Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem jüngsten Besuch in Afghanistan Foto: AFP

Eine Säuberungsaktion ist die Reform des Traditionserlasses für die Bundeswehr nicht geworden. Verteidigungsministerin von der Leyen hat ihren ursprünglichen Reformfuror fallen lassen. Vor allem aus zwei Gründen zahlt sich das aus.

Berlin - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat der Bundeswehr einen neuen Traditionserlass verordnet. Jetzt tritt er in Kraft. Die neue Leitlinie zum Umgang mit der deutschen Militärgeschichte und den Ereignissen, die traditionsstiftend für die Bundeswehr sein können oder eben gerade nicht, unterscheidet sich in ihrem geschichtspolitischen Kern kaum von ihrem Vorgänger aus dem Jahr 1982. Neu ist, dass der Erlass die Geschichte der Bundeswehr selbst und ihre ethischen Grundprinzipien in den Vordergrund stellt.

Das war gewiss nicht zu erwarten, als die Verteidigungsministerin Anfang Mai 2017 den elsässischen Standort Illkirch besuchte und mit zorniger Entschlossenheit verkündete, dass die Wehrmacht „in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr“ sein dürfe. Beim Besuch in Illkirch war der Ministerin unmittelbar zuvor ein Aufenthaltsraum mit Waffen und Helmen aus der Nazizeit gezeigt worden. Wenig später wurden alle Truppenstandorte nach Wehrmachtsdevotionalien durchsucht und die Reform des Traditionserlasses angekündigt. Es war die Zeit, als von der Leyen der Bundeswehr generell ein Haltungs- und Führungsproblem bescheinigte.

Unmittelbar zuvor war der Terrorverdacht gegen einen in Illkirch stationierten Bundeswehrsoldaten öffentlich geworden. Mittlerweile ist bekannt, dass Oberleutnant Franco A. diffuse Anschlagspläne hegte, sich eine Zweitidentität als Flüchtling verschafft und als Soldat eine Masterarbeit mit rassistischem und völkischem Gedankengut verfasst hatte. Inzwischen steht A. wegen Terrorverdachts unter Anklage.

Behutsame Modernisierung statt Entnazifizierung

Die Aufregung war damals groß. Von der Leyen fürchtete, dass sich in der Bundeswehr eine rechtsextreme Terrorzelle im Umfeld von Franco A. gebildet haben könnte und dass Vorgesetzte den Umtrieben gegenüber entweder blind gewesen sein oder sogar weggeschaut haben könnten. Beides hat sich laut den ausführlichen internen Ermittlungen, die mittlerweile abgeschlossen sind, nicht bestätigt.

Man muss Ursula von der Leyen zugutehalten, dass sie schnell merkte, dass ihr ein Feldzug in der Rolle einer Jeanne d’Arc der Entnazifizierung nur missglücken könnte. Denn auch der bisherige Traditionserlass von 1982 grenzte die Bundeswehr von Nazizeit und Wehrmacht ab. „In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen“, heißt es dort.

Schon zwei Wochen nach ihrem Furor-Auftritt in Illkirch vollzog von der Leyen die Wende. Es gehe ihr „nicht um einen Bruch mit den bekannten Traditionslinien“, sondern „um eine Modernisierung und bessere Verständlichkeit für unsere Soldaten“, sagte sie.

Der bedeutendste Fortschritt im novellierten Dokument sind klarere Formulierungen zur Abgrenzung von anderen deutschen Streitkräften: von der Reichswehr, die trotz Eid auf die Verfassung der Weimarer Republik „zu großen Teilen einem antirepublikanischen Geist verhaftet“ blieb, von der Wehrmacht, die als „Instrument der rassenideologischen Kriegsführung“ eingeordnet wird, und von der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, die als „Hauptwaffenträger einer sozialistischen Diktatur“ für die Bundeswehr ebenfalls nicht traditionsstiftend ist.

Der Staatsbürger in Uniform steht im Zentrum

„Die Wehrmacht diente dem nationalsozialistischen Unrechtsregime und war in dessen Verbrechen schuldhaft verstrickt, die in ihrem Ausmaß, in ihrem Schrecken und im Grad ihrer staatlichen Organisation einzigartig in der Geschichte sind“, heißt es in dem neuen Erlass. „Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig. Gleiches gilt für ihre Truppenverbände sowie Organisationen, die Militärverwaltung und den Rüstungsbereich.“

Diese Deutung ist nicht neu. Aber die Botschaft kommt klarer zum Ausdruck, schon weil die Wehrmacht im alten Erlass namentlich nicht vorkam. Neu ist außerdem, dass von der Leyen die mehr als sechzigjährige Geschichte der Bundeswehr selbst zum „zentralen Bezugspunkt“ für die Tradition erklärt. Dabei werden die ethischen Kernpunkte im seit der Gründung geltenden militärischen Selbstverständnis in den Vordergrund gestellt: die Innere Führung mit dem Staatsbürger in Uniform und das „treue Dienen in Freiheit, das soldatisches Handeln an das Gewissen bindet und dem Gehorsam Grenzen setzt“.

Damit korrigiert von der Leyen sich vor allem selbst. Denn diese in Abgrenzung zum Zweiten Weltkrieg bei der Gründung der Bundeswehr 1955 entwickelten Grundprinzipien soldatischer Ethik spielten in ihrem Truppenverständnis zuvor eine untergeordnete Rolle. Beide Begriffe kommen in dem Weißbuch zur Bundeswehr von 2016 nicht einmal vor.

Der neue Erlass rehabilitiert den Staatsbürger in Uniform und die Innere Führung

Auf Basis des neuen Erlasses benennt die Ministerin an diesem Mittwoch in Hannover eine Kaserne um. Aus der Emmich-Cambray-Kaserne, deren Namen an den umstrittenen Erster-Weltkrieg-General Otto von Emmich erinnert, wird die Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne. Der Feldjäger Tobias Lagenstein kam im Mai 2011 bei einem Anschlag in Afghanistan ums Leben. Er war als Personenschützer eingesetzt. Der damalige Kommandeur, General Markus Kneipp, überlebte schwer verletzt.