Der Betrieb in der Bosch-Kita geht weiter, derTäter wurde überführt, fristlos entlassen und der Justiz übergeben. Foto: factum/Granville

Gegen sexuellen Missbrauch in Kitas hilft nur Aufmerksamkeit, meint unser Kommentator Rafael Binkowski.

Schwieberdingen - Die Vorstellung weckt Urängste und ist verstörend. Kinder sind verletzlich, offen und benötigen liebevolle Erziehung – genau das erwarten Eltern von einer Kindertagesstätte, wenn sie ihre Liebsten dort abgeben. Dass über Jahre hinweg kleinste Kinder in Schwieberdingen von einem angehenden Erzieher missbraucht und dabei fotografiert wurden, ist verstörend und gehört aufgeklärt.

Auch in Heilbronn missbrauchte ein Kita-Leiter jahrelang einen Jungen. Ein furchtbarer Trend? Die Kriminalstatistik und Experten sind sich einig: Solche Fälle gab es immer und wird es immer geben – die Frage ist nur, wie die Gesellschaft damit umgeht. Deswegen ist es richtig, dass alle über das Thema diskutieren – Erzieher, Eltern, Schüler. Die Einrichtungen müssen so organisiert sein, dass es keine dunklen Winkel gibt, in denen die Kinder mit dem Personal allein bleiben. Doch der Ruf nach schärferen Gesetzen, strengeren Vorschriften für Kitas oder den Ausschluss von Männer vom Erziehungsberuf geht ins Leere.

Wo bleibt das Präventionskonzept?

Das würde im Alltag nur dazu führen, dass kein entspannter Umgang mehr mit den Kindern möglich ist. Soll eine Erzieherin zehn Babys in einer Gruppe unbeaufsichtigt lassen, um der Kollegin beim Wickeln über die Schulter zu schauen? Sollen Überwachungskameras installiert werden? All das hätte gravierende Konsequenzen für Mitarbeiter, Eltern und die Kinder selbst. Ein Klima des Misstrauens würde das Zusammenleben unmöglich machen.

Auf politischer Ebene gilt es sicherzustellen, dass in den Kindergärten ausreichend Personal eingesetzt und finanziert wird – und alle Betreiber dazu zu verpflichten, sich aktiv um ein Präventionskonzept zu bemühen. Notwendig ist auch, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem offen über Missbrauch gesprochen wird – denn die Schweigespirale hilft nur den Tätern.

Am wichtigsten ist aber eine zentrale Erkenntnis: Sexueller Missbrauch findet im Nahbereich von persönlichem Vertrauen statt. Die mit weitem Abstand meisten Fälle geschehen im familiären Umfeld und nicht in Schulen, Kindergärten oder Vereinen. Die Täter nutzen den Schutzraum einer persönlichen Beziehung, um sich das Vertrauen des Kindes zu erarbeiten. Häufig sind es engagierte, offene und freundliche Kollegen oder Verwandte, die unbemerkt zu Tätern werden.

Erziehern vertrauen

Individuelle Beobachtung, Wachsamkeit und der gesunde Menschenverstand sind die beste Früherkennung, die weder durch institutionelle Verfahren noch durch Regulierungen zu ersetzen ist. Dabei hilft es, wenn über das Thema im Vorfeld gesprochen wird – um Symptome zu erkennen, ohne gleich bei jeder seltsamen Bemerkung in Panik auszubrechen. Die Mitarbeiter müssen wissen, wie sie besonnen, aber aufmerksam reagieren. Den Verdacht ernst nehmen, ohne durch eine falsche Verdächtigung eine Existenz zu zerstören.

So schockierend die Fälle in Schwieberdingen und Heilbronn sind, so bergen sie doch eine positive Erkenntnis: Die Täter wurden überführt, fristlos entlassen und der Justiz übergeben. Eltern und Erzieher haben das Menschenmögliche getan und damit verhindert, dass die pädophilen Täter über Jahre weiteres Leid anrichten konnten. Letztlich aber bleibt Eltern nichts anderes übrig, als Erziehern Vertrauen in ihre soziale Kompetenz zu schenken. Das ist zu 99 Prozent gerechtfertigt – und sollte in der emotionalen Debatte nicht vergessen werden.

rafael.binkowski@stzn.de