Eine Frau geht in einer Straße in Dresden an Häusern vorbei, von denen nach Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg nur Ruinen geblieben sind Foto: dpa

Professorin Gebhardt von der Universität Konstanz äußert sich im Interview zu sexueller Gewalt nach Kriegsende 1945 und die islamische Kultur heute.

Stuttgart - Frau Gebhardt, wie kamen Sie darauf, sich mit den Vergewaltigungen durch die Alliierten zu beschäftigen?
Mir ist aufgefallen, dass das Thema selbst in umfangreichen Bänden über den Zweiten Weltkrieg gerade mal in einer Fußnote oder einer Zeile abgehandelt wird. Wenn ich das Gefühl habe, dass bestimmte Stimmen in der Geschichtswissenschaft zu kurz kommen, motiviert mich das, genauer hinzuschauen.
Warum?
Es war immer ein roter Faden meiner Arbeit, Gruppen eine Stimme zu verleihen, die nicht so geschichtsmächtig waren und nicht als erste untersucht worden sind.
Inwiefern sind diese Verbrechen heute noch von Bedeutung?
Nach Erscheinen des Buches meldeten sich sowohl Betroffene als auch Angehörige von Betroffenen bei mir, die ihre Erleichterung darüber ausdrücken, dass das Eis gebrochen ist. Dass sie endlich über etwas sprechen können, über das sie 70 Jahre lang nicht sprechen konnten. Deshalb denke ich, dass dieses Thema bis heute Auswirkungen hat.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt immer noch Frauen in Altenheimen, die offenbar traumatisiert sind und große Probleme damit haben, wenn sie auf einmal entkleidet und gewaschen werden von Pflegern, die vielleicht auch noch andere Sprachen sprechen. Es gibt wenig Sensibilität und Bewusstsein dafür, dass diese Frauen durchaus einen Grund für ihr Verhalten haben. Ich finde es aber auch für Familienangehörige sehr wichtig, die merken, dass irgendetwas nicht stimmt. Das Buch soll einen Zugang zum Thema schaffen und ein Verständnis dafür, warum die Großmutter vielleicht immer so eindringlich vor Männern gewarnt hat. Insofern soll es auch dabei helfen, die eigene Geschichte besser zu verstehen.
Lassen sich Parallelen ziehen zwischen den damaligen Verbrechen und heutigen Vergewaltigungen im Rahmen von Kriegen?
Ich glaube, die Parallele ist die, dass so etwas womöglich immer dann passiert, wenn in einer Gesellschaft die Geschlechterordnung stark unter Druck gerät. Mir fällt auf, dass damals sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion die Angst der Männer vor dem vermeintlichen Siegeszug der Frauen sehr groß war. Es war die Zeit, in der Frauen begonnen haben, den öffentlichen Raum zu erobern, das Wahlrecht zu erhalten und Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt zu werden.
Haben Sie ein aktuelles Beispiel für Ihre These?
Mir fällt das als Parallele zu heutigen Konflikten gerade in islamischen Kulturen auf, wo sich Männer offensichtlich unter Druck gesetzt fühlen durch eine Verwestlichung der Geschlechterrollen. Darum scheint es mir kein Zufall zu sein, dass sich dort sexuelle Gewalt gegen Frauen entlädt. Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich versuche die Hintergründe zu verstehen, weil es keine befriedigende Antwort ist zu sagen, das gehört einfach zum Krieg dazu. Eine solche Begründung beendet jedes Nachdenken und jede Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte.