Wie bleiben Senioren am Steuer länger mobil? Ein professioneller Beifahrer gibt Tipps Foto: Deniz Calagan

Wer will sich schon sagen lassen, dass er zu alt fürs Autofahren ist? ADAC und Fahrlehrerverband wollen Mobilität länger erhalten – mit individueller Beratung vom Beifahrersitz aus.

Wer will sich schon sagen lassen, dass er zu alt fürs Autofahren ist? ADAC und Fahrlehrerverband wollen Mobilität länger erhalten – mit individueller Beratung vom Beifahrersitz aus.

Stuttgart - Ruth Schenke gibt zu, dass man sie für diesen Test erst hat überreden müssen. Ob sie noch fit fürs Autofahren ist? Na, was für eine Frage: „Ich fahre so um die 10 000 Kilometer im Jahr“, sagt die 80-Jährige aus Leonberg, „zu Bekannten nach Duisburg, nach Niederbayern, nach Südbaden.“ Selbstverständlich auch auf der Autobahn. „Nur Köln meide ich, da geht es immer schlimmer zu“, sagt die Polo-Fahrerin.

Ruth Schenke ist die erste Seniorin, die das neue Angebot von ADAC und Fahrlehrerverband ausprobiert hat. Fahr-Fitness-Check heißt das neue Programm, das am Montag auch von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gelobt worden ist. Dabei geht es nicht etwa um das bekannte Sicherheitstraining auf einem Verkehrsübungsplatz. Vielmehr kommt der Fahrlehrer zu einem Hausbesuch vorbei.

Das Prinzip des 90-Minuten-Programms: Nach einem Vorgespräch fahren Senioren im eigenen Wagen, gerne auch auf ihrer Hausstrecke, der Fahrlehrer sitzt daneben, beobachtet, zeigt mögliche Schwächen auf, gibt Tipps. „Und das ist völlig vertraulich“, sagt ADAC-Vorsitzender Dieter Roßkopf, „da muss niemand eine Meldung an die Behörden fürchten.“ Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Baden-Württemberg, sieht seine Branche auf neuen Wegen: „Als Mobilitätsberater ein Leben lang“, sagt er. Mit Tipps für den Straßenverkehr, aber auch für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel.

60 Fahrlehrer stehen im Land dafür bereit. „Im Prinzip flächendeckend“, sagt Klima. In Stuttgart gibt es drei Ansprechpartner, weitere in Leonberg, Leinfelden-Echterdingen, in den Kreisen Ludwigsburg und Rems-Murr. Eine Sonderausbildung sei dafür nicht nötig, sagt Klima. Gut möglich, dass weitere unter den 2000 Fahrschulen im Land mit einsteigen. Auch wenn Senioren in den Unfallstatistiken unterrepräsentiert sind – Verkehrsminister Hermann hält es für bedenklich, dass bei Unfällen mit Seniorenbeteiligung die älteren Fahrer meist auch die Ursache gesetzt haben. Deshalb wolle man die Zielgruppe der Senioren ansprechen – „aber auf der Basis der Freiwilligkeit, in einer Situation, die nicht abschreckt.“ Also ohne das Misstrauen, dass da einer gleich den Führerschein infrage stellt.

Beim bereits bekannten Sicherheitstraining für Senioren hat sich der ADAC umgestellt. Acht Stunden Schleudertest wie bei den Jungen? Das ging ganz offensichtlich an den Bedürfnissen der älteren Autofahrer vorbei. Jetzt sind es nur noch vier Stunden. Und vorrangig geht es ums Einparken und Rangieren. Am Montag testeten die ersten älteren Fahrer das neue Programm auf der Übungsanlage . „Die Autos werden ja immer sensibler“, sagt Kurt Niethammer, 70, „mit Piepser und Kameras zu fahren, das sollte man einmal ganz ohne Zwang üben können.“ Ursula Grupp, ebenfalls 70, erzählt: „Ich habe ein Problem mit dem Einparken. Und beim Einfahren auf die Autobahn, da geht mein Blutdruck immer hoch, das ist für mich anstrengend.“ Birgit Beye, 68, merkt, „dass es mir schwerfällt, zu bremsen, wenn kein Hindernis da ist“. Und nicht nur die Älteren staunen, wie schwer sie sich verschätzen, wenn sie vorher raten müssen, wo ihr Wagen zum Stehen kommt. Auch der Blick zurück und zur Seite fällt schwerer, besonders im Alter, wenn die Beweglichkeit nachlässt. „Es war eine gute Sache“, sagt Birgit Beye, „das einmal zu üben.“

Verkehrsminister Hermann versucht sich ebenfalls an den Übungen. Er erntet das Lob der Senioren, bleibt dabei dennoch selbstkritisch: „Ich hätte das bestimmt noch besser hinbekommen“, sagt er, „wenn ich noch öfter Autofahren würde.“

Das Wichtigste für ältere Autofahrer in Kürze:

Stuttgarts Statistik: Die Zahl der Verkehrsunfälle mit über 65-Jährigen hat im letzten Jahr in der Landeshauptstadt leicht zugenommen – auf 1368 Fälle. Damit ist bei jedem siebten Unfall ein älterer Verkehrsteilnehmer beteiligt. Zwei Senioren verunglückten tödlich, 37 wurden schwer, 193 leicht verletzt.

Schuldige Senioren: Auch wenn ältere Verkehrsteilnehmer keine problematische Gruppe sind, fällt doch eines auf – wenn Senioren in Stuttgart in einen Unfall verwickelt werden, dann waren sie zu 59,1 Prozent die Hauptverursacher. Meist passieren Fehler beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren (44 Prozent). An zweiter Stelle der Ursachen rangiert das Nichtbeachten der Vorfahrt (42 Prozent).

Thema Tod: Die Bundesstatistik enthält einige Warnsignale – vor allem beim Blick auf die tödlich Verunglückten. Mehr als die Hälfte der getöteten Radfahrer und Fußgänger im Bundesgebiet war älter als 65. Bei tödlichen Autounfällen sind immer öfter Senioren die Hauptverursacher: Lag ihr Anteil 1991 noch bei 6,6 Prozent, so sind es inzwischen 21,6 Prozent. Eine der Ursachen dafür ist aber der demografische Wandel. Die Bevölkerung wird älter.

Alarmfall Alter: Der jüngste Aufsehen erregende Vorfall spielte sich am vergangenen Samstag in Nürtingen (Kreis Esslingen) ab. Auf der B 313 war ein Geisterfahrer unterwegs, nur durch viel Glück kam es zu keinem Unfall. Die Polizei stoppte einen 88-Jährigen aus Offenbach, der mit seiner Frau auf dem Weg in den Schwarzwaldurlaub war. Er gab seinen Führerschein freiwillig ab – die Urlaubsreise wurde per Taxi fortgesetzt.

Beratende Begleitung: Zwei neue Programme sollen den Senioren helfen. Beim Fahr-Fitness-Check kommt ein Fahrlehrer nach Hause und fährt als Beifahrer auf der Hausstrecke mit. Dauer: 90 Minuten. Kosten für ADAC-Mitglieder 49 Euro, sonst 69 Euro. Informationen beim Fahrlehrerverband (07 11 / 83 98 75 21) oder beim ADAC (07 11 / 28 00 - 151). Der bisherige Sicherheitskurs auf der Übungsanlage am Solitudering bei Leonberg ist neu konzipiert worden. Er dauert nur noch vier Stunden und konzentriert sich auf das Wichtigste: Einparken und rangieren. Infos beim ADAC unter 07 11 / 28 00 - 2 12 97. Kosten zwischen 49 und 59 Euro.