Das Kindermädchen Leanna (Nell Tiger Free) nimmt Baby Jericho sehr ernst. Foto: Apple

Mit „Servant“ bietet der Streamingdienst Apple TV+ eine exzellente Gruselgeschichte. Ein konservatives Kindermädchen, ein Yuppie-Pärchen und eine Puppe treffen aufeinander.

Stuttgart - Dingdong, es läutet, das muss das neue Kindermädchen sein. Die Turners sind aufgeregt, und einen Moment lang glaubt man, dieses Yuppiepärchen erwarte einfach die beste, die originellste, die aufopferungswilligste Babybespaßerin der Welt. Weil bei solchen Leuten ja jede Gewöhnlichkeit zur Außergewöhnlichkeit aufgeblasen wird, weil ihre narzisstische Persönlichkeitsentzündung jede Banalität ins Gewand der Exotik gekleidet wissen will, weil bei ihnen da ein Kunstwerk entstehen muss, wo anderswo Routine ablaufen darf. Doch dann kommt in der Serie „Servant“, dem bislang besten Angebot beim Streamingservice Apple TV+, alles ganz anders.

Die junge Frau, die da über die Schwelle tritt, ist auf fast aggressive Weise still, unbeeindruckbar, abwartend – und trotzig unhip. Diese Leanna Grayson (Nell Tiger Free) scheint zunächst überhaupt nicht in das Edelzuhause der TV-Reporterin Dorothy (Lauren Ambrose) und des Mahlzeiten-Designers Sean (Toby Kebll) zu passen. Sie wirkt eher wie eine, die an der Tür wildfremder Leute läutet, um ihnen Traktätchen mit abstrusen Bibelauslegungen entgegen zu recken, und viel zu enge stramme Schuhe trägt, um ihre Füße dafür zu bestrafen, dass sie ab und an tanzen wollen.

Verzweiflung macht sich breit

Aber über dem Haus der Turners liegt mehr als die übliche Hochglanzkälte penibel ausgestalteter moderner Renommierräume. Hier hat eine andere Erstarrung die Leute im Griff als die Angst, einen Modewechsel zu verpassen und momentan uncool zu wirken. Hier haben sich echte Düsternis, marternde Leere und greifbare Verzweiflung breitgemacht.

Es dauert nicht lange, dann verrät die von Tony Basgallop geschriebene Serie auch, was los ist. Dorothy und Sean haben kurz nach der Geburt ihr Kind Jericho verloren. Die Mutter hat einen völligen Zusammenbruch erlitten, und was sie nun notdürftig stabilisiert, ist ein makabres Illusionsspiel. In Jerichos Bettchen liegt eine Puppe. Mit diesem Sohn aus Kunststoff spricht Dorothy nicht nur, sie trägt ihn umher, umsorgt ihn – und um ihren Job wiederaufnehmen zu können, hat sie für Jericho ein Kindermädchen gesucht. Leanna erweist sich nicht nur als fähig, dieses Spiel mitzuspielen. Sie vertieft sich darin so ernst wie Dorothy, auch wenn die gar nicht zuhause ist. Seans Aufforderung, die Puppe dann Puppe sein zu lassen, ignoriert sie mit vorwurfsvoller Konzentration auf die Jericho-Betreuung.

Wirkungsvoller Grusel

Produziert, teilweise inszeniert und durchgehend geprägt wird „Servant“ von einem Kinoregisseur, dessen Handschrift sich noch nie so schön entfalten konnte wie hier: M. Night Shyamalan. Der Spezialist für Fantastisches, der seinen Durchbruch 1999 mit dem Spukfilm „The Sixth Sense“ hatte, verlässt sich in seinen Filmen oft auf Gimmicks und überraschende Wendungen, die über die Defizite der Geschichten und Charakterentwicklung nur bedingt hinwegtäuschen können. „Servant“ dagegen weist eine feine Balance zwischen dem Greifbaren und dem Ominösen auf. Sehr wirkungsvoll wird Grusel erzeugt, aus dem Schrecken menschlichen Schmerzes, der Unnahbarkeit einiger verkrümmter Figuren und der jähen, rücksichtslosen Präsenz des Übersinnlichen.

„Servant“ wird bereits mit den klassischen Werken von Roman Polanski verglichen, vor allem natürlich mit „Rosemarys Baby“ von 1968. Das ist nicht falsch, aber Shyamalan und sein Team arbeiten nicht entlang der Bruchlinien von Vorgestern. In Leanna und den Turners treffen ein ressentementstarker konservativer und ein egomanisch liberaler Teil der US-Gesellschaft aufeinander – und hinter den Floskeln alltäglicher Freundlichkeit rumort etwas.

Höllenspuk statt Glück

In dem seltsamen Kreuz, das Leanne bastelt und über die Wiege der Puppe hängt – man denkt eher an die Hexenholzbündel in „Blair Witch Project“ als an ein Kruzifix – drängt sich Archaisches ins Haus der Turners. Das ist deshalb interessant, weil diese Leute sonst gerne mal altes Wissen und natürliche Hausmittel mit neuen Technologien und avancierter Chemie kombinieren, wenn es ihrem ihrem Stil oder ihrer Gesundheit zu dienen scheint. „Servant“ zweifelt beständig an der Versöhnbarkeit der Welten. Das Lebendigwerden der Puppe ist dann ein Höllenspuk, zugleich aber ein Bild für entfesselte, Grenzen überschreitende Genmedizin.

Das alles funktioniert auch darum so gut, weil der Kameramann Michael Gioulakis das Haus, in dem fast alle Szenen spielen, als Mischung aus klaustrophobischem Verlies und traurigem Utopieskelett vor uns hinstellt. Man kann sich gar nicht satt sehen an dieser Absage ans Geld als Garant für Glück.

Verfügbarkeit: beim Streamingdienst Apple TV+