Das Ziel des Selbstverteidigungskurses von Trainer Markus Wolf: Dem Angreifer kurzfristig so viel Schmerz zufügen, dass sich die Betroffene in Sicherheit bringen kann. Foto: KS-Images.de

Die Kirchengemeinde hat zu einem Selbstverteidigungskurs in die Haffnerhalle eingeladen: 17 Frauen haben gemeinsam trainiert. Neben den richtigen Techniken ging es auch um Mimik, Gestik und die innere Einstellung.

Es sind Teenager, junge Frauen und Geschlechtsgenossinnen reifen Alters, die in der Haffnerhalle im großen Rund stehen und einem Mann lauschen: Markus Wolf. Der 53-Jährige ist Lehrer für Selbstverteidigung und Gewaltpräventionspädagoge und lehrt aus einem umfassenden Wissensschatz heraus. Auch Jana hört zu. Sie ist mit ihren drei Töchtern gekommen, wie die Mutter bei der Vorstellungsrunde verrät. „Ich wünsche mir, dass meine Töchter, wenn sie abends losziehen, sich wenigstens etwas wehren können“, so Jana. Auch Gundi zählt zu den 17 Teilnehmerinnen des Kurses, die sich Tipps, Tricks und Kniffe erhoffen, um sich sicherer fühlen zu können, wenn sie, wie Gundi etwa, zu einer Zeit joggen gehen, wo nicht viele Mitmenschen unterwegs sind.

Im Ernstfall zählen Schnelligkeit und Furchtlosigkeit

Einige Frauen sind Wiederholungstäterinnen. Sie wissen: nur einmal Gelerntes geht rasch wieder verloren. Fachmann Wolf rät deshalb ebenfalls zur Wiederholung und zum generellen Üben und Vergegenwärtigen der Techniken innerhalb der Familie oder mit Freunden. Denn sie sollten in Fleisch und Blut übergehen. „In einer Stresssituation müsst ihr es sofort parat haben“, so Wolf, der in seiner Trainer-Aufgabe von Stefan Rimpel als „Sparringspartner“ unterstützt wird. Wolf wird noch konkreter: „Im Ernstfall müsst ihr euch schnell, unerschrocken und mit eurer ganzen Energie wehren“.

Wer angenommen hat, aus dem Kurs „als Rambo oder Kampfmaschine hinaus zu gehen“, dem zieht der Trainer gleich zu Beginn einen Zahn. „Hier geht es um Grundlagen“, informiert Wolf seine Zuhörerinnen, die heute nicht viel Theorie pauken sollen, sondern vielmehr erlernen, wie „ihr einem Menschen, von dem Gefahr für euch selbst ausgeht, kurzfristig so viel Schmerz zufügt, dass ihr euch noch in Sicherheit bringen könnt“.

Wie denke ich über mich? Halte ich mich für wertvoll?

Der Selbstverteidigungskurs wird von der Evangelischen Kirchengemeinde Marbach angeboten. Im Rahmen von deren Aktion „40 Tage gegen die Angst“, die noch bis zum 20. März andauert, ist das Angebot zudem passgenau angesiedelt. Auch Jugendreferent Sven Becker ist daher mit von der Partie. Er stellt sich bei den Übungen ebenfalls als „Täter“ zur Verfügung. Doch bevor es mit der Wehrhaftigkeit, also dem Boxen, Treten, Schlagen und Hauen so richtig losgeht, stellt Wolf die entscheidende Frage: „Wo beginnt eigentlich Selbstverteidigung?“ Die aktive Form, so betont Markus Wolf, komme nämlich erst als letzter Schritt.

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„Davor passiert meist irgendetwas, um überhaupt als Opfer wahrgenommen zu werden“, erfahren die Teilnehmerinnen. Es geht um die Außenwirkung eines Menschen. So, wie er aufgrund seiner Körpersprache wahrgenommen werde. Und die wiederum hänge von Fragen ab wie diesen: „Wie denke ich über mich? Halte ich mich für einen ebenso wertvollen Menschen wie andere? Welche Glaubenssätze bediene ich? „Fragen, die ihr euch zu Beginn alle stellen müsst“, macht Wolf klar.

Der Blick sendet das Signal: Ich bin kein Opfer!

Er verdeutlicht das Thema anhand einer Anfangsübung: Er lässt eine Freiwillige durch die Halle schreiten. „Haltung und Mimik signalisieren einem Fremden, wie ihr über euch denkt. Macht ihr euch klein, senkt den Blick auf den Boden, dann kann das schon als mangelndes Selbstwertgefühl eingeschätzt werden“, verrät der Coach. Das Ziel jedoch ist, aufrecht zu gehen und mit Blicken das Signal auszusenden: Ich bin kein Opfer!

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Die Übung, sich zwischen „zwei fiesen Typen durchzudrängen“ eröffnet schließlich den aktiven Part des Kurses. Einer, bei dem erst mal erlebt werden muss, „wie viel Power jede von euch hat“. Als ein Hindernis stellt sich zunächst die Scheu dar, einem anderen Menschen absichtlich weh zu tun. Die meisten vermeiden das ja normalerweise. „Da geht mir tüchtig der Puls hoch“, stellt auch Teilnehmerin Ingrid fest, als sie sich - trotz Widerstands der (abgepolsterten) Männer – schließlich an ihnen vorbei boxt. Doch den Frauen macht es peu á peu mehr Spaß, die eigene Handlungskompetenz zu erweitern und damit erfolgreich aus der Opferrolle zu fallen. Immer wieder ist beim Training auch Gelächter zu hören.

Ein wichtiger Tipp: Nach einem Angriff sofort zur Polizei!

Doch es gibt auch Aufschreie: „Mensch, tut das weh“. Etwa, wenn sich eine Frau im Übungsduo besonders wehrhaft zeigt. Den Teilnehmerinnen wird so klar, was bestimmte Handgriffe und Schlagtechniken, wenn man zum Beispiel an den Armen festgehalten wird, nach sich ziehen: der Angreifer lässt sie vor Schmerz los. Zwischen den einzelnen Befreiungsübungen, die vorab präzise erklärt werden, hat Markus Wolf noch weitere Tipps parat: „Unbekannte Angreifer immer siezen“ oder „nach einem Angriff sofort zur Polizei gehen und berichten, was passiert ist“. Vor allem dann, wenn der Angreifer bei der Abwehr sichtlich verletzt worden sei.

An welchen Körperstellen empfindsame Nerven sind, wie man einen Schwinger abwehrt, sich aus dem Würgegriff befreit, mit den Hüften frei schaukelt, um trotz Umklammerung etwas tun zu können oder auch wie die Handknöchel als „Waffe“ dienen können, das sind weitere Themen an einem wichtigen Nachmittag, bei dem sich die Frauen immer agiler und mutiger zeigen.

Infos zum Selbstverteidigungstraining gibt es online unter www.markuswolf-coaching.de.