Gudrun Zecha (in rot) ist Chefin auf der Geburtenstation in Herrenberg. Foto: factum/Weise

Für Gudrun Zecha ist ihr Beruf Berufung: Bis jetzt hat sie mehr als 3000 Kindern auf dem Weg ins Leben geholfen. Sie leitet die weit über die Region hinaus bekannte Geburtenstation am Herremberger Krankenhaus.

Herrenberg - Als die Wehen einsetzen, beschließt die werdende Mutter, sie zu ignorieren. Denn es ist ihr Hochzeitstag. Nach der Trauzeremonie und einer kleinen Feier besucht sie noch ihre Mutter, die im Krankenhaus liegt. „Wenn ich schon hier bin, lass’ ich im Kreißsaal mal schnell nachschauen, ob alles in Ordnung ist “, sagt die sie zum frisch angetrauten Ehemann. Die Hebamme Gudrun Zecha erkennt beim ersten Blick auf die Frau,die im leuchtend roten Hochzeitskleid vor ihr steht: „Jetzt wird die Zeit knapp.“ Wenige Minuten später ist das Kind da. Die junge Mutter hatte noch nicht einmal Zeit, ihr Kleid auszuziehen, der Vater erfährt die Nachricht, als er auf der Suche nach seiner Frau im Kreißsaal nachfragt.

Anekdoten wie diese hat Gudrun Zecha zu Dutzenden auf Lager. Seit 38 Jahren hilft sie Kindern auf die Welt, etwa 3000 waren es bis jetzt. So ganz genau kann sie das nicht sagen. „Es können auch paar mehr sein.“ Trotzdem: keine Entbindung ist Routine für die 56-Jährige, die selbst drei Kinder geboren hat. „Jede Geburt ist anders und einzigartig.“ Groß und kräftig ist die Hebamme, eine, die zupacken kann und fest auf dem Boden der Realität steht. Trotz ihrer raspelkurzen Haare strahlt sie etwas Mütterliches aus. Eine Frau, der sich andere Frauen in ihren wohl wichtigsten Stunden des Lebens gerne anvertrauen.

Mit 14 den Traumberuf entdeckt

Gudrun Zecha ist 14, als sie ihren Traumberuf entdeckt – nach der Geburt des jüngsten ihrer fünf Geschwister. „Das hat mich sehr fasziniert.“ Nach der Mittleren Reife muss sie mit Jobs Zeit überbrücken, bis sie endlich 18 wird, eine Bedingung dafür, die Ausbildung an der Würzburger Uniklinik zu beginnen zu können. Drei Wochen später erlebt sie die erste Entbindung – „ein unvergesslicher Moment“.

Gewandelt hat sich viel im Laufe ihrer 38 Dienstjahre. Gab es anfangs noch einen Klaps auf den Po des Neugeborenen, damit es atmet, wird das Kind heute der Mutter „vorgelegt“, wie es im Fachjargon heißt. Die Frau soll ihr Baby in Ruhe betrachten können und so erste Kontakte knüpfen. „Das stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind“, sagt die Hebamme. „Irgendwann nimmt die Frau das Baby auf. Das ist in allen Kulturen genau gleich.“

Ein emotionaler Moment

Egal, wie die Geburt verlaufen ist, schwer oder leicht – es ist dieser eine Moment, der für Gudrun Zecha alles ausmacht in ihrem Beruf: Der Augenblick, wenn das Kind da ist, die Eltern es zum ersten Mal sehen. Dann fließen Tränen, Tränen der Erleichterung und Freude. „Es ist ein sehr emotionaler, ja ein heiliger Moment, wenn ein neues Leben beginnt.“ Wie der Eintritt in diese Welt verläuft, das hat Auswirkungen auf das Kind und sein späteres Leben. Davon ist die Chefhebamme Zecha überzeugt. Beim Gebären vertraut sie auf die Stärken der Frauen. Diese bestimmen, wie ihr Kind zur Welt kommen soll. Sie entscheiden, ob sie Schmerzmittel brauchen oder darauf verzichten. „Jede Frau hat ihren eigenen Weg, ihr Kind zur Welt zu bringen, sie muss ihn nur finden“, sagt Zecha. Die Frauen schätzen diese Haltung. Von weit her – bis aus dem Schwarzwald, aus Tübingen und sogar Stuttgart – kommen sie, um im Herrenberger Krankenhaus zu entbinden.

Männer sind im Kreißsaal unverzichtbar

Auch die Männer gehören heute selbstverständlich in den Kreißsaal. Erzählen könnte Zecha jede Menge Anekdoten über aufgeregte Väter. „Das tue ich nicht. Sie sollen nicht denken, dass wir über sie lachen. Sie sind bei der Geburt unverzichtbar.“

Nah dran am Leben ist die Hebamme, aber auch am Tod. Dann, wenn der Start ins Leben auch zugleich das Ende ist. Wenn das Kind im Mutterleib stirbt, die Frau es tot gebären muss. Die Hebamme wäscht dieses Baby, zieht es schön an und legt es den Eltern in die Arme. Damit diese es begrüßen können – und zugleich Abschied nehmen.

Ein Geburtshaus mit den Vorteilen einer Klinik

Klinik
Gudrun Zecha ist die leitende Hebamme der Herrenberger Klinik. Dort kamen im vergangenen Jahr 1398 Kinder zur Welt – doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Babyfreundlich
Die Geburtenstation ist seit 2012 nach den Kriterien von Unicef und der Weltgesundheitsorganisation WHO als „babyfreundlich“ zertifiziert. Zu den Kriterien gehört beispielsweise der ununterbrochene direkte Hautkontakt zwischen Mutter und Kind nach der Geburt.

Kreißsaal
Das Krankenhaus hat als eine von bundesweit 17 Kliniken einen sogenannten Hebammenkreißsaal. Das ist sozusagen ein Geburtshaus unter dem Dach und mit den Vorteilen einer Klinik. Frauen, die an diesem Betreuungskonzept teilnehmen, werden vor einer Entbindung mehrfach in der Klinik beraten und bei der Geburt besonders intensiv betreut, damit sie möglichst ohne Schmerzmittel auskommen. Im Kreißsaal werden sie, wenn es keine Komplikationen gibt, ausschließlich von Hebammen betreut, Ärzte sind bei der Geburt nicht dabei, können aber in Notfällen hinzugerufen werden.