Kenneth Branagh als Ex-Premierminister in „This England“ Foto: /Phil Fisk

Michael Winterbottoms Serie „This England“ widmet sich der Ära Boris Johnson. Doch er ist zu früh dran und bietet weder genug Witz noch genug Ernst.

Wenn man für einen Moment die Augen schließt, könnte man denken, das wäre tatsächlich Boris Johnson, der da vor sich hin salbadert, Witzchen reißt, Sprüche klopft („Get Brexit done!“) und rein gar nichts wirklich ernst nimmt. Wenn man die Augen wieder öffnet, sieht man den Nordiren Kenneth Branagh, der gerne Shakespeare spielte – 1989 „Henry V.“, 1996 „Hamlet“ – und sich zuletzt die Rolle als Detektiv Hercule Poirot auf den Leib geschrieben hat („Tod auf dem Nil“, 2022).

Branagh kommt nah heran an den früheren britischen Premierminister, der gechasst wurde, weil er nachweislich gelogen und Regeln allzu sehr zu seinen Gunsten ausgelegt hat. In der wurstigen Leichtigkeit, in der seine Rolle angelegt ist, wirkt der Schauspieler aber eher wie ein Karnevals-Imitator denn wie ein satirischer Interpretierer.

Die Serie war schon fertig, als Johnson gehen musste

Von einem Filmregisseur wie Michael Winterbottom („24 Hour Party People“) war mehr zu erwarten – seine Serie „This England“ allerdings fast fertig, als „Party-Gate“ eskalierte und Johnson seinen Hut nehmen musste. Nun wirkt es so, als lasse Winterbottom Johnson viel zu gut wegkommen. Unabhängig davon bleibt die Frage: Was wollte er eigentlich erzählen – und warum?

Während Johnsons Chefberater Dominic Cummings (Simon Paisley Day) im Regierungssitz in der Downing Street No. 10 mit eiserner Hand Kampagnenpolitik macht und gnadenlos junge Talente heuert und feuert, urlaubt Johnson mit seiner Lebensgefährtin Carrie Symonds (Ophelia Lovibond). Oder er wankt wie ein wirrer alter Mann durch sein Haus und versucht, zwischen den Mitarbeitern den Yorckshire Terrier einzufangen.

Ein Hauptthema ist die beginnende Pandemie

Winterbottom hat sich also gegen den ernsthaften Ansatz entschieden, der Aaron Sorkins US-Präsidentenserie „The West Wing“ (1996-2006) so erkenntnisreich macht. Stattdessen hat er eine Farce inszeniert. Die müsste komisch sein, um zu funktionieren. Man hätte sich Johnson durchaus so vorstellen können wie den Chef in „The Office“ (2001-2003): Ricky Gervais hat aus dieser Figur den Inbegriff eines hundsgemeinen, inkompetenten Anbiederers gemacht. Gemessen daran bleibt Branaghs Johnson geradezu blass, aus ihm wird kaum mehr als ein mittelmäßiger Schaumschläger.

Ein weiteres Problem ist das politische Großthema zu Beginn der Ära Johnson. Die erste Corona-Welle bricht gerade los, und Winterbottom verliert sich in einer sehr detailreichen, sehr langatmigen Darstellung der Pandemie-Entwicklung. Masken, Corona-Apps, Tests – davon haben die meisten inzwischen wirklich die Nase voll.

Das deutsche Publikum hat zwei Handicaps

Für deutsche Zuschauer gibt es zwei weitere Handicaps. Johnson war zwar in den Medien weltweit präsent, auch mit seiner Art zu reden, aber man hat hierzulande viel weniger von ihm gesehen und gehört als das britische Publikum. Zudem ist „Boris“ natürlich nicht synchronisierbar, man muss also zwingend auf Englisch mit Untertiteln schauen, was nicht jederfraus und jedermanns Sache ist.

Boris Johnson wäre fraglos ein geeigneter Protagonist für eine Serie mit Witz. Dieser erste Anlauf aber kommt zu früh und ist insgesamt eher verunglückt.

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