Jeden Tag landen rund 220 Millionen Liter Abwasser im Hauptklärwerk in Stuttgart-Mühlhausen. Auch das Esslinger Abwasser wird hier gereinigt. Foto: Stadtentwässerung Stuttgart

Wer macht eigentlich unseren Müll weg? Wir besuchen Betriebe und Menschen, die uns die dreckige Arbeit abnehmen, während wir sie kaum wahrnehmen.

Esslingen - Manche Dinge könne er fast nicht erzählen. Bei anderen muss Rolf Pfeiffer einfach nur lachen. Mit dem Abwasser kommen die unmöglichsten Sachen bei ihm im Hauptklärwerk in Stuttgart-Mühlhausen an. Wasserschläuche und Steine hat er schon gesehen. „Auch Gebisse landen bei uns“, sagt Pfeiffer. Und es geht noch skurriler: Der Leiter der Dienststelle Klärwerksbetrieb, wie es korrekt heißen muss, kann sich an einen ungewöhnlichen Anruf erinnern – am Apparat war ein Mann, der behauptete, Arzt an einer Klinik zu sein. „Er sagte, er habe bei einer Operation etwas entfernt und in die Toilette geworfen und dass er es wieder brauche“, erinnert sich der Klärwerkschef. Bis heute ist er sich nicht sicher, ob es vielleicht nur ein Scherz gewesen sei. Was da angeblich versehentlich entsorgt worden sei soll, weiß Pfeiffer nicht mehr. Ohnehin: zurückholen hätte er den ominösen Gegenstand wohl nicht können.

Denn Pfeiffer muss auch viele traurige Ehemänner- und frauen enttäuschen, die wegen ihrer verlorenen Ringe anrufen. „Die stellen sich vor, wir könnten die da rausholen“, sagt er. Mit „da“ meint Pfeiffer die große Rechenanlage des Klärwerks.

Beim Blick auf die Rechen wird klar, warum sie lieber im Verborgenen ihre Arbeit verrichten. Sie fangen die sogenannten Grobstoffe aus dem Abwasser ab. Man könnte auch sagen: hier bleibt das Widerlichste vom Ekligen hängen. Verlorene Eheringe mögen dabei sein – zu finden sind sie nicht. Dafür aber kommen vor allem Tampons, Damenbinden, Kondome und unzählige Feuchttücher heraus. Essensresten und das, was in die Keramikschüssel gehört – Fäkalien – sind auch dabei.

Kosmetiktücher machen den Pumpen zu schaffen

In diesem Raum des großen Gebäudes am Anfang des Klärwerks stinkt es gewaltig. Das Wasser, das hier über einen Zulauf eingeleitet wird, ist tiefbraun. Tag für Tag landen 220 Millionen Liter Abwasser in Mühlhausen. Eine Menge, welche die Mercedes-Benz-Arena einmal füllen würde. Das Hauptklärwerk der Stuttgarter Stadtentwässerung liegt am Neckar und gehört zu den größten in ganz Deutschland. Neben einem Großteil des Stuttgarter Abwassers fließt auch das aus Esslingen nach Mühlhausen – aber unter der Erde.

Die Leute benutzen laut Rolf Pfeiffer das Klo als einen zusätzlichen Mülleimer. Vor allem feuchte Toiletten- und Kosmetiktücher machen den Pumpen zu schaffen, wobei nur ersteres in der Natur der Sache liegt. Die Tücher bestehen aus Vliesstoff, dessen Fasern mit speziellen Chemikalien zusammengeklebt werden. Im Abwasser verbinden sie sich zu langen Zöpfen, die sich nicht auflösen. „Das ist nicht nur ein Problem für kleine Anlagen. Das Zeug verheddert sich in der Förderanlage“, erklärt er. Um der Sache Herr zu werden, rüsten Betreiber im ganzen Land ihre Pumpwerke auf. Am Ende zahlt alles der Verbraucher über die Abwassergebühren.

Trennen, was nicht zusammen gehört

Tatsächlich werden Kläranlagen wie die in Mühlhausen immer leistungsfähiger. Pfeiffer würde sich aber ein deutlich größeres Bewusstsein der Verbraucher wünschen: „Wenn es ums Wasser geht, sind immer alle begeistert. Dass aber mehr als die Hälfte des Neckarwassers aus Kläranlagen kommt, darüber macht sich niemand richtig Gedanken.“

Eine Welt ohne Klärwerke wäre allerdings bei der Bevölkerungsdichte in Deutschland undenkbar. „Früher waren Gewässer aus eigener Kraft in der Lage, sich zu reinigen“, sagt Pfeiffer. Doch mit dem Ende des 19. Jahrhunderts war es damit vorbei, auch mit oberirdisch laufenden Kanälen. „Mit den Krankheiten und Seuchen kam die Erkenntnis, dass diese unmittelbar mit den Abwässern zu tun hatten“, betont Pfeiffer.

Die Bedeutung der Kläranlagen hat sich aber seit damals durchaus verändert: Es gilt nicht nur, das Abwasser von Fäkalien zu befreien. Rückstände von Medikamenten, Waschmitteln, Industriewasser, Fetten, Ölen sowie Straßendreck sind im Abwasser enthalten. Zu trennen, was nicht zusammengehöre, sei gar nicht einfach. Wenn der Rechen seien Job erledigt hat, kommen demnach chemische und biologische Reinigungsmöglichkeiten zum Einsatz.

„Wenn man Pech hat, wird einem schlecht“

Den sogenannten gelösten Stoffen geht es dank Mikroorganismen an den Kragen. „Die Biologie ist das Herzstück eines jeden Klärwerks“, betont Rolf Pfeiffer. In den riesigen Becken vor ihm blubbert feiner Schaum auf der Wasseroberfläche. In den Belebungsbecken bauen Milliarden von Mikroorganismen die Schmutzstoffe ab. Obwohl es nicht sichtbar ist, führt die Natur den Menschen einmal mehr vor Augen, wie überlegen sie jeder Technik ist.

Am Neckarufer sieht man genau, an welcher Stelle das gereinigte Wasser aus dem Klärwerk in den Fluss strömt. Es ist viel klarer als das des Neckars. Wie ein großer dunkler Fleck breitet es sich im helleren aber trüberen Neckarwasser aus. Ob man ein Glas davon trinken könne? „Das könnte man schon“, sagt Rolf Pfeiffer lachend, „aber ich weiß nicht, was passiert.“ Wie das Wasser schmecke, könne er wirklich nicht sagen. „Ich habe es noch nicht probiert“, gibt er zu. Denn nach dem Klärvorgang sind noch Bakterien und Viren vorhanden. „Wenn man Glück hat, kann man ein Glas trinken, wenn man Pech hat, wird einem schlecht. Im schlimmsten Fall wird man krank.“ Nun, der Chef würde in jedem Fall davon abraten.

Folge II: In bunten Kisten in die Verbrennungsanlage

Folge I: Eklig sind nur die Exkremente