Christustag der Evangelikalen in der Schleyerhalle während des Stuttgarter Kirchentages 2015. Foto: dpa

Lutherisch, reformiert, uniert, freikirchlich, evangelikal, pfingstlerisch: Die evangelischen Kirchen sind so vielfältig wie zahlreich. Ein Überblick.

Stuttgart - Neben der Renaissance und Französischen Revolution gehört die Reformation zu den wichtigsten politischen und geistesgeschichtlichen Bewegungen Europas. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts beendete sie die Vorherrschaft des Papsttums, Adel und katholische Kirche verloren an Macht, protestantische Kirchen entstanden.

Die Reformation und die Geburt Europas

Die Reformation (von lateinisch Umgestaltung) und die sich anschließende Spaltung der Kirche gilt als zentrale Zäsur zwischen Mittelalter und Neuzeit, als wesentlicher Schritt hin zu einer neuen Kirchen- und Weltordnung. Zu ihren Grundlagen gehörten die 95 Thesen Martin Luthers (1483-1546), mit denen der Wittenberger Theologe seit 1517 gegen den Ablasshandel zu Felde zog, der in der katholischen Kirche blühte.

Durch den um 1450 erfundenen Buchdruck fanden Luthers reformatorische Schriften schnell Verbreitung – in der jeweiligen Landessprache und nicht mehr in Latein. Nationalsprachen und -kulturen entwickelten sich, neue Schulsysteme trugen zur Bildung des breiten Volkes bei. Als christliche Erneuerungsbewegung beseitigte die Reformation auch religiös begründete Beschränkungen von Handel und Bankwesen und ebnete den Weg für die Entwicklung der modernen Wirtschaft.

Wie vielfältig die aus der Wittenberger Reformation hervorgegangenen evangelischen Kirchen sind, zeigt unsere vierteilige Serie 500 Jahre Reformation:

Adventisten

Der baptistische Prediger William Miller berechnete den Zeitpunkt der Apokalypse für das Jahr 1843. Zunächst fand er zahlreiche Anhänger. Als allerdings die Wiederkunft Christi auch in folgenden beiden Jahre ausblieb, zerfiel seine Bewegung in verschiedene Gruppierungen.

Aus dieser Millerbewegung entstanden unter Führung der Prediger-Gattin und „Botin“ Ellen White ab Mitte es 19. Jahrhunderts die Sieben-Tage-Adventisten. Mit weltweit 17 Millionen Mitgliedern sind sie die größte adventistische Religionsgemeinschaft (Deutschland rund 35 000).

Die baldige Wiederkunft Christi ist Kern ihrer Glaubenslehre, wobei auf Angabe eines konkreten Datums für das Endgericht,wie es einst Miller tat, verzichtet wird.

Evangelikale

Der Evangelikalismus geht auf den deutschen Pietismus, englischen Methodismus und die Erweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts zurück. Sie alle betonen besonders die Bekehrung des Einzelnen und die christliche Lebenspraxis. Grundlage des evangelikalen Christentums ist die persönliche Beziehung zu Jesus Christus, der eine Willensentscheidung und individuelle Bekehrungserlebnisse vorausgehen müssen.

Die Berufung auf die Bibel als wichtigste, wortwörtlich zu verstehende Glaubensautorität ist maßgebliches Kriterium. Evangelikale können reformiert, lutherisch, baptistisch, methodistisch oder anglikanisch sein oder sich nicht-konfessionellen Gruppierungen zugehörig fühlen.

Mit mehr als 320 Millionen Anhängern gehören die evangelikalen Kirchen zu den am stärksten wachsende christlichen Konfessionen. In Deutschland vertritt ihr Dachverband, die Deutsche Evangelische Allianz, rund 1,3 Millionen Christen.

Pfingstbewegung

Die Pfingstler sind die am stärksten wachsende christliche Bekenntnisgemeinschaft, die außer- wie innerhalb der traditionellen evangelischen Kirchen und Freikirchen eine enorme Wirksamkeit entfaltet.

Für die Pfingstbewegung, die dem Evangelikalismus nahesteht und theologisch wie ethisch weitgehend konservative Positionen wie die Ablehnung der Homosexualität und außer- und vorehelichen Geschlechtsverkehrs vertritt, ist das Wirken des Heiligen Geistes von entscheidender Bedeutung. Die moderne Pfingstbewegung entstand im 20. Jahrhundert, wobei sie auf Traditionen aus den frühen Erweckungsbewegungen zurückgreift.

Auch die sich seit Anfang der 1960er Jahre entfaltende charismatische Bewegung entstammt dem pfingstlerischen Kontext. Weltweit umfasst die Pfingstbewegung – je nach Zählung – zwischen 200 und 600 Millionen Gläubige (Deutschland: rund 300 000).

Evangelisch-Unierte

Die evangelisch-unierte Kirche ist eine Vereinigung verschiedener protestantischen Kirchen. Aus dem Bestreben heraus, Lutheraner und Reformierte zu vereinen sowie innerprotestantische Spaltungen und Lehrunterschiede zu überwinden, entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Unionismus.

Zwischen lutherisch und reformiert geprägten Gemeinde wurden Unionen geschlossen, die entweder verwaltungstechnisch oder hinsichtlich ihres Glaubensbekenntnisses (Bekenntnisunionen) zusammengehörten. Seitdem gibt es in Deutschland drei Typen von Landeskirchen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die sich zu Bündnissen zusammengeschlossen haben: Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD), Union Evangelischer Kirchen (UEK), Reformierter Bund.