Anuschka Herbst, Natascha Kuch, Barbara von Münchhausen und Dorothea Baltzer in „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ Foto: Michael Schill

Im Hamam offenbaren sich Frauen einander: Mit einer Inszenierung des Stücks „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ der algerischen Autorin Rayhana ist das Theaterfestival SETT in der Tri-Bühne eröffent worden.

Stuttgart - Fatima hat acht Kinder, einen unerträglichen Ehemann und einen schlecht bezahlte Arbeit als Masseurin im Haman. Vom Leben erwartet sie nicht mehr viel, von Gott schon gleich gar nicht. Erst recht nicht, seit die selbsternannten Glaubenswächter, die „rasiert nach Frankreich gefahren und mit langem Bart zurück gekommen sind“, die algerische Gesellschaft terrorisieren.

Doch im Hamam, dieser vor der Männerwelt verschlossenen Oase der Intimität, können Fatima und ihre Kundinnen offen reden. Über Sex, Liebe und die Härten ihres Lebens. „In meinen Alter rauche ich immer noch heimlich“, seufzt Fatima (Natascha Beniashvili-Zhed) bei einer kurzen Pause. So lautet auch der Titel der Tragikomödie der in Frankreich lebenden algerischen Autorin Rayhana.

Man kann dieses im Nachbarland viel gespielte Stück, mit dem jetzt das Stuttgarter Europa Theater Treffen (SETT) in der Tri-Bühne eröffnet wurde, als melancholische, aber auch mit Witz und derben Sprüchen gezeichnete Hommage an die Frauen ihrer Heimat lesen. Aber es steckt noch mehr in diesem Drama, das die Intendantin Edith Koerber mit einer großartigen Schauspielerinnenriege besetzt hat– acht Frauen stehen auf der Bühne und jede einzelne spielt mit großer Emotion und Eindringlichkeit.

Im heißen Dampf wird Tacheles geredet

„Im Haman wird nicht über Politik gesprochen“, herrscht Fatima, die Herrscherin über die Dampfschwaden, zwei streitende ehemalige Freundinnen an. Doch der tiefe Riss, der durch die algerische Gesellschaft geht, zieht sich auch durch die Gemeinschaft der Badenden.

Zaya kommt im Tschador und will, dass ihr kleiner Sohn einmal zum Gotteskrieger wird. Ja, sie ist eine Fanatikerin, aber sie hat auch eine Geschichte, die ihre Entscheidung sich einem todbringenden totalitären System unterzuordnen, von dem sie nichts als Unterordnung zu erwarten hat, zwar nicht rechtfertigt, aber erklärt.

Im heißen Dampf des Hamams wird Tacheles geredet. Doch neben dem Dirty Talk und den Lektionen in Politik gibt es noch eine weitere Ebene in diesem klug konstruierten Stück – die der Poesie, die auch durch das Bühnenbild unterstrichen wird. Selbst wenn der Schutzraum Hamam zunehmend gefährdet wird, bis der Terror der Islamisten auch vor diesem Hort der Frauenpower nicht Halt macht – am Ende steht ein Traum, ein wunderbares Bild einer Wolke aus schwarzen Schleiern, die über dem Meer untergeht.

Fünf Bühnenprofis rappen und spielen bis zur Verausgabung

Sehnsucht, Flucht und Migration, das sind die Themen, die beim diesjährigen SETT-Festival verhandelt werden, das noch bis zum 3. Dezember dauert. Der Auftakt mit Rayhanas Drama, das Elfriede Jelinek als „wunderbares Stück“ gelobt hat, ist jedenfalls geglückt und bleibt im Repertoire. Die Inszenierung „Niemandskinder“ des Theaters Avenida aus Mozambique war dagegen am Sonntag schon das letzte Mal zu sehen. Ein Wiedersehen mit alten Bekannten sozusagen – war doch die Truppe, die von Henning Mankell unterstützt wurde, schon öfter in Stuttgart zu Gast.

Die „Niemandskinder“, eine lose Szenenfolge mit Musik und Tanzeinlagen, war die erste Theaterarbeit, die Mankell 1993 zusammen mit Straßenkindern im Zentrum Maputos entwickelt hat. In Stuttgart haben fünf Bühnenprofis gerappt und gespielt bis zur Verausgabung, drastische Geschichten erzählt und dabei doch Lebensfreude verbreitet.