Eindeutig Stuttgarter Kulisse: Peter Ketnath„(li.) und Michael Gaedt in der ZDF-Vorabendserie „SOKO Stuttgart“ Foto: ZDF/Markus Fenchel

Ohne ihn wäre der Filmstandort kleiner: Produzent Oliver Vogel erklärt im Interview, wie er für die „Soko Stuttgart“ eine Infrastruktur geschaffen hat und was der sich wandelnde Markt verlangt.

Herr Vogel, was macht eine Serie wie „SOKO Stuttgart“ langlebig?
Man kann nie sagen: Das lief doch gut all die Jahre. Wir sehen, dass die Quoten nicht mehr bei 19,5 Prozent liegen, sondern bei 18,5 oder 19, was noch kein Problem ist, aber ein Hinweis. Streaming-Dienste wie Netflix machen dem linearen Fernsehen Konkurrenz. Darauf muss man rechtzeitig reagieren, so lange es gut läuft, und nicht erst, wenn man abstürzt.
Wie kann so eine Reaktion aussehen?
In der 7. Staffel der „SOKO“, die derzeit läuft, erzählen wir wie die US-Serien erstmals horizontal aus dem Privatleben der Kommissare. Bei Astrid M. Fünderich haben wir die Figur ihres Mannes besetzt und gehen mit ihr nach Hause. Wenn sie Eheprobleme bis hin zur Trennung und eine Liebesaffäre hat, wird es nachvollziehbar, dass sie im Job unaufmerksamer, fahriger wird. Das macht die Kommissare noch lebendiger, man glaubt sie besser kennenzulernen.
Was heißt das für den Produktionsprozess?
Früher konnten wir Drehbücher austauschen, das geht nicht mehr. Und wenn man im Sommer zehn Folgen wiederholt, kann man nicht mehr frei wählen, sondern muss zehn aufeinanderfolgende nehmen. Die Producerin, die sich um die Bücher kümmert, hat jetzt eine Überblicks-Tafel, auf der steht, was in welcher Folge passiert bis in die Nebenstränge. Der organisatorische Aufwand ist höher, dafür steigt die Qualität.
Was zeichnet eine Qualitätsserie aus?
Die Figuren sind viel differenzierter, sie durchlaufen größere Transformationen, es sind Entwicklungen möglich, für die man in 90 Minuten keine Zeit hat. Da merkt man in Folge zwölf, dass die alles genau wussten, als sie Folge eins geschrieben haben. Wir haben das bei „Dr. Klein“ in die Tat umgesetzt, und es ist nicht unanstrengend. Die Autoren kritisieren einander, da muss man das Gegenteil von eitel sein und auch geballte Kritik annehmen. Die Amerikaner pflegen das schon lange, sie haben herausragende Autoren und geben viel Geld für sie aus.
Kann Deutschland da mithalten?
Die aktuelle Vox-Serie „Club der Roten Bänder“ finde ich herausragend. Medizin-Serien machen wir seit 20 Jahren, aber die ist anders, weil sie aus Sicht der Patienten erzählt wird. Ich hoffe, dass „Deutschland 83“ von RTL funktioniert. Jeder Erfolg in diesem Segment bringt die deutsche Fiction generell voran.
Wo stehen die öffentlich-rechtlichen Sender?
Ich kann ihnen nur empfehlen, da einzusteigen, denn sie können es sich leisten, eher als andere. Das ZDF hat das mit „Dr. Klein“ schon getan. Man findet beim ZDF mit außergewöhnlichen Ideen Zuhörer. Noch vor fünf Jahren wäre ein schwuler Chefarzt in einer Vorabendserie undenkbar gewesen.
Und die ARD?
Die ARD ist ein föderales System mit vielen Entscheidungsträgern, die alle unterschiedliche Geschmäcker haben und aus unterschiedlichen Regionen kommen. Da ist es viel schwerer, mutige Entscheidungen zu fällen. Der Druck muss aus dem Markt kommen. Wenn die Autoren nicht mehr bereit sind, fürs derzeitige Vorabend-Honorar zu schreiben, weil sie bei Sky, TNT oder Netflix viel mehr bekommen, müssen die Sender nachziehen.
Das Publikum möchte heute selbst entscheiden, was es wann anschaut, und bezahlt auch dafür – ein Paradigmenwechsel?
Content ist heute ein Luxusgut wie ein Kino-Ticket, man bezahlt für Sky, Netflix oder Amazon Prime und bekommt ein sehr hochwertiges Angebot. Wieso sollte man eine 400 000-Euro-pro-Folge-Serie aus Deutschland anschauen, wenn man ohne Aufpreis „Boardwalk Empire“ haben kann, wo jede Folge sieben Millionen Dollar kostet und man das auch sieht? Die Abonnenten gewöhnen sich schnell ans US-Niveau. Und wenn man Zuschauer einmal verloren hat, ist es brutal schwer, sie zurückzugewinnen. Das ist wie in der Autoindustrie.
Netflix hat angekündigt, auch in Deutschland Serien zu produzieren – haben Sie Kontakt?
Den haben alle deutschen Produzenten. Einer von uns wird für Netflix die erste originäre deutsche Serie machen, und ich hoffe, dass die ein Erfolg wird, egal wer sie macht – damit Netflix sieht, dass wir internationalen Content bieten können und Deutschland als Markt interessant ist. Dann werden weitere Produktionen folgen. Das wäre auch eine Chance für die vielen Absolventen von Filmhochschulen, für die es derzeit zu wenig Arbeit gibt. Jeder Erfolg schafft Vertrauen, das gilt auch für Vox und RTL.
In Stuttgart gibt es eine starke Animations- und Effektbranche – können Sie sich eine moderate Superhelden-Serie vorstellen wie „Jessica Jones“, die gerade auf Netflix läuft?
Mit Heiko Burkhardtsmaier von Mackevision habe ich so ein Projekt entwickelt und angeboten. Das wurde abgesagt, aber das gehört zum Geschäft. Wir werden dranbleiben, denn der Markt schreit nach solchen Formaten.
Sie haben mit TV-Serien angefangen, als diese noch nicht den heutigen Stellenwert hatten . . .
Ende der 1990er wollten alle Kino machen. Als ich für die ARD die Ärzte-Serie „In aller Freundschaft“ aufgebaut habe, hieß es: Serie? Spinnst du? Im Osten? Und auf Video? Ich war bei den Kommilitonen aus Ludwigsburg geächtet. Aber nach zwei Jahren hat der erste angerufen: Sucht ihr noch Regisseure? Denn von einem Kinofilm in drei Jahren kann keiner leben. Dass das Seriengeschäft jetzt explodiert, ist natürlich mein Glück. Hollywood-Stars und -Regisseure machen Serie.
Ist das 90-Minuten-Spielfilmformat tot?
Nein. Deutschland ist beim TV-Film sehr stark, so etwas wie den „Tatort“ gibt es sonst nirgends, in ARD und ZDF sieht man herausragende Einzelstücke. Aber ich gebe zu: Wenn ich die Wahl habe und auf Sky Action kommt, die 120 Millionen gekostet hat, gucke ich eher die.
Wie sehen Sie das deutsche Kino? Erfolg haben nur wenige wie Til Schweiger, und der wird regelrecht geschnitten.
Til Schweiger hält die deutsche Kinoproduktion am Laufen, zusammen mit Matthias Schweighöfer und Bora Dagtekin. Wenn es die nicht gäbe, gäbe es noch weniger Verleiher, noch weniger Filme. Von 10 000 Zuschauern kann keiner leben. Gegen „Honig im Kopf“ kann niemand etwas sagen, bei „Fack ju Göhte“ habe ich wirklich gelacht. Wie man Til Schweiger übergeht, auch beim deutschen Filmpreis, das ist nur Neid. Er könnte da souverän sein, denn Neid ist ja eigentlich die höchste Form der Anerkennung.
Als Sie in Stuttgart mit der „SOKO“ angefangen haben – gab es da eine Infrastruktur?
Nein. Aber ich hatte die Bavaria im Rücken und es gab viele gut ausgebildete Absolventen, die wir über Praktika ausbilden konnten. Bei Stadt und Land standen die Türen offen, wir haben Förderung bekommen. Es war also kein Heldenmut, sondern eine riesige Chance. Die „SOKO“ hat eine Professionalisierung bewirkt, andere haben dann Serien wie „Fuchs und Gans“, „Die Kirche bleibt im Dorf“ oder „Huck“ hier drehen können.
Waren die regelmäßigen Dreharbeiten für die Stadt ein Lernprozess?
Ja. Man muss man mit guten Drehbedingungen locken, dafür geben die Produzenten vor Ort viel Geld aus. Wenn Anwohner genervt sind, muss man ihnen erklären, wie viele Arbeitsplätze das sind, wie das den Tourismus beflügelt. Die „SOKO“ zeigt tolle Bilder von Stuttgart, die Serie ist in viele Länder verkauft, der Name der Stadt steht im Titel und damit in allen Programmzeitschriften. Da sagt jeder Marketingexperte: Umgerechnet in einen 1000er-Kontaktpreis könnte man das gar nicht bezahlen.
Nun bekommen Sie den Ehrenpreis des Landes – wie fühlt sich das an?
Großartig. Aber ich verstehe ihn auch als Aufforderung: Mach noch 20 Jahre weiter!