sein. Doch der jugendlich-fesche Trudeau zögerte kurz, bevor er die Ausgestreckte seines Tischnachbarn ergriff. Für seine „Oberhand“ wurde er in den sozialen Medien gefeiert.

Tradition des Händeschüttelns

Der Hand-Knigge

Ein Normalo-Deutscher schüttelt etwa 15 000-mal während seines Lebens den Mitmenschen die Hand, haben Wissenschaftler ausgerechnet. Richtig die Hände zu geben ohne zu „schlagen“, ist eine Kunst, die eingeübt sein will. Nicht zu lange (drei bis vier Sekunden), nicht zu heftig (weder schütteln noch rühren), nicht zu lasch oder zu kräftig (wirkt erbarmungswürdig oder dominant), nicht zu warm und feucht (zeugt von Nervosität).

Das Händeschütteln ist ein in vielen westlichen Ländern ein gängiges Begrüßungs- und Verabschiedungsritual. Anderswo ist es traditionell auf gleichgeschlechtliche Kontakte – insbesondere unter Männern – beschränkt. In der modernen Mediengesellschaft ist das öffentliche Händeschütteln ein politisches Signal. Je länger es dauert, je inniger die Umklammerung, je stärker das Lächeln desto größer ist die vorgespielte binationale Verbundenheit. Die Handschläger werden zu Protagonisten der Völkerfreundschaft stilisiert.

Geste des Respekts

Als Geste der Begrüßung und Verabschiedung ist der Handschlag ein kulturübergreifendes Phänomen. Am Händedruck erkennt man instinktiv den Schlaffi oder Egomanen, den Pfadfinder oder Ghetto-Fäustling. Wer Angst vor Viren hat, vermeidet es die ausgestreckte Hand zu ergreifen und stößt damit sein Gegenüber vor den Kopf.

Dasselbe geschieht, wenn der eine glaubt aus religiösen, geschlechtlichen oder standesrechtlichen Gründen über dem anderen zu stehen. Wer den Handschlag verweigert, gilt als extrem unhöflich, unsozial und desintegrativ. Die leere Waffenhand auszustrecken ist ein Akt des Vertrauens. Er reicht sie zur Versöhnung, zum Frieden, zur Freundschaft.

Schon in der Antike war das Reichen der rechten Hand, ein Zeichen der Verbundenheit, des Aufhebens von Grenzen und des Stiftens von Gemeinschaft. Ob man wie im Hinduismus den anderen durch ein berührungsloses „Namaste“ begrüßt oder die Hand umschließt, ist letztlich unerheblich. Entscheidend ist die Geste. Wer sie ablehnt, grenzt sich selbst aus und darf auch nicht auf Respekt anderer hoffen.

Handschlag und Rituale

Wozu wir den Handschlag brauchen

Rituale wie das Händeschütteln gehören zur Natur des Menschen. Ohne sie wäre er ziel- und planlos. Unser ganzes Leben ist von ihnen durchwoben. Durch sie gewinnt der Mensch Sicherheit und Stabilität, sie schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität.

Doch welchem Zweck dienen sie? Ein Beispiel verdeutlicht den Unterschied zwischen Ritual und Gewohnheit: Einen Brotlaib schneiden ist eine Gewohnheit und instrumentelle Handlung, die man regelmäßig vollzieht und die einem unmittelbaren Zweck dient – nämlich das Brot für den Verzehr herzurichten. Rituale dagegen sind expressive Handlungen. Sie drücken etwas aus, was eine tiefere Bedeutung hat, und verbildlichen es.

„Was geht ab, Alter?“

Rituale laufen nach vorgegebenen Regeln ab, die formell und oft feierlich sind und einen hohen Symbolgehalt haben. Religiöse Rituale stellen alltägliches Tun in einen universalen Sinnzusammenhang. So ist das Bekreuzigen des Brotes Ausdruck des Glaubens an eine übernatürliche Macht, die dem Menschen Halt und Schutz verheißt und ihm seine tägliche Nahrung schenkt.

Nehmen wir ein profaneres Beispiel: Jugendliche begrüßen einander durch Handschlag oder eine Umarmung mit angedeutetem Wangenkuss. Diese Geste – mitunter noch unterstützt durch formalisierte Begrüßungsfloskeln („Wie geht’s?“, „Was geht ab, Alter?“, „Hallöchen“) – ist weit mehr als eine Bewegung der Arme, Hände und des Kopfes. Hier findet etwas statt, was Werte vermittelt und Gemeinschaft stiftet – ein Ritual. Rituelles Handeln ist immer körperbezogenes, kommunikatives und soziales Handeln.

Kein Leben ohne Rituale

Von der Wiege bis zur Bahre

Ein Leben ohne Rituale ist unmöglich. Die Neigung zu rituellem Tun ist dem Menschen angeboren und quasi in seinen genetischen Code eingestanzt. Das beweist die Tatsache, dass zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften Rituale vorhanden waren. Es gehört zu den wichtigsten kulturgeschichtlichen Leistungen, dass einschneidende Übergänge im Leben des Menschen rituell abgesichert wurden – buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre.

So vielfältig Rituale sind, so unterschiedlich werden sie wahrgenommen. Für die einen sind sie erhaben und feierlich, für die anderen hohl und überholt. Jugendlichen in der Pubertät ist die Lebensweise ihrer Eltern oft ein Graus. Deren Rituale erscheinen ihnen spießig und uncool.

Doch das Aufbegehren gegen Autoritäten ist selbst wieder Ausdruck ritueller Handlungen, die sich in der Adoleszenz von Generation zu Generation auf je eigene Art wiederholen und entscheidend zur Reifung der Persönlichkeit beitragen.

Grobmotoriker Trump und der Handschlag

Dass Rituale eine Zeit lang verbinden und dann infrage gestellt werden, hat damit zu tun, dass sie „keineswegs nur starr und sinnentleert sind, sondern lebendige Ereignisse darstellen, in denen sich eine Gemeinschaft immer wieder neu findet und an denen sie arbeitet“, erklärt der Heidelberger Indologe und Ritualforscher Axel Michaels.

Manchmal muss man eben wie Emmanuel Macron die Hand so lange schütteln, damit auch ein ritueller Grobmotoriker wie Donald Trump merkt, dass es ohne Ritual nun mal nicht geht.