Doch wieder Senioren statt Geflüchtete: Am Protest gegen eine mögliche Asylunterkunft lag es nicht, sagt das Landratsamt, sondern an gesunkenen Flüchtlingszahlen. Foto: Simon Granville

Im früheren Seniorenzentrum am Stadtpark in Leonberg wollte der Kreis Böblingen ursprünglich Asylbewerber unterbringen. Jetzt gibt es die Rolle rückwärts, der Mietvertrag mit dem Eigentümer ist gekündigt. Dieser setzt nun auf betreutes Wohnen für Ältere. Die Reaktionen sind positiv.

Sehr lange war es sehr ruhig gewesen um das Vorhaben, im früheren stationären Pflegeheim am Stadtpark Leonberg eine Flüchtlingsunterkunft zu errichten. Am Montag dann hatten Landkreis Böblingen und die Stadt Leonberg gemeinsam verkündet, dass der Mietvertrag mit dem Besitzer der Immobilie gekündigt worden ist. Es bestehe kein Bedarf mehr an einer weiteren Flüchtlingsherberge, stattdessen sollen dort in Zukunft wieder Senioren einziehen. Wir haben die wichtigsten Fragen zusammengetragen.

 

Wie kam es zur Kehrtwende?

Als das Landratsamt die Anmietung des Gebäudes und die Pläne für das Flüchtlingsheim im Herbst 2023 verkündete, wurden dem Kreis etwa 300 Menschen pro Monat aus der Landeserstaufnahme zugewiesen. Aktuell ist diese Zahl auf 30 bis 50 Menschen monatlich gesunken. Eine weitere Flüchtlingsunterkunft in Leonberg wird derzeit nicht benötigt. Der Landkreis hat nun den Mietvertrag gekündigt. Der Investor Carestone verkündete direkt per Pressemitteilung seine Pläne, in dem Gebäude betreutes Wohnen einzurichten. Inoffiziell scheint das Projekt Flüchtlingsheim also schon länger abgesagt zu sein.

Wie sind die Reaktionen?

„Es ist eine sehr gute Nachricht, dass der Landkreis Böblingen und die Carestone Gruppe dem Wunsch der Stadt Leonberg nachkommen und so im Haus am Parksee erneut Wohnraum für Senioren entsteht“, sagt Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD). „In Leonberg besteht ein großer Bedarf an Quartieren für Senioren, von daher ist das eine gute Sache“, meint Günther Wöhler aus Leonberg, der für die SPD im Kreistag sitzt und dort Mitglied im Gesundheits- und Sozialausschuss ist.

In eben jenem Gremium hatte Landrat Roland Bernhard die Nachricht am Montag zuerst verkündet. „Die Idee mit dem Flüchtlingsheim war halt aus der Not geboren. Das Geschrei wäre noch größer gewesen, hätte man wieder eine Turnhalle belegen müssen“, sagt Wöhler. Die Sporthallen des Berufsschulzentrums waren Ende 2015 für mehrere Monate als Flüchtlingsunterkunft genutzt worden, 2022 dann noch einmal für Geflüchtete aus der Ukraine. „Das nimmt viel Konfliktpotenzial aus der Stadt“, sagt Joachim Quendt (Freie Wähler), auch er aus Leonberg und Kreistags- und Ausschussmitglied.

Was wurde aus dem Protest?

Nachdem die Pläne für ein Flüchtlingsheim im Herbst 2023 bekannt geworden waren, hatte sich in Leonberg Protest formiert. Nachbarn, vor allem Bewohner des noch bestehenden betreuten Wohnens nebenan, hatten Unterschriften gegen die Unterkunft gesammelt, es hatte auch eine Demonstration vor dem Rathaus gegeben. „Die Reaktionen in Leonberg waren nicht gut“, findet Kreisrat Wöhler. Die Bewegung aus der Nachbarschaft sei von rechten Kräften aufgegriffen worden. Auch ein einstimmiges Votum des Gemeinderates gegen das Vorhaben fand er überzogen. Umso wichtiger sei es, dass Stadt und Kreis in dieser Frage künftig gut zusammenarbeiten. Das sieht auch Joachim Quendt von den Freien Wählern so. „Hätte man das im Vorfeld abgesprochen und kommuniziert, wäre das nie so hochgekocht“, ist er überzeugt.

Auch Landrat Roland Bernhard äußerte sich am Montag im Sozialausschuss zu den Protesten: „Das hat ja Wellen geschlagen, noch und nöcher.“ Er verteidigte das Vorgehen des Kreises. „Wir haben standgehalten, weil das unsere Aufgabe ist.“ Und stellte nochmals klar: „Wir knicken nicht ein, sondern die Lage hat sich verändert.“

Wie ist die Flüchtlingssituation im Kreis?

Derzeit verfügt der Kreis Böblingen über 1994 Plätze in kreiseigenen Unterkünften, 1338 davon sind belegt, also zwei Drittel. Der Kreis gibt infolgedessen nicht nur das Vorhaben in Leonberg auf, sondern baut auch an anderer Stelle wieder Kapazitäten ab. „Es ist wichtig, eine Reserve zu haben, aber die muss nicht so groß sein“, meint Kreisrat Günther Wöhler. Sein Kreistagskollege Joachim Quendt erwartet aber auch, dass Kreis und Stadt die Zeit nutzen, sich ein neues Konzept zu überlegen, falls die Zahl der Flüchtlinge wieder stark ansteigt. „Es muss klar sein, wo die Geflüchteten dann hinkommen“, fordert er.

Was kommt auf Leonberg jetzt zu?

Am Engelberg sind von derzeit 296 Plätzen nur 167 belegt, also etwa 56 Prozent. Parallel zur Verkündung, das Flüchtlingsheim am Stadtpark abzublasen, haben Stadt und Kreis eine Absichtserklärung unterzeichnet. In der sichert die Stadt zu, sollten die Zahlen wieder stark ansteigen, die Suche nach Wohnraum für Asylbewerber „wohlwollend und proaktiv“ zu unterstützen.

Das betrifft beispielsweise zügige Genehmigungsverfahren. Gelistet ist aber auch ein Notfallmechanismus, im Falle unerwartet hoher Bedarfszahlen sich einer Umwandlung der Sporthallen am Berufsschulzentrum sowie weiterer Provisorien „nicht zu verschließen“. Große Worte, die am Ende letztlich wenig bedeuten? „Das ist nur eine Geste, das ist nicht rechtlich bindend“, kommentiert Günther Wöhler von der SPD.

Dennoch müsse Leonberg seinen Beitrag leisten bei der Unterbringung von Flüchtlingen. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit im Kreis. Leonberg ist bisher gut weggekommen“, sagt der SPD-Kreisrat.

Was hat der Investor jetzt vor?

Zurück in die Ostertagstraße. In bester Lage in der neuen Stadtmitte, zwischen Leo-Center und Stadtpark, sollen nun wieder Senioren einziehen. Die Carestone Gruppe will dort barrierefreies und seniorengerechten Wohnraum schaffen. Aus dem früheren stationären Pflegeheim soll aber betreutes Wohnen werden. „Unsere Entscheidung basiert auf einer umfassenden Analyse aller Optionen und zielt darauf ab, nachhaltigen Wohnraum für ältere Menschen in der Mitte des Quartiers zu schaffen und zu erhalten“, sagt Ralf Licht, Entwicklungsvorstand der Carestone Gruppe.


Damit kehrt der Projektentwickler aus Hannover zu den ursprünglichen Plänen für das Gebäude zurück. Wie viele Wohnungen bis wann entstehen und wie viel der Umbau und die Modernisierung kosten werden, daran werde aktuell noch geplant. Man arbeite dabei mit einem künftigen Betreiber zusammen.

Flüchtlingszahlen

Kreis Böblingen
Von 1994 Plätzen in kreiseigenen Unterkünften sind derzeit 1338 belegt (67 Prozent).

Städte im Kreis
Leonberg 167 von 296 belegt (56 Prozent), Böblingen 321 von 472 Plätzen (68 Prozent), Sindelfingen 327 von 476 Plätzen (69 Prozent), Herrenberg 213 von 302 Plätzen (71 Prozent) und Renningen 91 von 160 Plätzen (57 Prozent).