Die britische Hilfsorganisation Oxfam soll üble und womöglich kriminelle Aktionen von Mitarbeitern kaschiert haben. Foto:  

Die britische Hilfsorganisation soll üble und womöglich kriminelle Aktionen von Mitarbeitern kaschiert haben. Sponsoren beginnen sich abzuwenden. Immer mehr Briten wollen das Entwicklungshilfe-Budget drosseln.

London - Oxfam ist bekannt für Hilfe aller Art in den ärmsten Ländern der Erde. Nun muss die britische Wohlfahrtsorganisation um ihren Ruf und um ihre finanzielle Basis bangen, weil womöglich kriminelle Praktiken von Mitarbeitern aufgedeckt wurden, die die Organisation jahrelang offenbar für sich behielt.

Ausgelöst wurde die Krise durch Berichte der Londoner Times über „Caligula-mäßige Orgien“, die eine Gruppe männlicher Mitarbeiter vor sieben Jahren in der Oxfam-Zentrale in Haiti feierte, in einer mit Spendengeldern bezahlten Villa. Das war kurz nach der Erdbebenkatastrophe, die die Insel 2010 verwüstete, mehr als 220 000 Menschen das Leben kostete und Hunderttausende obdachlos machte.

Zu den Prostituierten, deren Dienste die Oxfam-Leute damals nutzten, gehörten Frauen, die wegen der Naturkatastrophe in besonderer Armut lebten. Spätere interne Untersuchungen schlossen nicht aus, dass sich Minderjährige und Kinder unter 14 Jahren in ihren Reihen befanden.

Haiti droht Oxfam mit juristischen Maßnahmen wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht

Oxfam wird nun vorgeworfen, dass es diese Informationen aus Angst vor negativen Schlagzeilen nicht nur jahrelang unter Verschluss hielt. Vorwürfe, dass Roland van Hauwermeiren, der Chef der Oxfam-Operationen in Haiti, solche Orgien bereits 2006 im Tschad veranstaltet hatte, waren ebenfalls bekannt. Dennoch war der Belgier stillschweigend von Afrika nach Haiti versetzt worden. Nach Bekanntwerden seines Verhaltens in Haiti bot ihm Oxfam, um kein Aufsehen zu erregen, „einen stufenweisen und würdevollen Abgang“ an.

Mittlerweile droht der Staat Haiti Oxfam mit juristischen Maßnahmen wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. In Großbritannien weisen Oxfam-Führungskräfte, die Kommission für karitative Aktivitäten und zwei frühere Entwicklungshilfeministerinnen einander die Schuld für den Mangeln an Kontrolle zu. Eine Oxfam-Mitarbeiterin will staatliche Stellen schon 2015 informiert haben, behauptet aber, auf wenig Interesse gestoßen zu sein. Die Labour-Opposition ist der Überzeugung, dass die Regierung „ernste Fragen zu beantworten“ hat.

Junge Frauen, die in Oxfam-Läden arbeiten, sollen belästigt worden sein

Weiter verschärft hat sich die Krise diese Woche durch Berichte, dass auch junge Mädchen, die als Freiwillige in diversen britischen Oxfam-Läden arbeiteten, sexuell belästigt oder sogar missbraucht wurden. Laut Sunday Times soll es bei Oxfam allein im Vorjahr 120 Missbrauchs-Fälle gegeben haben.

Die Hilfsorganisation meldete am Dienstag, dass zahlreiche bisherige Spender bereits ihre Daueraufträge storniert hätten. Firmen wie Visa, die Coop-Bank und Heathrow Airport, die Oxfam bisher unterstützten, erwägen nun, ihre Assoziation mit der Hilfs-Organisation aufzugeben und Zahlungen einzustellen.

Offen ist bisher noch, ob die britische Regierung und die EU die Oxfam-Arbeit weiter subventionieren werden. Aus der EU-Kasse flossen Oxfam bisher umgerechnet 29 Millionen Pfund und aus dem Entwicklungshilfe-Ministerium in London knapp 32 Millionen im Jahr zu. Insgesamt operiert die Organisation mit jährlichen Einkünften von rund 400 Millionen Pfund.

Für Oxfam ist die aktuelle Vertrauenskrise äußerst bedrohlich. Die Organisation, nach dem zweiten Weltkrieg 1947 von Quäkern und Akademikern in Oxford als Kampf-Verband gegen die weltweite Hungersnot gegründet, gehört zu den größten und angesehensten Verbänden dieser Art.

Viele Briten finden, dass die Regierung Oxfam nicht mehr unterstützen soll

Allein in Großbritannien unterhält Oxfam mehr als 750 karitative Läden. Oxfam-Aktivisten sind dafür bekannt, dass sie sich nicht davor scheuen, in den ärmsten Ländern der Welt Hilfe zu leisten. Der Skandal trifft freilich den ganzen Hilfssektor. Mehr Maßnahmen zum Schutz möglicher Opfer und zur Kontrolle eigener Mitarbeiter wird nun auch anderen Wohlfahrtsorganisationen abverlangt. Einer aktuellen Sky-Umfrage zufolge wollen bereits 46 Prozent aller Briten, dass die Regierung ihre Zahlungen an Oxfam einstellt. Ebenso viele Briten finden, dass man Verbänden, die im Ausland Hilfe leisten, eh nicht trauen kann.

Tory-Politiker wie der prominente Rechtspopulist Jacob Rees-Mogg und konservative Zeitungen in London haben daraus den Schluss gezogen, dass nun endlich das Entwicklungshilfe-Budget eingeschrumpft werden müsse. Wo man das Geld doch „viel nötiger im eigenen Lande“ brauche. Die Regierung, die zunehmend unter Druck kommt in dieser Frage, will allerdings nicht an dem Posten rühren – „fürs erste“, wie es heißt.