Familie Heynen hat von der Finanzkrise nichts zu spüren bekommen. Foto: Helmut Hetzel

Banken vor der Pleite, Staaten vor dem Bankrott: Die Krise, die 2007 begann, hat die EU und das Leben der Menschen verändert. Die Folgen sind noch immer zu spüren. Unsere Serie beleuchtet den Alltag. Heute: Familie Heynen in Luxemburg.

Luxemburg - Im Sommer rockt es immer richtig in Luxemburg. Doch Alain Heynen (42) war in diesem Jahr nicht dabei beim großen Rockfestival in Luxemburg-Stadt auf dem „Knuedler“, dem zentralen Platz in Luxemburg-Stadt. Er zog einen Campingurlaub sowie ein großes Pfadfindertreffen der Musik vor, genießt die Natur zusammen mit seiner Frau Danielle(40) und seinen drei Kindern Julie (5), Clara (3) und Mathis (1).

Heynen war in diesem Jahr einer der Mitorganisatoren des internationalen Pfadfinder-Treffens „Camp go Urban“ auf dem Kirchberg, wo er einer der Leiter der Luxemburger Sektion „Letzeburger Guiden en Scouten“ war. Rund 4000 Pfadfinder aus 24 Ländern trafen sich dort in diesem Sommer. Wenn er nicht unter den Scouts weilt, ist der Ingenieur Heynen, der an der RWTH in Aachen Entsorgungs-Ingenieurwesen studierte, in einer leitenden Funktion für die Abfallbeseitigung für ganz Luxemburg zuständig. „Wir halten Luxemburg sauber“, sagt er stolz.

Überzeugter Europäer

Er ist überzeugter Europäer. Auf die Frage, was Europa für ihn bedeutet und welche Rolle der Staatenbund für ihn und seine Familie im Alltag spielt, hat er schnell eine Antwort parat: „Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der sich die EU schnell erweiterte. Ich habe miterlebt, wie das Schengen-Abkommen, das den freien Güter- und Personenverkehr in der EU ohne Grenzkontrollen möglich macht, in den einzelnen Ländern umgesetzt wurde. Das war faszinierend.“ Und er ergänzt: „Ich fühle mich als Europäer, aber die EU ist in manchen Angelegenheiten auch eine Zweckgemeinschaft.“

Er sagt das voller Überzeugung, obwohl das Luxemburger Motto lautet: „Mir wëlle bleiwe, wat mir sin“ – zu Deutsch: Wir wollen bleiben, was wir sind. Das geht gut zusammen, denn Luxemburger sind wohl die Europäer, die der EU am positivsten gegenüberstehen und die am meisten von der EU profitieren. Sie sind Lokalpatrioten in einem international orientierten Land.

Luxemburg profitiert von der EU besonders stark

„In meinem Alltag habe ich viel mit Ausländern zu tun, die von dem offenen Arbeitsmarkt innerhalb der EU profitieren. Ein Land wie Luxemburg profitiert besonders viel von der EU, weil wir ein kleines, aber eben sehr offenes Land sind“, sagt Heynen.

Luxemburg stand auch mit den Niederlanden und Belgien an der Wiege der EU. Die drei Länder gründeten 1944 in London die Benelux-Zollunion, die 1948 in Kraft trat und bis heute als Benelux-Union innerhalb der EU fortbesteht. Die Benelux-Union war sozusagen eine Art Mini-EU avant la lettre.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise in den zurückliegenden zehn Jahren, die mit dem Platzen der Immobilienblase 2007 in den USA begann, dann in die Finanzkrise in Europa, die Griechenland- und die Krise des Euro mündete, ist an der Familie Heynen weitgehend spurlos vorübergegangen.

„Die Finanzkrise hat Luxemburg nicht so hart getroffen wie andere Länder. Oder es wurden hierzulande vielleicht die richtigen Entscheidungen getroffen, um der Krise Paroli bieten zu können. Persönlich spüre ich die Nachwirkungen der Finanzkrise kaum“, sagt Alain Heynen.

Strukturwandel vollzogen

Luxemburg hat in den vergangenen Jahrzehnten einen enormen Strukturwandel durchlaufen, konnte die Krise gut abfedern. Vom Industriestandort, wo vor allem Stahl produziert wurde, was auch heute noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, mauserte sich das Ende 2016 knapp 583 000 Einwohner zählende Großherzogtum zu einem der führenden Finanzplätze in Europa. Vor allem das Derivatengeschäft ist eine Spezialität der vielen Luxemburger Banken, die dem Großherzogtum in den vergangenen Jahren neue Arbeitsplätze und großen Wohlstand brachten, die aber auch lange Schatten warfen, weil Luxemburg als Steuerparadies durch eben diese Banken und deren manchmal undurchsichtigen und dubiosen Geschäfte in die negativen Schlagzeilen kam.

Der Wandel vom Industrie- zum Dienstleistungs- und Finanzzentrum hat die Luxemburger wohlhabend gemacht. Luxemburg ist heute das reichste Land in der EU. Luxemburger verdienen jährlich im Schnitt mehr als 65 000 Euro und liegen damit nur knapp hinter der Schweiz. Hier lässt es sich also gut leben, wenn man einen guten Job hat, denn ähnlich wie in der Schweiz sind aufgrund des hohen Einkommens der Bevölkerung die Preise im Großherzogtum entsprechend hoch. Wer sich eine gute Flasche luxemburgischen Wein, etwa einen Riesling oder Auxerrois, der an den steilen Moselhängen wächst, gönnen will, muss tief in die Tasche greifen.

Brexit könnte neuen Boom bescheren

Der bevorstehende Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, dürfte dem Finanzplatz Luxemburg einen weiteren Boom bescheren, denn neben Frankfurt, Amsterdam, Dublin und Paris ist Luxemburg einer der attraktiven und alternativen Finanzplätze, in die viele Banken aus der Londoner City ihre künftigen Europa-Aktivitäten nach dem Austritt der Britten aus der EU verlagern wollen.

Der Brexit, von dem heute niemand weiß, wie er enden wird, bereitet auch dem überzeugten Europäer und Luxemburger Heynen schlaflose Nächte. Er sagt: „Für die EU ist der Brexit eine echte Bewährungsprobe. Wenn wir diese Krise überstehen, dann sieht die Zukunft Europas wieder rosiger aus.“

Aber noch ist der Brexit nicht überstanden. Meistern müssen ihn vor allem die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten – aber auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, auf den Heynen mächtig stolz ist. Mit Juncker stellt das Großherzogtum bereits den dritten EU-Kommissionspräsidenten. Luxemburg ist damit das einzige EU-Land, das mit Gaston Thorn, Jacques Santer und nun mit Jean-Claude Juncker drei Präsidenten an die Spitze der EU hieven konnte. Das nach Malta kleinste EU-Land beweist damit wirklich politische und personelle Größe und vor allem großes diplomatisches Geschick. „Jean-Claude Juncker ist einer der wenigen Politiker auf der europäischen Bühne, der die Kompetenz hat, die EU in die richtige Richtung zu führen und die richtigen Entscheidungen zu treffen“, ist Heynen überzeugt. Aber nicht nur die EU, auch die USA und die Kapriolen von US-Präsident Donald Trump beschäftigen den Luxemburger. Trump dürfe aber nicht überschätzt werden. Er habe in seiner Heimat im Repräsentantenhaus und im Senat zwar mit seiner Partei eine Mehrheit, „bekommt aber viele Gesetze nicht durch. Donald Trump hat sich aber mehrfach für die Nato ausgesprochen. Es ist aber an der Zeit, sich mit dem Gedanken einer europäischen Armee auseinanderzusetzen“, so Heynen.

Viele Migranten haben sich gut integriert

Viel vom heutigen Wohlstand hat das Großherzogtum Luxemburg den Migranten und den vielen Grenzarbeitern zu verdanken, die täglich zur Arbeit aus Frankreich, Belgien oder aus Deutschland nach Luxemburg kommen. „Verschiedene Migranten haben sich sehr gut integriert, andere leben eher zurückgezogen und suchen nur wenig Kontakt zu anderen Bevölkerungsgruppen“, sagt Heynen und ergänzt: „In Luxemburg ist die Ausländerfeindlichkeit im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern relativ gering. Fast die Hälfte der Bevölkerung besteht aus ausländischen Mitbürgern. Das Wirtschaftswachstum in Luxemburg wäre ohne die Migranten in der jetzigen Form nicht möglich gewesen.“ Er glaubt, das Herzogtum könne ein Modell für Migration sein.

Schwierig sei die Frage zu beantworten, ob er durch den europäischen Einigungsprozess glücklicher und zufriedener geworden ist, sagt Heynen. „Ich bin jedenfalls nicht unglücklicher geworden. Für meine Kinder sehe ich die Europäische Union als eine große Chance.“