Mit Kolumnist Joe Bauer sitzen sie in Folge sechs beim Stuttgarter Brunnenwirt und sind beeindruckt, dass so ein unangepasster, eckiger Typ sich selbst gerne als Schwabe bezeichnet. Foto: youtube

In der Comic-Doku „Das Herz von Stuttgart“ erforschen zwei Ludwigsburger Filmstudenten die ihnen zunächst unergründliche Liebe zum Schwäbischsein.

Ludwigsburg - Wie Menschen im Schwäbischen ihre Heimat sehen können, das haben die beiden Filmakademie- Studenten Marc Eberhardt und André Krummel nicht verstanden. Denn lieber gestern als heute wollten sie aus Ludwigsburg weg. Aber sie haben ihre negativen Empfindungen genutzt, um etwas Originelles zu schaffen: die amüsante, animierte Dokumentationsserie „Das Herz von Stuttgart“, über die sie sich den Heimatgefühlen in der schwäbischen Metropole annähern.

Aber was stört die Studenten eigentlich so an Ludwigsburg? „Am Schlimmsten finde ich es, wenn ich eine Familie mit zwei Kindern sehe, alle tragen dieselbe Funktionskleidung, sie steigen in einen dicken SUV, der sie in einen Vorort der Stadt in ihr Eigenheim bringt“, sagt Eberhardt. So stellt er sich den Prototyp des Schwaben vor: angepasst, angekommen, leistungs- und konsumorientiert. Spießig halt nach dem Motto: Schaffe, schaffe, Häusle baue. „Es gibt da keinen Raum für eigene Wege“, sagt er.

„Mit den Erfolgsschwaben sind wir nicht klargekommen“

„Mit den Erfolgsschwaben sind wir einfach nicht klargekommen“, sagt Krummel. Und der Begriff Heimat sei für ihn, der aus einem Dorf in Sachsen-Anhalt stammt, ohnehin negativ belastet. Dort habe er Angst vor allem Fremden erlebt, die seiner Meinung nach aus dem fehlenden Blick über den eigenen Tellerrand resultiert. Bei den Stuttgartern vermuteten der 28-Jährige und sein 33-jähriger Kommilitone Ähnliches. „Wir dachten, der ganze Schwabenstolz kommt davon, dass der Blick nicht über den Kesselrand reicht.“ Ihre These erforschten sie 2015 in einer studentischen Projektarbeit, aus der die Serie schließlich entstand.

Ihr Weg führte sie dabei zunächst auf die Stuttgarter Königsstraße, um Stimmen von Passanten einzufangen. „Diese einfach nur zu zeigen wäre zu öde gewesen“, so Eberhardt. Deshalb verpassten sie dem Film einen poppig animierten Comic-Look, der die Figuren als Typen stark überzeichnet. Auch vor sich selbst als Interviewer machten sie nicht halt.

Maultaschen machen mit Marc Eberhardts Mutter

Sie spielen mit Klischees und Vorurteilen, um schließlich tiefgründig zu erforschen, warum Schwaben gerne Schwäbisch sind . Der Weg führt sie von der Straße über ein Daimler-Werk zu Eberhardts Mutter, die in einem Dorf bei Reutlingen lebt. Mit ihr machen die jungen Männer Maultaschen. Die Mutter erzählt in breitestem Schwäbisch, dass sie gar nicht verstehe, dass ihr Sohn dieses „Fernsehdeutsch“ statt Dialekt redet.

Weiter geht es in das legendäre Stuttgarter Café Weiß und zu mindestens ebenso legendären Persönlichkeiten der Stadt wie den Kolumnisten der Stuttgarter Nachrichten, Joe Bauer, der jeden Winkel der Stadt kennt und in allen Ecken – von den schönen bis zu den abgründigen – bereits gewesen ist. „Joe Bauer hat uns das revolutionäre Potenzial der Stadt gezeigt, zum Beispiel am Thema Stuttgart 21“, sagt Eberhardt. Das hat sie beeindruckt. Viel mehr aber noch, dass sich dieser kantige Autor mit langen Haaren und Hut gern als Schwabe bezeichnet. „Er hat die Stadt zu seiner gemacht“, sagt Krummel.

„Das Leben ist besser, wenn man es einfach akzeptiert, wie es ist.“

Stück für Stück verstehen die beiden selbst besser, was ihnen zu Beginn ihrer Arbeit unverständlich gewesen ist. Am tiefgreifendsten krempelt der positive Fatalismus Harry Walters ihre Ansichten um. In der letzten Folge philosophiert der Künstler und Autor auf einer Parkbank. „Er wirft der jungen Generation – also uns – vor, immer am besten Ort leben, die beste Ausbildung bekommen und immer alles perfekt haben zu wollen“, meint Krummel. Er sagt aber: „Das Leben ist besser, wenn man es einfach akzeptiert, wie es ist.“

Auch Rainer Bocka, der es dann aber doch nicht in die Serie geschafft hat, habe ihren Blick erweitert. Er ist der Besitzer des Café Galao am Marienplatz, in dem eher Alternative statt Schickimickis Platz nehmen. Bocka habe erzählt, dass er in der ganzen Stadt kein Café gefunden habe, das ihm gefiel. Also habe er selbst eines eröffnet, damit die Leute angezogen, die zu ihm passten, und sich so seine eigene Heimat geschaffen. Der Kreis schließt sich. Denn in der ersten Folge gibt ihnen ihr Mentor, der Avantgarde-Filmregisseur Rosa von Praunheim, den Tipp: Das Leben sei voller Gold. „Wenn man ständig nur weg will, übersieht man vielleicht die positiven Dinge, die es gibt“, erklärt André Krummel.

Des Begriff Heimat müsse von seiner Ortsgebundenheit befreit werden

Ihr Fazit: Im 21. Jahrhundert müsse der Begriff Heimat von seiner Ortsgebundenheit befreit werden. „Marc ist zum Beispiel meine Heimat“, sagt André. Bei ihm fühlt er sich zu Hause, er kann sich mit ihm identifizieren und fühlt sich verstanden. Beide haben gelernt, dass sie ihre Heimat an jedem Ort erschaffen können – eben durch den Kontakt zu den passenden Menschen. In einem platten Kalenderspruch gesagt: Heimat ist dort, wo das Herz ist.

Das ist der Grund, warum sie am Ende der Serie die Stadt in die Luft jagen. „Übrig bleibt ein Haufen unbedeutender Beton“, sagt Krummel. Darauf tauchen zwei bunte Vögel auf, die sich nicht im Stich lassen. „Das sind wir beide.“ Auf dieses zu Hause in anderen Menschen komme es doch an und das könne man schließlich an jedem Ort finden.

Anklicken und Anschauen:

Doku-Serie:
Die sechs Folgen der animierten Dokumentation „Das Herz von Stuttgart“ sind auf dem Internet-Film-Portal Youtube zu sehen. Und zwar im Kanal der Filmakademie Baden-Württemberg.

Auf Leinwand:
Bei der Stuttgartnacht wird die Serie am Samstag, 14. Oktober, von 19 bis 2 Uhr im Bürgerzentrum des Landtags in einer Dauerschleife gezeigt.

Trickfilm-Festival: Beim Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart war „Das Herz von Stuttgart“ bereits im Jahr 2016 zu sehen.