Sein oder nicht sein? Hamlet hat sich in der TV-Serie „Sons of Anarchy“ zwar als Rocker verkleidet Foto: Gray

Er lauert einem überall auf – im Kino, in Fernsehserien, Comics und auf der Bühne. Ein Überblick zum 450. Geburtstag des großen Alleskönners William Shakespeare.

Stuttgart- Der Kalte Krieg im Star-Trek-Universum ist zu Ende. Beim Umtrunk im Raumschiff Enterprise spricht Klingonen-Kanzler Gorkon den Toast: „ Auf das unentdeckte Land – die Zukunft.“ Natürlich erkennt Spock das Zitat. „‚Hamlet‘, Akt 3, erste Szene“, sagt er – und der Klingone erwidert spöttisch: „Sie werden Shakespeare erst dann richtig verstehen, wenn Sie ihn einmal im klingonischen Original gelesen haben!“

Was das Kino darf, darf das Theater erst recht: Einer der lustigsten Einfälle des Abend mit Shakespeares Sonetten der tri-bühne in Stuttgart ist deshalb, das Sonett 18 („Soll ich dich vergleichen einem Sommertage / Dich, der du lieblicher und milder bist?“) krächzend auf Klingonisch vortragen zu lassen. Auch sonst herrscht in der musikalischen Revue ein herrliches Durcheinander. Shakespeares Texte treffen auf Radiohead, Rammstein oder die Eurythmics, auf Gameshow-Parodien, Hochzeitsfeiern und Travestieszenen, sie werden mal tragisch, mal komisch, mal romantisch interpretiert. Und wohlgefällig lächelnd lässt William Shakespeare alles mit sich machen.

Kein Autor verführt so sehr wie dieser Shakespeare dazu, frei mit seinen Texten, seinen Dramenplots umzugehen. Im Jahr 2014, in dem Shakespeares 450. Geburtstag gefeiert wird, darf man noch mit vielen solchen An- und Enteignungen rechnen. Doch Shakespeare ist robust. Er verkraftet Arno Schmidts komplexes Opus magnum „Zettel’s Traum“, das sich auf den „Sommernachtstraum“ bezieht, ebenso wie Cole Porters Musical „Kiss Me, Kate“, eine Vulgärversion von „Der Widerspenstigen Zähmung“, in der es heißt: „Schlag nach bei Shakespeare, bei dem steht was drin! / Kommst du mit Shakespeare, sind die Weiber gleich ganz hin.“

Tatsächlich durfte Shakespeare selbst im Kino ja auch schon mit Gwyneth Paltrow rumknutschen („Shakespeare In Love“) und gilt als Dichter-Popstar, dessen „Romeo und Julia“ bis heute das Maß aller Dinge in Sachen tragischer Liebesgeschichten ist. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom hat die Teenietragödie sogar zum „einflussreichsten Werk der Weltliteratur“ ernannt. Spiegelungen, Adaptionen reichen von Gottfried Kellers Erzählung „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ bis zu Baz Luhrmans Film „Romeo + Juliet“, von Gershwins Musical „West Side Story“ bis zu Songs von Lou Reed, den Decemberists, Tom Waits oder den Dire Straits.

Erstaunlich ist aber, dass nicht nur Shakespeares Stoffe immer noch aktuell sind, sondern dass auch seine 400 Jahre alte Sprache selbst in ihrem antiquierten Ton im Jahr 2014 anrühren, erschüttern, amüsieren kann. In der Stuttgarter „Sonnette“-Revue von Stephen Crane und Florian Dehmel gelingt vor allem Sofie Alice Miller dieses kleine Wunder immer wieder.

Alles andere als altertümlich klangen Shakespeares Verse im Kino zum Beispiel auch in Kenneth Branaghs hyperrealistischen Schlachtenepos „Heinrich V.“ (1989) oder in Baz Luhrmans von der Videoclip-Ästhetik geprägten „Romeo + Juliet“ (1996).

Auch Joss Whedon hat das jetzt hinbekommen. Der Fantasy-Experte („Buffy“) hat in einer Drehpause von „Marvel’s The Avengers“ einfach seine Lieblingsschauspieler – darunter Nathan Fillon aus „Castle“ oder Amy Acker aus „Dollhouse“ – in sein Haus eingeladen, um sie dort Shakespeare-Verse aufsagen zu lassen. Der sparsam inszenierte Schwarz-Weiß-Film gefällt als konzentriertes Kammerspiel.

Während David Finchers aktuell hochgelobte Politserie „House of Cards“ Shakespeares düsterste Tragödie „Macbeth“ vom schottischen Hochland nach Washington verlegt, wurden Shakespeares Komödien in der Vergangenheit vor allem immer wieder in Teeniestoffe verwandelt: „Der Widerspenstigen Zähmung“ war 1999 die Vorlage der sehenswerten Highschool-Komödie „Zehn Dinge, die ich an dir hasse“, in der Heath Ledger und Joseph Gordon-Levitt ihre ersten großen Rollen spielten. „Ran an die Braut“ (2001) macht mit Kirsten Dunst in der Hauptrolle aus dem „Sommernachtstraum“ ein Highschool-Musical. Und „She’s The Man – Voll mein Typ“ mit Amanda Bynes basiert auf „Was ihr wollt“.

Neben „Romeo und Julia“ ist es aber vor allem „Hamlet“, der die Popkultur immer wieder beschäftigt. Dieser verwandelt sich mal in „Disneys Lustigen Taschenbüchern“ in Donald Duck, mal in den „Calvin & Hobbes“-Comics in einen grünen Brei, der, den „Sein oder nicht sein“-Monolog aufsagend, verhindern will, von Calvin gegessen zu werden. Hamlet irrt durch „Die Simpsons“, „South Park“ und sogar „Star Wars“. Und im Videospiel „Mass Effect“ wird „Hamlet“ von Aliens aufgeführt, die so langsam sprechen, dass das Stück mindestens 14 Stunden dauert.

Ein besonders gelungene „Hamlet“-Adaption ist die TV-Serie „Sons of Anarchy“. In der dritten Staffel, die im Dezember auf DVD erschienen ist, wird Hamlet, der in Kurt Sutters Serie Jax Teller heißt und nicht Prinz von Dänemark, sondern Stiefsohn des Anführers einer Rockerbande ist, vom Zauderer zum Täter. Zwar geht es weniger als zu Beginn der Serie um die Ich-Krise der Hauptfigur, um Sein oder Nichtsein, um Drogen oder Waffen. Doch das furios inszenierte Mord-, Verschwörungs- und Rachedrama erweist sich mehr denn je als raffiniertes Shakespeare-Tragödien-Update – voller dunkler Vorahnungen und Briefen von toten Vätern. Der Rest ist Schweigen.