Zwei, die sich gefunden haben: Shaggy (links) und Sting lernten sich bei der Aufnahme von „Don’t make me wait“ kennen. Foto: Universal

Innerhalb von nur sechs Wochen haben Shaggy und Sting mit „44/876“ ein gemeinsames Album aufgenommen. Im Interview sprechen die beiden Musiker über die ungewöhnliche Zusammen arbeit, Gemeinsamkeiten und Jamaika.

London - Eine unerwartete Paarung, um es mal vorsichtig zu formulieren. Shaggy (Orville Burrell, 49), ein jamaikanischer Pop-Reggae-Sänger, der um die Jahrtausendwende Charttriumphe mit forsch-frivolen Hits wie „Mr. Boombastic“, „It wasn’t me“ und „Angel“ feierte, und Sting (Gordon Sumner, 66), der als nimmermüder Frontmann von The Police und als einfallsreicher sowie hochgeachteter Solokünstler seit vier Jahrzehnten ein Weltstar ist, haben sich also tatsächlich zusammengetan. Und das Album „44/876“ – der Titel steht für die Telefonvorwahlen Großbritanniens und Jamaikas – in sechs flotten Wochen aufgenommen. Das Lustige: Es funktioniert.

Sting, Shaggy, gleich mehrere Ihrer Songs haben den Tagesanbruch zum Thema, sie heißen „Break of Day“ oder „Morning is coming“. Sind Sie Morgenmenschen?
Shaggy Heute zumindest war ich schon um 4 Uhr auf. Mein Gehirn fing an zu rattern.
Sting Ich liebe den Tagesanbruch. Ich war nie jemand, der ewig lange im Bett herumliegt. Faustregel: Wenn die Sonne aufsteht, steht auch Sting auf.
Woran liegt das?
Sting Mein Vater war Milchmann, ich habe ihn oft dabei begleitet, wenn er die Milch ausfuhr. Morgens um 5 Uhr holte er mich aus den Federn, alle meine Schulfreunde durften noch zwei Stunden weiterschlafen. Meistens war es kalt und regnerisch und kein Vergnügen. Aber irgendwie doch. Uns beiden gehörte die Straße. Mein Vater redete sowieso nichts, also träumte ich vor mich hin. Die Zeit zwischen 5 und 7 Uhr war immer schon meine Zeit.
Heute auch noch?
Sting Ja. Ich genieße es, in den ersten Stunden des Tages allein zu sein.
Auf Ihrem gemeinsamen Album „44/876“ geht es allerdings nicht ums Alleinsein, sondern um eure Freundschaft. Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Shaggy Ich war im Studio mit dem Produzenten Martin Kierszenbaum, der zugleich Stings Manager ist. Wir luden Sting ein, erst war nur geplant, dass er den Refrain zu „Don’t make me wait“ singt.
Sting Anschließend gingen wir beide unserer Wege, ich war auf Tour, und ein Jahr später wollten wir den Song dann vollenden. Dieses Mal hatte ich etwas mehr Zeit und tja, so lernten wir uns näher kennen. Wir wurden Freunde und stellten fest, dass wir eine Menge gemeinsam haben. Überhaupt hatten wir abartig viel Spaß zusammen.
Shaggy Die Geschichte unserer Freundschaft ist zugleich die Geschichte dieses Albums. Wir hatten sechs Wochen, haben erst „Don’t make me wait“ vollendet, dann noch einen Song und noch einen Song und noch einen Song. Ohne dass es uns komplett bewusst war, hatten wir plötzlich ein komplettes Album.
Was sind Ihre Gemeinsamkeiten?
Sting Musikalisch sind wir überhaupt nicht weit auseinander. Außerdem haben wir einen ähnlichen Blick auf die Welt, die Menschheit und die Natur.
In „Don’t make me wait“ geht es um den Moment, in dem man jemanden sieht und weiß, das könnte was werden.
Shaggy Ganz genau. Als ich meine Frau Rebecca, mit der ich seit zwanzig Jahren zusammen bin und drei Töchter habe, kennenlernte, war direkt dieses gute Gefühl da. Ich spürte, dass ich nichts dagegen hätte, den Rest meines Lebens mit dieser Person zu verbringen.
Sting Bei Trudie (Stings Ehefrau Trudie Styler, die beiden haben sechs erwachsene Kinder, Anmerkung der Redaktion) wusste ich sofort, dass diese Person mein Leben verändern würde. Manchmal kämpft man gegen dieses Wissen an, aber es ist so machtvoll und so stark, dass du dich nicht wehren kannst. Sich zu verlieben ist ein Phänomen, das dir Angst macht. Zum Glück passiert es selten und nur mit einem relativ überschaubaren Kreis von Personen – im Idealfall nacheinander.
Ist „Dreaming in the USA“ ein Liebeslied an die Vereinigten Staaten?
Sting Ja. Amerika hat uns beide aus guten Gründen angezogen und angelockt. Für mich, aufgewachsen in der englischen Provinz in einem Arbeiterklassehaushalt, war Amerika ein Hafen der Freiheit, wirklich auch ein Land der Möglichkeiten und Chancen. Ich liebte die Musik, die Filme, überhaupt die ganze Kunst und Kultur – und ich schwärme für all das immer noch. Amerika, so ist meine Meinung, sollte ein Gewährleister und eine Insel des Friedens und der freien Entfaltung sein. Und es macht mir Angst, wenn dieser Zustand in Gefahr ist. Mauern bauen zu wollen und Leute aus dem Land zu jagen, die die falsche Religion oder Hautfarbe haben, das ist nicht mein Amerika. Ich finde es wichtig, Solidarität zu zeigen.
Wie bekommen Sie Ihr Amerika zurück?
Sting Durch Demokratie. Die Menschen merken doch selber, dass gerade kein gutes und zukunftweisendes politisches Zeitalter ist. Das Pendel wird in unserem Sinne zurückschwingen, davon bin ich felsenfest überzeugt.
Shaggy Ich bin vielleicht naiv, doch ich glaube an das Gute im Menschen. Selbst sehr mächtige Menschen haben ein Herz. Sie müssen es manchmal nur finden.
Sting, Sie haben vor zwei Jahren gesagt, dass Sie sich um die US-Staatsbürgerschaft bemühen wollen. Sind Sie jetzt Amerikaner?
Sting Nein, ich wollte dann doch nicht. Ich bin immer noch sehr britisch, ich habe einen gesunden Patriotismus. Und in New York, wo ich lebe, bringt das Wahlrecht nichts. Ich müsste schon nach Ohio oder Pennsylvania ziehen, um als US-Bürger bei den Wahlen etwas zu bewirken, aber da macht meine Frau nicht mit.
Stimmt es eigentlich, dass Sie damals „Every Breath you take“ auf Jamaika geschrieben hast?
Sting Das stimmt. Ich war immer stark von Reggae und überhaupt von jamaikanischer Musik inspiriert, schon als Kind. Die Affinität habe ich mir bis heute bewahrt. Ich mag auch die Jamaikaner selbst sehr gern, das sind feine Menschen.
Sie waren vor einigen Monaten dort, um mit Shaggy für dessen Wohltätigkeitsorganisation aufzutreten und Geld für ein Krankenhaus zu sammeln, das er unterstützt.
Sting Ja, das war klasse. Ich war bestimmt zwanzig Jahre nicht in Kingston, der Hauptstadt, gewesen. Natürlich ist alles moderner geworden, aber die Menschen sind immer noch genauso herzlich, freundlich und enthusiastisch, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Sind Sie dort wirklich auf Jamaika mit Motorrädern herumgefahren oder posieren Sie nur fürs Albumcover von „44/876“ auf den Maschinen?
Sting Aber selbstverständlich sind wir damit auch gefahren. Ach was, gedüst sind wir. Plötzlich waren die Straßen sehr frei.

Das Gespräch führte Steffen Rüth.