Willi Müller, eine Sportlegende beim SV Fellbach ebenso wie beim SV Flözlingen Foto: Michael Käfer

Großartige Erfolge, großartige Momente: Fellbachs Sportler(innen) haben in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt. Wir wollen ihre Geschichte und ihre Geschichten wieder aufleben lassen. Heute: Willi Müller, auch „Rekord-Willi“ genannt.

Fellbach - Es herrschte Ausnahmezustand in Fischbach. Die Bürger des Ortsteils von Niedereschach im Schwarzwald-Baar-Kreis begrüßten den stärksten Mann aus ihren Reihen mit einem gewaltigen Aufmarsch von Fackelzug, Musikkapelle und Kirchenchor.

Willi Müller war Bester im Reißen und lag plötzlich auf dem zweiten Platz

Natürlich ließen es sich auch die Bürgermeister der damals noch selbstständigen Gemeinde Fischbach und von Flözlingen nicht nehmen, Willi Müller nach seinem ebenso großen wie überraschenden Triumph zu begrüßen. „Ich habe das damals gar nicht so richtig begriffen“, sagte der kurz zuvor gekrönte deutsche Juniorenmeister der Gewichtheber von 1959 rückblickend.

Als Außenseiter war er – damals noch mit dem Trikot des SV Flözlingen in der Sporttasche – nach Essen-Borbeck gefahren. Nicht einmal einen Betreuer hatte er dabei: „Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.“ Spät abends, nach langer Zugfahrt, kam der Schwerathlet zu Fuß in der Jugendherberge an. So spät, dass ihm fast der Einlass verwehrt worden wäre. Tags darauf war er dennoch ausgeschlafen. Unter den 18 Startern lag Willi Müller zunächst zurück, denn die Auftaktdisziplin der damals noch als Dreikampf von Drücken, Reißen und Stoßen ausgetragenen Gewichthebermeisterschaften behagte ihm nicht. Danach wendete sich das Blatt jedoch. Willi Müller war Bester im Reißen und lag plötzlich auf dem zweiten Platz. „Da habe ich gemerkt, dass ich gewinnen kann“, erinnert sich der mittlerweile 80-Jährige. So sollte es dann auch kommen. Denn im Stoßen, seiner stärksten Disziplin, ließ Willi Müller nichts mehr anbrennen und holte Gold.

Grund zu ausgelassener Freude gab es in den Jahren mit Willi Müller und davor für die Fellbacher Gewichtheberfreunde immer wieder

Es sind die ersten großen Titel, an die sich der Mann des Eisens besonders gerne erinnert. An seinen ersten Weltmeistertitel als Kraftdreikämpfer, seinen 1968 errungenen Titel als deutscher Meister der Männer im Gewichtheben und eben den ersten der nationalen Juniorentitel aus den Jahren 1959 und 1960. Große Titel, die Willi Müller auch für den SV Fellbach errungen hat. Von 1964 bis 1973 war er Teil der Fellbacher Gewichtheber-Mannschaft, die bereits in den Jahren zuvor ihre Zugehörigkeit zur nationalen Spitze bewiesen hatte. 1948, 1949 und 1950 sowie 1955 und 1956 wurde der Verbund jeweils deutscher Vizemeister in einer Sportart, die sich damals enormer Popularität erfreute. Bei den zu Willi Müllers Glanzzeiten noch häufig ausgetragenen Länderkämpfen war die alte Fellbacher Stadthalle proppenvoll und die Stimmung prächtig. „Er hat das Publikum mitgerissen und natürlich seine eigenen Mannschaftskameraden“, sagt Hansjörg Schaupp, der von 1957 bis 1977 Abteilungsleiter der Schwerathleten des SV Fellbach war und anschließend bis 1986 dessen Vorsitzender.

Eher sporadisch im Fellbacher Aufgebot vertreten war ein anderer, ebenso prominenter wie starker Fellbacher

Grund zu ausgelassener Freude gab es in den Jahren mit Willi Müller und davor für die Fellbacher Gewichtheberfreunde immer wieder. Die Hebermannschaft hatte mehrere Mitglieder, die internationales Niveau hatten. Zu ihnen gehörte Anton Leuthe, den alle Toni nannten. Der 2008 kurz nach seinem 86. Geburtstag verstorbene Leicht- und Mittelgewichtler zählte disziplinübergreifend zu den besten Sportlern des SV Fellbach. Der gebürtige Singener wurde sechsmal deutscher Meister und nahm 1952 an den Olympischen Spielen von Helsinki teil. Seine letzte Silbermedaille bei nationalen Titelkämpfen gewann er 1960, wobei er den jungen Willi Müller auf den dritten Platz verwies.

Zu den ganz starken Männern des SV Fellbach zählte in jener Zeit zudem Wolfgang Kneißl. „Er war auch im Kader für die Olympischen Spiele 1972“, erinnert sich Willi Müller, der selbst dreimal in der engeren Auswahl für die Olympischen Spiele stand, letztlich aber aus Verletzungsgründen nie beim sportlichen Großereignis antreten durfte. Eher sporadisch im Fellbacher Aufgebot vertreten war ein anderer, ebenso prominenter wie starker Fellbacher: der Bodybuilder und ehemalige Mr. Universum Jusup Wilkosz, der in Fellbach Aushängeschild eines Sportstudios war.

Den größten Mannschaftserfolg in den Jahren mit Willi Müller feierte der SV Fellbach 1969 mit dem dritten Platz bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften. Lothar Kleiß, Wolfgang Kneißl, Karl Holdenried, Dieter Lipinski, Dieter Waibler, Siegfried Kemmler und Willi Müller standen damals im Fellbacher Kader und mussten sich nur den Teams des siegreichen AC 1892 Mutterstadt und des SV Phönix Kassel geschlagen geben.

Fünf Weltmeistertitel und acht kontinentale Meisterschaften sammelte Willi Müller

Bereits von Mitte der 1960er Jahre an ist das Sportlerdasein von Willi Müller zunehmend professioneller geworden. Der Maurermeister war wegen der besseren sportlichen Möglichkeiten vom SV Flözlingen nach Fellbach gewechselt. Anfangs arbeitete er noch zehn Stunden pro Tag bei einem Bauunternehmer, später gab es dann finanzielle Unterstützung von der Sporthilfe. Nur noch sechs Stunden Arbeit auf dem Bau waren für ihn die erfreuliche Folge, und damit war nahezu tägliches Training möglich. In der Gewichtsklasse bis 110 Kilogramm erreichte Willi Müller Bestleistungen von 156 Kilogramm im Reißen, 196 Kilogramm im Stoßen und 173 Kilogramm im Drücken, einer Disziplin, die längst nicht mehr Teil des Zweikampfs der Gewichtheber ist.

Nach seiner Rückkehr zum SV Flözlingen, dessen Gewichtheberabteilung er maßgeblich förderte und bei dem sein Sohn Reiner heute die Oberliga-Mannschaft trainiert, startete Willi Müller eine zweite Karriere als Kraftdreikämpfer. In dieser Disziplin schaffte „Rekord-Willi“ die ihm im Gewichtheben versagt gebliebenen internationalen Medaillen: Fünf Weltmeistertitel und acht kontinentale Meisterschaften sammelte Willi Müller, der bereits zuvor, 1974, vom SV Fellbach als Erster die Auszeichnung „Sportliches Vorbild“ erhalten hatte.