Der frühere schwedische Kulturmanager Jean-Claude Arnault steht in Stockholm wegen Vergewaltigung vor Gericht. Mit auf der Anklagebank sitzt inoffiziell auch die Jury für den Literaturnobelpreis. Foto: AFP

In diesem Jahr gibt es keinen Literaturnobelpreis. Schuld daran ist ein Mann, der jetzt vor Gericht steht. Der 72-Jährige soll auch Kronprinzessin Victoria belästigt haben.

Stockholm - Hinter verschlossenen Türen hat am Mittwoch am Stockholmer Amtsgericht „Tingsrätten“ der Prozess gegen den Mann begonnen, der dafür verantwortlich ist, dass die Schwedische Akademie in diesem Jahr keinen Nobelpreis für Literatur vergibt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Franzosen Jean-Claude Arnault (72) vor, im Oktober 2011 eine Frau in einer Stockholmer Wohnung zu Oralsex gezwungen zu haben. Dann soll er die gleiche Frau bei einer erneuten Verabredung im Dezember 2011 in der gleichen Wohnung vergewaltigt haben, als sie schlief.

Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu sechs Jahre Haft. Technische Beweise gibt es nicht. Laut Experten dürfte Wort gegen Wort stehen, was eine Verurteilung schwer, aber nicht völlig unmöglich mache. Arnault sagt, er sei unschuldig.

Arnault soll auch Kronprinzessin Victoria in den Po gekniffen haben

Elisabeth Massi Fritz ist die Anwältin der Nebenklägerin. Sie sagt, beim Fall ihrer Mandantin handle es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Den Stein ins Rollen gebracht hatte Ende 2017 die Zeitung „Dagens Nyheter“. Im Rahmen der #MeToo-Bewegung veröffentlichte das Blatt die Vorwürfe von 18 anonym gehaltenen Frauen, die Arnault sexuelle Übergriffe vorwerfen.

Vier der Frauen, zumeist Persönlichkeiten aus der Kulturszene, traten später namentlich an die Öffentlichkeit, um ihren Vorwürfen Nachdruck zu verleihen. Laut der Zeitung „Svenska Dagbladet“ soll Arnault auch Kronprinzessin Victoria (41) einmal bei einer öffentlichen Veranstaltung an den Po gegrapscht haben. Der Hof kommentierte das nicht. Ihr Vater, König Carl XVI. Gustaf, ist Schirmherr der Schwedischen Akademie und darum bemüht, den Schaden zu begrenzen.

Der Angeklagte ist mit dem früheren Jury-Mitglied Katarina Frostenson verheiratet

Der unbestritten als Lebemann und Casanova geltende Arnault kam Ende der sechziger Jahre aus Marseille nach Stockholm. Dort etablierte er sich schnell in der Kulturelite des Landes, auch durch seine Heirat mit der Schriftstellerin Katarina Frostenson. Sie war von 1992 bis zu ihrem Rücktritt im Zuge der Skandale im April 2018 Preisrichterin in der Schwedischen Akademie für den Literaturnobelpreis.

Arnault selbst war eng befreundet mit weiteren Nobelpreisrichtern, darunter auch dem Vorsitzenden Horace Engdahl, der ihn während des Skandals Ende 2017 zunächst in Schutz nahm. Arnault bezeichnete sich selbst gern als inoffizielles 19. Mitglied der aus 18 Mitgliedern bestehenden Akademie. Einige Frauen hatten der Akademie schon vor mehr als einem Jahrzehnt, teils in Briefform mitgeteilt, dass Arnault sich sexuell an ihnen vergangen habe. Die Mitteilungen wurden von der Jury damals ignoriert, wie sie heute zugibt.

Die Übergriffe sollen auch in Räumen der Akademie passiert sein

Arnault trat unter anderem als Veranstalter von exklusiven, von der Akademie und dem Kulturministerium unterstützten Kulturklubs auf, in denen Lesungen und Kunstperformances stattfanden – und viel Alkohol konsumiert wurde. „Er und ein österreichischer Frauenheld waren ein festes Gespann im Stockholmer Partyleben, etwa im Klub Café Opera“, erzählt ein ehemaliger Freund, der Arnault seit den frühen Siebzigerjahren kennt, dieser Zeitung.

Laut den betroffenen Frauen sollen einige der Übergriffe in Räumen der Schwedischen Akademie in Stockholm und Paris geschehen sein, die Arnault freundschaftlich überlassen worden waren. „An der luxuriösen Wohnung der Akademie in Paris hatte Arnault sogar sein privates Namensschild angebracht“, erzählt Arnaults ehemaliger Freund: „Er und seine Frau hatten eine offene Beziehung, in der jeder andere Partner haben durfte.“

Die Nobelpreisjury hat sich über den Fall Arnault zerstritten

Die Nobelpreisjury zerstritt sich, als die Vorwürfe gegen Arnault laut wurden. Einige Mitglieder traten aus Protest gegen Arnault zurück. Als auch die Vorsitzende Sara Danius ging, demonstrierten mehr als tausend Feministinnen vor dem Gebäude der Akademie.

Arnault war aber nie offizielles Mitglied der Akademie. Deshalb halten einige Experten die Auflösung der Jury und die Nichtausteilung des Literaturnobelpreises in diesem Jahr für eine übertriebene Reaktion. „Arnaults Verhalten ist unmoralisch und anstößig, aber warum soll das zum Untergang der Schwedischen Akademie führen?“, fragte sich etwa Lena Andersson von der Zeitung „Dagens Nyheter“. Zudem sei es auch seltsam, dass die Arnault zwei Vergewaltigungen vorwerfende Frau ihn nach dem ersten Vorfall noch einmal getroffen habe.

Andere sehen die angebliche jahrzehntelange Inschutzname Arnaults durch die Nobel-Jury als ausreichend skandalös. Zudem wird der Jury im Bezug auf Arnault Vetternwirtschaft vorgeworfen und Arnault selbst Steuerhinterziehung im Rahmen seiner Kulturveranstaltungsreihe. Das wird aber nicht im gegenwärtigen Prozess verhandelt, der noch bis Montag geht.