Albrecht Rühle macht aus einem ganz bestimmten Grund bei den Sensenmähern mit. Foto: Frank Rodenhausen

Sensen statt Maschinen: In Gmeinweiler messen sich Könner aus Österreich, Sachsen und Laien aus der Region. Dabei geht es um viel mehr als Zeit.

Es zischt und schwirrt, es klirrt und klackt. Kein Motor röhrt, kein Kabel stört – nur Sensen schneiden weitgehend lautlos durchs Gras. Die Sonne steht hoch über Kaisersbach‑Gmeinweiler, brennt auf die Wiesen, wo sich rund 40 Menschen vor Publikum dem alten Handwerk des Sensenmähens widmen.

 

Einer nach dem anderen tritt vor die gemähte Fläche, prüft den Griff, richtet den Blick. Dann beginnt der Tanz. Schwung für Schwung, Schnitt um Schritt.

Die Sensengaudi, organisiert von den Brüdern Uli und Manfred Traub, ist längst mehr als ein lokales Event: Sie ist ein Wettkampf, ein Wiedersehen der Sensen-Enthusiasten und eine Liebeserklärung an das langsame, leise, entschleunigte Arbeiten mit der Natur.

Sensen-Profis aus Österreich und Sachsen trotzen der Trockenheit

Angereist sind Könner aus Österreich, Sachsen und Thüringen – aus jenen Regionen, wo das Sensenmähen nie ganz aus der Mode kam. In der Königsklasse treten sie mit imposanten 1,20‑Meter‑Sensen an, schneiden sich durch Parzellen von 4 mal 7,50 Metern – kein Pardon, kein falscher Schritt. Die Amateure arbeiten auf 1,80 Metern Breite, Frauen auf 1,50. Das klingt gerecht, ist aber hart genug: „Das trockene Gras war die Hölle“, meint ein Teilnehmer. Die Trockenheit, sagen viele, mache das Mähen zur Herausforderung.

Die Zeit läuft für Tina Müller. Foto: Edgar Layher

„Im Mai wäre’s besser gewesen“, räumt Mitveranstalter Uli Traub ein. „Aber da sind wir selbst auf Wettkämpfen in Österreich unterwegs.“ Die Verhältnisse in Gmeinweiler? Für Zuschauer perfekt. Für die Mäher? „Schweißtreibend – und eigentlich zu spät im Jahr.“

Sensen wie Schwerter – und ebenso präzise

Die Sense ist kein Spielzeug. „Mähfertig“ aus dem Baumarkt? „Ein Märchen“, sagt Reiner Hinderer, Sensenfreund aus Leidenschaft. Eine gute Sense brauche Zeit: Das Eisenblatt wird mit Brenner geformt, der Holzstiel – der Würg – individuell angepasst, die Klinge aufwendig gedengelt. Erst wenn alles passt, kann man mit leichtem Schwung durchs Gras gleiten.

Für Uli Traub ist die Sense ein Sportgerät. Foto: Frank Rodenhausen

Uli Traub muss zugeben, dass er fürs heimische Rasenstück einen Aufsitzmäher nutzt. „Die Sense ist mein Sportgerät“, sagt er. Und sportlich geht es zu: Bewertet wird nicht nur, wie schnell jemand mäht – sondern wie sauber, wie gleichmäßig, wie ordentlich die Mahd liegt. Eine gespannte Schnur gibt die Linie vor, daneben wacht ein Gremium aus strengen Wertungsrichtern. Die Noten reichen von „Null“ (super) bis „Fünf“ (schlecht). Nur wer sauber mäht, kommt aufs Treppchen.

Ein Schauspieler mit Mission

Albrecht Rühle wetzt die Sense für seinen Auftritt. Foto: Frank Rodenhausen

Albrecht Rühle, Jahrgang 1958, Maschinenschlosser und Kunstschmied aus Weinstadt-Endersbach, steht mit weißem Rauschebart und Stirnband in der Sonne. Seine Sense? Ein Unikat mit eingebranntem Namen. Der Wettkampf ist seine Premiere „und Vorbereitung“, wie er sagt. Am Abend tritt er in einem Theaterstück über bäuerliches Leben auf – als Sensenmann. Sein Fazit nach dem ersten Einsatz unter Wettkampfbedingungen: „Sch… – viel zu trocken. Das hätte man im Morgentau machen müssen.“

Die Grande Dame mit der alten Technik

Hilde Kugler, 85, erhält donnernden Applaus. Foto: Edgar Layher

Hilde Kugler ist 85 – und schwingt die Sense, als wäre es nichts. Sie hat das Mähen als Kind gelernt, auf einem abgelegenen elterlichen Hof im Tiefental bei Unterbrüden. „Da war nix mit Rasenmäher – da war Muskelkraft gefragt“, erinnert sich die rüstige Frau. Die Sensengaudi ist ihr erster Wettbewerb. „Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Da hab ich gedacht: Das probier ich.“ Und sie probiert nicht nur – sie liefert ab. Haltung, Technik, Erfahrung – großer Applaus geht durchs Publikum, als sie ihr Stück Wiese sauber abträgt.

Botin der Biodiversität

„Schonendes Mähen sei das A und O“, sagt die Buchautorin Kirsten Segler aus Plüderhausen. Foto: Frank Rodenhausen

Kirsten Segler, 56, kommt aus Plüderhausen – mit Sense in der einen, Buch in der anderen Hand. „Die Blumenwiese, das Fingerkraut und die Rettung der Welt“ heißt ihr Werk. Ein Plädoyer für die Rückkehr zur Artenvielfalt, erzählt in Geschichten. „Jede Fläche zählt“, sagt sie. Und sie meint es ernst: Ihr eigener Garten ist Versuchsfläche, ihre Sensen-Mission eine Mischung aus Naturschutz und Narrativ. Schonendes Mähen sei das A und O – kein Rasenmäher könne das, was eine gute Sense kann: schneiden, ohne zu zerstören.

Sensenschwung trifft Volksfestlaune

Die Sensengaudi beginnt am Morgen mit Frühschoppen und Anmeldungen, später der Wettbewerb, dann Musik und Maultaschen. Für fünf Euro kann jeder mitmachen – Sensen werden gestellt. Auch Spontane sind willkommen. Wer keine Erfahrung hat, wird eingewiesen – von Leuten wie Uli Traub, die nicht nur mähen, sondern auch lehren. In ihrer Scheuer lagern ein Dutzend alter Sensen, manche über hundert Jahre alt – „aber alle noch einsatzbereit“, sagt er stolz.

Die drei Sensenfreunde – die Brüder Traub und Reiner Hinderer – wollen ihr Wissen weitergeben. Ihr Motto: „Das Wissen um die Sense darf nicht verloren gehen.“ Und sie meinen es ernst. Die Sensengaudi ist dafür der beste Ort: Hier wird Geschichte lebendig, schwingt durch heiße Luft und raschelt durchs trockene Gras. Alt trifft Jung, Erfahrung trifft Experiment, Muskelkraft trifft Gemeinschaft.

Ein Fest für die Zukunft

Während anderswo Maschinen lärmen, regiert in Gmeinweiler der leise Schwung. Das Sensenmähen ist mehr als Nostalgie – es ist ein Statement: für Nachhaltigkeit, für Gemeinschaft, für das gute alte Handwerk. Und wer einmal gesehen hat, wie eine 85-Jährige mit der Sense über die Wiese zieht – der wird sich das nächste Mal zweimal überlegen, ob’s wirklich immer der Rasenmäher sein muss.