In Wittenberg begann, was die Welt verändern sollte: Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine berühmten 95 Thesen, mit denen er das abendländische Kirchengebäude aus den Angeln hob. Foto: AP

Lutherisch, reformiert, uniert, freikirchlich, evangelikal, pfingstlerisch: Die evangelischen Kirchen sind so vielfältig wie zahlreich. Ein Überblick.

Stuttgart - „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie werde ich vor Gott gerecht?“ Diese Frage trieb den jungen Martin Luther (1483–1546) um. Die Kirche schien sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts aufzulösen und zu zersetzen.

Luther, Sohn eines Bergmann aus Eisleben und Augustinereremit in Erfurt, wollte keine neue Kirche gründen. Doch angesichts von Ablasshandel, Vetternwirtschaft und der Jagd nach weltlichem Reichtum in der katholischen Kirche wollte der junge Theologieprofessor das religiöse Leben erneuern.

Geschichte

Aus dem Wunsch Luthers und vieler Christen nach einer Neubesinnung auf die Bibel und die Wurzeln des Glaubens entstand die Reformation, eine religiöse Erneuerungsbewegung, welche die Einheit der westlichen Kirche zerbrechen ließ.

Zwischen 1517 und 1648 spaltete sich die lateinische Christenheit in verschiedene Konfessionen – katholisch, lutherisch, reformiert, anglikanisch. In Deutschland war es Luther, der die Reformation vorantrieb, in der Schweiz waren es Ulrich Zwingli (1484-1531) und Johannes Calvin (1509-1564).

Glaube

Es war Luthers tiefste Überzeugung, dass der Mensch angesichts seiner Sündhaftigkeit nur „sola fide“ (allein durch den Glauben an Christi Heilswerk), „sola gratia“ (allein durch Gottes Gnade) und „sola scriptura“ (auf der Grundlage der alleinigen Autorität der Bibel) gerettet werden kann.

Er kann sich sein Seelenheil nicht durch Werke der Barmherzigkeit, Demut, Nächstenliebe oder den Empfang der Sakramente verdienen und schon gar nicht durch Geld und Ablass erkaufen. Die Rückbesinnung auf die Quellen des Glaubens führte Luther zur Heiligen Schrift, die er ins Deutsche übersetzte – 1522 das Neue Testament und 1534 die gesamte Bibel.

Ökumene

Heute sieht die römisch-katholische Kirche – mit mehr als 1,2 Milliarden Mitgliedern die größte christliche Glaubensgemeinschaft – den einst von ihr gebannten Wittenberger Reformator mit ganz anderen Augen. Papst Franziskus fordert gar, „eine aufmerksame und ehrliche Neubewertung der Absichten der Reformation und der Person Martin Luthers“.

Der Jesuitenorden, dem Jorge Mario Bergoglio angehört, hat sich in diese ökumenische Arbeit besonders hineingekniet. Dabei war es ausgerechnet die 1534 vom Spanier Ignatius von Loyola (1491-1556) gegründete „Societas Jesu“ (SJ) – die Gesellschaft Jesu –, die ab dem späten 16. Jahrhundert zur Sperrspitze der katholischen Gegenreformation wurde.

Der Jesuit Giancarlo Pani, Theologieprofessor an der Università di Roma, lobt die „Aufrichtigkeit“ und „Rechtschaffenheit“ Luthers. Dieser habe in seinen 95 Thesen gegen den Ablasshandel berechtigte Fragen an die Kirche gestellt, eine Reflexion über den Glauben von Rom erbeten und nie eine Antwort bekommen. „Mir erscheint es schwerwiegend, dass die Kirche nicht mit ihm gesprochen und ihm ihre Position erläutert hat“, betont Pani.

Evangelische Statistik

Konfessionen

Wer Katholik ist, gehört zur römisch- katholischen Kirche. Als Protestant hat man es da schon schwerer. Die Zahl der evangelischen Konfessionen – also Glaubensgemeinschaften, im Englischen verwendet man den Begriff Denomination – ist kaum überschaubar.

In dem 1948 gegründeten Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf sind 348 Mitgliedskirchen vertreten, die insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Christen zählen: orthodoxe Kirchen, anglikanische, baptistische, lutherische, methodistische und reformierte Kirchen sowie viele unabhängige Kirchen. Doch es gibt sehr viel mehr Kirchen, die aus der Reformation Martin Luthers hervorgegangen sind.

Aufschluss über ihre Zahl gibt der „Status of Global Mission“, eine Statistik, die jedes Jahr vom „International Bulletin of Missionary Research“ veröffentlicht wird. Diese Zeitschrift wird von der christlich-missionarischen Organisation „Overseas Ministeries Study Center“ (OMSC) in New Haven (US-Bundesstaat Connecticut) herausgegeben.

Statistik

Demnach gehören von den knapp 7,4 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, knapp 2,5 Milliarden einer christlichen Gemeinschaft an: Katholiken: 1,23 MilliardenProtestanten/Anglikaner: 559 MillionenOrthodoxe: 284 MillionenEvangelikale: 342 MillionenPfingstler/Charismatische: 670 Millionen Christliche Konfessionen insgesamt: rund 47 000.

Diese Zahlen dürfen allerdings nicht einfach addiert werden. Als evangelischer Christ kann man beispielsweise einer klassischen protestantischen Kirche angehören und zugleich evangelikal sein. So kommt es in der Statistik zu Mehrfachzählungen.

Buchtipp

Martin Luther. Die Reformation, Helmut Lingen Verlag Köln, 2016, 176 Seiten.