Sexuelles Verlangen verschwindet im Alter nicht – wie hier in einer Szene aus dem Film „Wolke 9“. Foto: 2008 - Rommel Film / Foto: Andreas Dresen

Sexuelles Verlangen nimmt im Alter ab, aber es verschwindet nicht. Dennoch läuft bei vielen Paaren über 70 oft nicht mehr viel im Bett. Experten beraten Senioren, wie es wieder klappt.

Stuttgart - Papst Franziskus wird im Dezember 80 Jahre alt – und denkt über das Küssen nach. „Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen.“ Das empfiehlt das Kirchenoberhaupt in seinem jüngst veröffentlichten Schreiben „Amoris Laetitia“ – „Freude der Liebe“ – seinen Katholiken. Die Liebe endet aber nicht beim Küssen. Auch der Sex gehört dazu. Und zwar in jedem Alter – auch wenn das in der öffentlichen Wahrnehmung gern ausgespart wird. Denn dass Sex bis ins hohe Alter genossen wird, ist in Medien, Werbung und Kultur kaum ein Thema. Im Gegenteil: Körperliche Lust bei Senioren scheint nahezu ein Tabu zu sein.

„Unsere Kultur liebt das Äußerliche, Neue und Vergängliche“, sagt Volkmar Sigusch, Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft am Uniklinikum Frankfurt und einer renommiertesten Sexualforscher weltweit. Deshalb werde Sexualität in erster Linie mit jüngeren Leuten in Verbindung gedacht. Dabei ist Sex keineswegs nur ein Privileg der Jungen. Rund 80 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen zwischen 50 und 70 Jahren haben regelmäßig und variantenreichen Geschlechtsverkehr. Das fanden Wissenschaftler der Universität Osnabrück bei einer Befragung heraus. Andere Studien stellen die Vorstellung von asexuellen Alten ebenfalls als Irrtum dar. In einer Langzeitstudie von 1993 bis 2006 etwa zeigten Wissenschaftler der Uni Rostock: Mit durchschnittlich 74 Jahren waren die Befragten nicht weniger zufrieden mit ihrem Sexleben als elf Jahre zuvor. Studien zeigen zwar, dass das sexuelle Verlangen bei älteren Menschen abnimmt – aber es verschwindet nicht komplett.

Sex endet manchmal genau dann, wenn Paare Großeltern werden

Im Alter aber wird es für viele Menschen schwieriger, ihre sexuellen Wünsche auch auszuleben. Beispielsweise gibt es eine Studie, die zeigt, dass Paare ihren sexuell aktive Phase manchmal genau dann beenden, wenn das erste Enkelkind geboren wird, sagt Astrid Riehl-Emde, Paartherapeutin und Professorin für Klinische Psychologie. Sie bietet an der Uni Heidelberg in einer Sprechstunde Paartherapie speziell für Menschen über 60 Jahren an und weiß: Nach vielen Jahren des Zusammenlebens das Thema Sex noch einmal anzugehen, ist für viele nicht leicht – vor allem, wenn sich nur ein Partner Veränderungen wünscht. „Manchmal streichelt ein Mann seine Frau seit 30 Jahren auf eine Art, die sie eigentlich nicht mag“, sagt Riehl-Emde. „Dann mit 70 Jahren darüber zu sprechen – vor allem, wenn man das vorher nie getan hast – ist enorm schwer.“

Hinzu kommen die körperlichen Beschwerden, die den Sex im Alter komplizierter und für viele Senioren auch nicht mehr so attraktiv erscheinen lassen. Die Haut wird schlaffer, Fettpölsterchen setzen schneller an als früher. Auch die Geschlechtsorgane verändern sich: Bestimmte Hormonspiegel etwa sind bei älteren Frauen niedriger und sorgen dafür dass die Scheidenschleimhaut dünner und nicht mehr so feucht ist. Die Männer haben mit Erektionsproblemen zu kämpfen. Das alles fördert Schamgefühle.