Lore Brandner hat sich vom ersten Tag an in ihrer neuen Wohnung wohlgefühlt. Regelmäßig ist die Projekt-Betreuerin Ange Niemann zu Besuch. Foto: Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus

Das Angebot „Servicewohnen im Quartier“ des Anna-Haag-Hauses ist eine Alternative für Senioren, die nicht in ein Pflegeheim ziehen wollen, aber dennoch teils auf Hilfe angewiesen sind. Eine zufriedene Nutzerin ist das Cannstatter Urgestein Lore Brandner.

Bad Cannstatt - Die Vorstellung, irgendwann in den eigenen vier Wänden nicht mehr alleine klar zu kommen und in ein Pflegeheim ziehen zu müssen, jagt vielen Senioren Angst ein. Vor allem, wenn sie nur in Teilen auf Unterstützung angewiesen sind. Inzwischen gibt es Alternativen zum sofortigen Umzug in ein Heim – eine davon ist das „Servicewohnen im Quartier“ des Anna-Haag-Mehrgenerationenhauses. Das Prinzip: die Senioren leben in einer eigenen Wohnung in einem normalen, generationsdurchmischten Wohnhaus im Viertel. Dazu können sie individuell Angebote der Einrichtung, wie den Pflegedienst, nutzen.

Seit rund eineinhalb Jahren lebt Lore Brandner in einer der barrierefreien Wohnungen im Nachbarhaus der Einrichtung. Vor ihrer Tür im dritten Stock steht ein Kinderwagen. Die 82-Jährige nutzt ihn als Gehhilfe. „Er gibt viel mehr Halt als ein Rollator“, sagt sie, nachdem sie in ihre 64 Quadratmeter große Wohnung gebeten hat. Und ihre Einkäufe würden auch viel besser hineinpassen. Ihr Frühstück und das Abendbrot besorgt sich die rüstige Dame nämlich täglich selbst. Zum Kochen reicht die Kraft jedoch nicht mehr. Mittags geht sie die wenigen Schritte ins Mehrgenerationenhaus.

Mittagsessen, Gymnastik oder Friseur

Das Mittagessen ist nur ein Angebot, das den Senioren zur Verfügung steht. Sie können am Gymnastikprogramm teilnehmen, den Friseur nutzen, die Feste und Veranstaltungen besuchen – „und jeder kann individuell auch die externen Dienste nutzen“, erklärt Susanne Sieghart, die Leiterin des Bereichs Seniorenhilfe. Also den hauseigenen Pflegedienst oder auch Hilfe beim Wohnungsputz oder Einkauf.

Lore Brandner zum Beispiel bekommt zweimal pro Tag Besuch vom Pflegedienst. Die Mitarbeiter helfen ihr mit den vielen Medikamenten. Vergangenes Jahr habe sie plötzlich mit Schwindelanfällen zu kämpfen gehabt, erzählt die Bad Cannstatterin. Eigentlich wollte sie ihre geliebte Wohnung auf dem Burgholzhof nie verlassen. Bis sie 80 war habe sie gearbeitet: Mehr als 50 Jahre hat sie sich bei der Winzer-Familie Zaiß um Kinder und Haushalt gekümmert. „Ich war einfach die Brandnerin“, erzählt die Seniorin. Sonntags half sie zudem in einem Lokal. Als es gesundheitlich nicht mehr ging, zogen ihre Söhne die Reißleine und stießen auf das Angebot des Anna-Haag-Hauses. „Ich war auf den ersten Blick begeistert“, sagt Brandner.

Entlastung für die Angehörigen

Für die Angehörigen ist das Servicewohnen eine große Entlastung, sagt Susanne Sieghart. „Die Verantwortung wird auf mehrere Schultern verteilt.“ Die Senioren bekämen einen Hausnotruf-Knopf, zu bestimmten Zeiten schauen die Mitarbeiter von Haushalts- oder Pflegedienst vorbei, und einmal pro Woche ist die Projekt-Betreuerin Ange Niemann zu Besuch. Sie bringt den Essensplan und hört, wie es den Senioren geht. Wenn die einmal nicht zum Mittagessen erscheinen, würde das sofort auffallen – und da in den bislang zwei Häusern schon mehrere Wohnungen für das Servicewohnen gemietet sind, passen auch die Nachbarn aufeinander auf.

Sechs barrierefreie Wohnungen vermietetet das Anna-Haag-Haus derzeit im Espan. Weitere zu finden, sei gar nicht so einfach. „Sie müssen ja in Fußnähe zum Mehrgenerationenhaus liegen“, sagt Susanne Sieghart. Lore Brandner ist froh, eine der begehrten Wohnungen ergattert zu haben. Sie genießt die Selbstständigkeit. Und ganz alleine ist sie dabei trotzdem nicht, verrät sie und öffnet mit schelmischen Grinsen die Schlafzimmertür. Auf einem großen Ast sitzen fröhlich zwitschernd die zwei Wellensittiche Tarzan und Jane.