Wo der alte Kindergarten stand, klafft jetzt eine Baugrube. Foto: Horst Rudel

Mit dem Kindergarten verschwindet ein unsichtbarer Anker und ein gutes Stück der Kindheit.

Plochingen - Ich hab geheult, das weiß ich noch, als ich mit meinem Bruder mit vier oder fünf Jahren im Eingang des evangelischen Kindergartens auf dem Plochinger Stumpenhof stand. Meine Mutter war dabei, und es war das Unbekannte, das mir Angst machte. Als ich einmal drin war, da war ich baff. Da gab es ja so viele Spielsachen! Ganze Kisten voll von Sachen, die es daheim nicht gab, wo das Spielzeug von uns drei Kindern in zwei Fächer der Eckbank gepasst hat.

Constri lagen auf dem Fußboden, und Lego, aber am meisten faszinierten mich die Bauklötze. Einmal beschlossen mein Kumpel Thomas und ich, einen Turm zu bauen. Er wurde höher als wir alle, so dass wir kaum die Spitze erreichen konnten, es muss die Cheopspyramide vom Stumpenhof gewesen sein, jedenfalls belohnte die Kindergärtnerin uns und unsere Pyramide damit, dass sie sie fotografierte. Seitdem habe ich den Sinn von Fotografie verstanden.

Die logischen Blöcke

Es ist wohl keine Pädagogik so abstrus, dass man sie nicht ungebremst an Kindern ausprobiert. Wir haben die logischen Blöcke gehabt. Das waren Plastikplättchen in den Grundfarben, dicke und dünne Dreiecke, Kreise und Rechtecke. Man musste sie zu logischen Folgen verbinden, die selbst die Kindergärtnerin überforderten. Wir haben mit den Plättchen Flohhüpfen gespielt, eins auf das andere gedrückt und sie dann rauswitschen lassen.

Ich brachte meiner Kindergartenfreundin bei, wie man die Schuhe bindet und dass das Weiße an den Mandarinen nicht giftig sei und man es nicht bis zum letzten Fitzelchen wegpulen musste. Mandarinen, meine Güte! Wir bekamen immer Äpfel mit. Wenn wir in den Kindergarten gingen, trugen wir um den Hals eine Trinkflasche, meine war weiß und hatte einen grünen Deckel, der Gestiefelte Kater war drauf. Mein Bruder hatte auch eine.

Wir gingen immer zu zweit in den Kindergarten, hauten uns auf dem Heimweg, hüpften über die kleinen Mäuerchen an den Garageneinfahrten in der Teckstraße, das mache ich heute noch manchmal. Wir gingen nach unten in den evangelischen Kindergarten, die Katholiken kamen uns entgegen auf ihrem Weg in den katholischen Kindergarten; „Flüchtlinge“, schimpfte meine Mutter. Aber sie wollte ja unbedingt ins Flüchtlingsviertel am Waldrand ziehen, denn da war der Bauplatz billig. Es gab zwei Kindergartengruppen, waren es jeweils 50 Kinder? Ich weiß es wirklich nicht mehr genau.

Einmal sollten wir mit Selbstklebefolie eine Collage machen, ich hatte keine Lust auf Bilder und konstruierte einen Hängeschrank mit beweglichen Schiebetüren. Die Kindergärtnerin war so begeistert, dass ich ihn der Nachbargruppe ihrer Kollegin zeigen sollte. Ich traute mich aber nicht hinüber und lungerte ein bisschen im einsamen Hof herum. „Hast du das drüben gezeigt?“, fragte mich die Kindergärtnerin, „Ja“, log ich sie an, und das war eine Lüge, die schwerer wog als andere, weil ich aus ihr viel gelernt habe.

Wenn wir frech waren, gab es durchaus mal auf den Hintern, aber wir Kerle trugen die unverwüstlichen Lederhosen, was sollte es also. „Des isch a Fetz“, sagte die Kindergärtnerin auf Schwäbisch, denn das war unsere Sprache. Tante Margarete hieß sie, glaube ich, den Namen der anderen, die ich lieber mochte, habe ich vergessen.

Wir trugen Lederhosen

Im Frühjahr mussten wir Blockflöte spielen, wegen der Vogelstimmen. „Kuckuck“ scholl es vom Kindergartenfenster heraus in den Wald. Im Sommer fingen wir mit den Eimerchen und den Sieben aus dem Sandkasten Bienen von der Hecke und freuten uns, wenn sie im Eimer brummten. Manchmal spielten wir Baader-Meinhof, so wie man Räuber und Gendarm spielt: „Jetzt bin ich der Baader-Meinhof und du bist die Polizei“, und dann jagten wir uns über das Gras.

Im Herbst sammelten wir Bucheckern, ich erinnere mich noch an den nussigen und milden Geschmack, mit dem für mich die Recherche nach der verlorenen Zeit beginnt. Im Winter versuchten wir, auf dem Gehweg mit Plastiktüten in den Kindergarten zu rutschen. Unser Stadtteil liegt ja ziemlich am Hang.

Wir waren die geburtenstarken Jahrgänge, so viele Kinder, aber ich habe sie fast alle aus den Augen verloren. Zwei davon, den Thomas und den Ralfskarl, treffe ich alle paar Jahre mehr zufällig wieder. Die Mirjam vom Teckplatz würde ich gerne einmal wiedersehen – wer sie kennt, soll ihr doch Bescheid sagen.

Vor ein paar Monaten haben sie den Kindergarten im Plochinger Bühleichenweg für einen Neubau abgerissen. Kommenden November soll er eingeweiht werden. Mein Bruder hat mir das Bild der halb zerstörten Gebäude geschickt. Eine Sanierung der originalen Bauwerke sei nicht mehr zielführend gewesen, hieß es, die Bausubstanz aus dem Jahr 1959 sei einfach zu alt. Da habe ich ein zweites Mal geheult.