So schwebt man mit der Seilbahn über den Straßen der bolivianischen Millionenstadt La Paz. Foto:  

Wer sich als Pendler täglich über die Staus auf den Fildern ärgert, der würde am liebsten über die Blechlawine wegfliegen. Mit einer Seilbahn könnte dieser Traum Wirklichkeit werden.

Filder - Das Verkehrschaos auf den Fildern hat bewirkt, dass sich Kommunalpolitiker aller Fraktionen im Stuttgarter Rathaus jetzt für Seilbahnen als Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs interessieren – ausgenommen Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS). Auch Leinfelden-Echterdingens Stadtoberhaupt Roland Klenk hegt offenbar Sympathien für das unkonventionelle Verkehrsmittel. „Ich versuche, mich darüber zu informieren. Eine Seilbahn kann eine Hilfe und eine ernsthafte Variante sein, aber nicht die alleinige Lösung“, sagte er auf Nachfrage. Er könne sich vorstellen, beim Flughafen und der Messe ein weiteres großes Parkhaus über die Autobahn zu spannen und dort eine Station einzurichten. „Von dort aus könnte eine Linie Vaihingen und Möhringen bedienen, eine andere das Gewerbegebiet Leinfelden-Unteraichen.“ Die Stationen, meint Klenk, sollten aber gut mit dem Auto erreichbar sein.

Die sogenannte Dritte Welt wird zum Trendsetter

Vielen Bürgern erscheint die Seilbahnidee, die in Stuttgart erstmals von den Grünen ins Spiel gebracht worden ist, absurd. In Deutschland kennt man Seilbahnen nicht als Teil der normalen Verkehrsinfrastruktur, sondern eher als touristische Attraktion bei Gartenschauen wie in Berlin oder in Koblenz. Wer sehen will, wie Schwebeseilbahnen im täglichen öffentlichen Nahverkehr funktionieren, der muss seinen Blick auf Schwellenländer und auf Staaten der Dritten Welt lenken. Karin Merkle, eine Leserin unserer Zeitung, hat eben dies getan. Auf einer Reise jüngst durch die südamerikanischen Staaten Argentinien, Chile, Ecuador, Peru und Bolivien lernte sie die Seilbahn der bolivianischen Hauptstadt La Paz kennen. Die Vaihingerin war begeistert.

„Ich bin alle Linien abgefahren. Es war eine tolle Möglichkeit, sämtliche Winkel der Stadt zu sehen. Auch nachts war ich bis etwa 22 Uhr in den Gondeln unterwegs. Es war es toll, durch die Großstadt zu schweben.“ Bei einer nächtlichen Fahrt erlebte sie von der Gondel aus die beleuchteten Hochhäuser der Straßenschluchten neben sich und einen lauten Karnevalsumzug unter sich. Auch die Fahrt von La Paz, das auf einer Hochebene liegt, in die noch höher gelegene, zweitgrößte Stadt Boliviens, El-Alto, sei ein tolles Erlebnis gewesen.

In der Tat: Karin Merkles Fotos und ihre Filmaufnahmen, die sie mit dem Handy gemacht hat, zeigen, wie die Gondeln durch die Häuserschluchten der Großstadt schweben, die in Karin Merkles Worten „eine ähnliche Lage hat wie Stuttgart“, nur, dass in der rund 760 000 Einwohner zählenden bolivischen Metropole die räumlichen Dimensionen weit größer seien als in der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

Geniale Idee mit noch einigen Fragezeichen

Ende Mai 2014 hat die Österreichische Doppelmayr/Garaventa-Gruppe im bolivianischen Auftrag in der Großstadt La Paz, dem Regierungssitz des Andenstaats, mit dem Seilbahnbau begonnen. Die Gondeln fassen jeweils zehn Personen. Mittlerweile gibt es zehn Linien mit Längen jeweils zwischen 2,4 und 4,9 Kilometern. Der elfte und vorläufig letzte Abschnitt des bisher rund 690 Millionen US-Dollar teuren Projektes soll 2020 fertig sein. Dann wäre das gesamte Streckennetz rund 33 Kilometer lang und damit das längste der Welt.

Dennoch klingen 33 Kilometer nach nicht viel. Man muss aber berücksichtigen, dass Seilbahnen auf ihren Abschnitten auf dem kürzesten Weg, nämlich der Luftlinie verkehren. Lenkte man beispielsweise eine Seilbahn auf dem kürzesten Weg vom Fernsehturm in die Stuttgarter City, betrüge die Strecke gerade einmal knapp 2,5 Kilometer. Eine Seilbahnstrecke vom Fernsehturm zum Marktplatz in Bad Cannstatt wäre knapp 5,8 Kilometer lang. Beide Strecken zusammen wären etwa ein Viertel so lang wie die Gesamtstrecke der Seilbahn in La Paz im Jahre 2020. Mit der Reisegeschwindigkeit von rund 15 Kilometern pro Stunde würde man ohne Halt in rund 20 Minuten vom Fernsehturm nach Bad-Cannstatt schweben. Dieses Beispiel ist zwar unrealistisch, es veranschaulicht aber das Potenzial, das in einer Seilbahn steckt.

Karin Merkle ist jedenfalls von der Seilbahn überzeugt, kennt aber den Widerstand vieler Stuttgarter dagegen: „Ich finde die Idee nach wie vor genial“, sagt sie. Es sollten aber einige Aspekte berücksichtigt werden, die für den Betrieb ausschlaggebend seien. Danach müsse die Seilbahn auch außerhalb der Bürozeiten attraktiv sein, Touristen anziehen und den Anwohnern nützen. Außerdem müsse man sich auf die Betriebszeiten einigen: „Läuft sie bis in den späten Abend, auch am Wochenende?“ Auch die Sicherheit und Schutz vor Vandalismus, betont die Vaihingerin, müsse gewährleistet sein: „Ist die Benutzung sicher, sind die Kabinen mit Videokameras überwacht?“ In La Paz gebe es nur einen Notfallknopf.