Mit ihren schwarzen Knopfaugen, ihrem buschigem Schwanz und den quirligen Bewegungen gehören Eichhörnchen zu den putzigsten Tieren. Doch im Mittelalter waren diese flauschigen Wesen Überträger einer der gefürchtetsten Krankheiten – Lepra.
Verfärbte Hautflecken, verformte Nasen, verwachsene Geschwüre: Lepra kann zu schwerwiegenden Symptomen führen. Das hauptsächlich für die Infektionskrankheit verantwortliche Bakterium namens Mycobacterium leprae hat auch in Europa eine lange Schreckensgeschichte.
Lepra ist eine der ältesten Krankheiten in der Geschichte der Menschheit. Die frühesten Lepra-Funde sind über zehn Millionen Jahre alt. Trotz aller Ausrottungsversuche ist die chronische Infektionskrankheit auch heute noch in Asien, Afrika und Südamerika weit verbreitet. Jährlich infizieren sich rund 200 000 Menschen mit Lepra. Dabei werden Haut und Schleimhäute sowie Nervenzellen zerstört.
Zoonotische Infektionskrankheit
Forscher um Verena Schünemann von Universität Basel und Christian Urban von der Universität Zürich konnten jetzt mithilfe archäologischer Funde das rote Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) als wichtigen Wirt für Mycobacterium leprae im mittelalterlichen England nachweisen. Eichhörnchen sind damit die ältesten bekannten Wirte dieser zoonotischen Infektionskrankheit.
Die Forscher stellten fest, dass die Lepra-Bakterien der mittelalterlichen Eichhörnchen sehr nah verwandt waren mit Lepra-Bakterien, welche aus mittelalterlichen menschlichen Skeletten aus derselben Region isoliert wurden. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlicht.
Wer war der Erst-Überträger: Eichhörnchen oder Mensch?
Als potenzielle Krankheitsüberträger der Lepra wurden Eichhörnchen oder andere Tiere bislang kaum betrachtet, obwohl bekannt ist, dass die Bakterien auch Gürteltiere oder Schimpansen befallen können.
„Diese Ähnlichkeit zeigt uns, dass es wahrscheinlich einen Austausch der Bakterien zwischen Tier und Mensch zu dieser Zeit gab“, erläutert Verena Schünemann. Allerdings sei nicht ganz, auf welchem Weg dieser Austausch stattgefunden hat. „Wir wissen nicht, ob die Eichhörnchen die Menschen ansteckten oder ob Menschen die Erkrankung zu den Tieren brachten.“
Berührungspunkte gab es im Mittelalter genug: Zum einen durch den Pelzhandel, der insbesondere durch die Königshäuser florierte. So wurden im 11. und 12. Jahrhundert unter anderem Mäntel aus dem Fell der Nagetiere hergestellt. Zum anderen wurden Eichhörnchen als Haustiere etwa in Nonnenklöstern gehalten.
Gen-Analyse aus 20 Milligramm DNA
Den Schwerpunkt der Untersuchung bildete die Stadt Winchester im Süden Englands. Dort gibt es dank einiger archäologischer Fundstätten genügend Material für die Gen-Analysen. Die menschlichen Überreste stammen aus einem Leprosarium – also einer Pflegeeinrichtung speziell für Leprakranke.
Die mittelalterlichen Eichhörnchen konnten sie dank Hand- und Fußknochen untersuchen, die an einer früheren Kürschnerwerkstatt gefunden wurden. „Wir haben die Genanalysen an den winzigen Hand- und Fußknochen der Eichhörnchen durchgeführt, die zwischen 20 und 30 Milligramm schwer sind. Viel Material gibt es da nicht“, berichtet Christian Urban.
Historische Befunde wichtig für heutige Bekämpfung von Lepra
Für die Wissenschaftler sind die historischen Befunde wichtig mit Blick auf die heutige und künftige Bekämpfung von Lepra. Denn bis dato ist nicht vollständig geklärt, wie sich die Krankheit verbreitet. „Mit unserem One Health-Ansatz, versuchen wir mehr über die Rolle der Tiere bei der Ausbreitung der Krankheit in der Vergangenheit herauszufinden“, betont Verena Schünemann.
„Indem wir alte tierische und menschliche Stämme direkt vergleichen, können wir potenzielle Übertragungsereignisse im Laufe der Zeit rekonstruieren und damit Rückschlüsse auf das langfristige zoonotische Potenzial der Krankheit ziehen.“
Die Ergebnisse sind auch für heute relevant, da Tiere als Wirte von Lepra noch immer sehr wenig Beachtung finden, auch wenn sie für das Verständnis der gegenwärtigen Persistenz der Krankheit, trotz aller Ausrottungsversuche, von Bedeutung sein könnten.
„Durch Covid-19 sind tierische Wirte nun in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, um das Auftreten und die Persistenz von Krankheiten zu verstehen“, sagt Koautorin Sarah Inskip von der University of Leicester. „Unsere Forschung zeigt, dass es eine lange Geschichte von Zoonosen gibt und dass sie einen großen Einfluss auf uns hatten und haben.“