Neben medizinischer Hilfe bekommen Opfer von Vergewaltigungen im Winnender Klinikum künftig auch die Chance unverbindlich Beweismittel für eine eventuelle spätere Anzeige sichern zu lassen. Foto: dpa-Zentralbild

Auf Wunsch behandeln Ärzte im Rems-Murr-Kreis die Opfer sexueller Gewalt nicht nur, sondern sichern auch Spuren um eine spätere Anzeige zu ermöglichen.

Übergriffe - Um Opfern von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen eine angemessene Akutversorgung und zugleich die Chance einer zeitnahen und gerichtsverwertbaren Spurensicherung der erlittenen Gewalthandlungen zu ermöglichen, wird der Rems-Murr-Kreis als Modellregion an dem Projekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ teilnehmen. Klar sei, dass Mädchen, Jungen oder Erwachsene nach einem derartigen Übergriff in der Regel psychologische und medizinische Betreuung bräuchten, so erläuterten im Sozialausschuss des Kreistags die kommunale Gleichstellungsbeauftragte Vanessa Koslowski und die Oberärztin Stefanie Grüneklee von der gynäkologischen Abteilung der Rems-Murr-Klinik in Winnenden die Problemstellung. Allerdings werde nicht jeder Übergriff sofort zur Anzeige gebracht.

Lücke in der Versorgungsstruktur

Und hier gebe es eine sehr problematische Lücke in der Versorgungsstruktur. Denn wenn direkt nach derlei Taten deren Spuren nicht gesichert würden, gebe es später auch keine gerichtssicheren Beweismittel. Eben dies soll nun die medizinische Soforthilfe mit anbieten. Auch ohne Anzeige können die Beweise durch eine sofortige medizinische Untersuchung gesichert und für ein Jahr in einem Institut für Rechtsmedizin aufbewahrt werden – für den Fall, dass zu einem späteren Zeitpunkt doch noch Anzeige erstattet wird. Nach der einjährigen Frist werden die Proben und Befunde allerdings vernichtet.

Die verfahrensunabhängige Spuren- und Befundsicherung gebe die Chance, auch nach einer ersten Unsicherheitsphase die Entscheidung zur Anzeige zu treffen – mit den nötige Beweismitteln. Denn, so erläuterte die Gleichstellungsbeauftragte zur Situation vieler Opfer sexualisierter Gewalt: „Die Opfer sind direkt nach der Tat oft nicht in der Lage oder willens eine Entscheidung für oder gegen eine Anzeige zu treffen.“ Aus diesem Unsicherheitsgefühl heraus blieben vor allem Frauen und Mädchen häufig auch medizinisch und psychologisch unversorgt. Es fehle bisher ein alle Optionen offen haltendes Angebot, sagte die Ärztin Grüneklee: „Entschließen sich die Betroffenen später doch dazu, Anzeige zu erstatten, sind die Beweise, die durch eine sofortige medizinische Untersuchung gesichert werden könnten, bereits nicht mehr vorhanden.“

Soforthilfe bisher nur im Enzkreis

Für den Ausbau des übertragbaren Projektes engagiert sich der Frauennotruf Frankfurt, der zugleich auch bundesweiter Ansprechpartner für das Modell „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ ist. In Baden-Württemberg steht dieses Angebot bisher nur im Enzkreis zur Verfügung. Ziel des Modellprojekts sei, Versorgungsstrukturen zu schaffe, die vergewaltigten Menschen die Zugangswege zu einer guten medizinischen Versorgung und auf Wunsch zu einer Befundsicherung erleichtern und auch wegen klarer Regelung für die Kosten bestehende Hemmschwellenabbauen. Den Betroffenen bleibt dabei die Wahlmöglichkeit, ob sie eine medizinische Versorgung ohne oder mitsamt Sicherung möglicher Spuren wollen. Der Sozialausschuss hat der Teilnahme an dem Projekt einstimmig zugestimmt.