Heute ist die Treppe markiert, an der Lisa Mümmler stürzte. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Am Sehbehindertentag werden in Stuttgart die Treppen rund ums Kunstmuseum kontrastreich markiert. Lisa Mümmler begrüßt die Aktion. Die Sehbehinderte ist vor zehn Jahren am Stuttgarter Amtsgericht gestürzt – für sie eine traumatische Erfahrung.

Stuttgart - Dieser Schulausflug hat sich bei Lisa Mümmler tief in ihre Gedächtnis eingeprägt: Vor zehn Jahren ging es mit der Klasse zum Stuttgarter Amtsgericht, Gemeinschaftskunde einmal anschaulich. Schon auf dem Hinweg hatte Lisa Mümmler, die von Geburt an sehbehindert ist, Probleme, mit ihren Mitschülern Schritt zu halten. Beim Hinweg wählten die Klassenkameraden aus dem Heidehofgymnasium eine Rollstuhlrampe, die sich links von einer kleinen Treppe befindet, Richtung Haupteingang – und sie selbst entsprechend auch. Wie immer merkte sich die damals 17-Jährige ihren Weg – beziehungsweise sie merkte sich fatalerweise, dass sie sich um Stufen auf dem Rückweg nicht zu sorgen brauchte.

Nach dem Prozess war sie wieder die letzte der Klasse. Sie versuchte, die anderen einzuholen. Plötzlich waren da die vier Stufen, die doch gar nicht hätten existieren sollen – und Lisa Mümmler stürzte. Im Gegensatz zu heute waren die Stufen damals noch nicht markiert. Laut dem Amtsgericht ist die Markierung vergangenes Jahr vorgenommen worden.

„Das war ein Schock für mich, ich saß nur da und konnte mich gar nicht bewegen“, sagt die heute 27-Jährige. Sie sieht lediglich zweidimensional, weshalb Markierungen für sie besonders wichtig sind. Darüber hinaus sind ihre Augen extrem lichtempfindlich. Auf dem einen hat sie ein Sehvermögen von acht, auf dem anderen von zehn Prozent. An dem Tag am Amtsgericht schien die Sonne, es herrschten also für sie besonders widrige Bedingungen. „Für mich war das eine Treppe aus dem Nichts.“ Was sie auch im Nachhinein noch lange belastet hat: „Niemand hat mir nach dem Sturz aufgeholfen“, erzählt sie. Weder ihre Mitschüler, noch ihr Lehrer. Sie selbst habe sich angestrengt, bloß nicht zu weinen, keine Schwäche zu zeigen. „Messerscharf“ seien die Erinnerungen zum Sturz, danach folgt Leere. „Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin damals.“

1167 Menschen sind 2014 wegen eines Treppen- oder Stufensturzes gestorben

Dennoch hatte Lisa Mümmler Glück im Unglück, da sie körperlich unversehrt blieb. Wie gefährlich Treppenstürze sein können, zeigt ein Blick in die Statistik: 1167 Menschen sind 2014 in Deutschland laut dem statistischen Bundesamt nach einem Treppen- oder Stufensturz gestorben.

Lisa Mümmler erzählt ihre Geschichte anlässlich des Sehbehindertentags an diesem Montag, 6. Juni. Bundesweit werden im Rahmen einer Aktion des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands Treppenkanten markiert. In Stuttgart bringt zum Beispiel das Tiefbauamt Markierungen an den Stufenkanten rund ums Kunstmuseum an beziehungsweise verbessert zu wenig kontrastreiche Markierungen. „Oft sind einzelne Stufen besonders heimtückisch“, sagt Maria Seidler, die Leiterin der Bezirksgruppe Stuttgart des Blinden- und Sehbehindertenverbands. „Man kann einzelne Stufen nicht wahrnehmen, das sieht wie eine einzelne Fläche aus“, erklärt sie. Auch unmarkierte Schleppstufen nennt sie als Stolperfalle. Bei neuen Treppen im öffentlichen Raum gelte die DIN-Norm 18040-3, da sollte jede Stufe markiert sein, erklärt sie. Bei alten Treppen ist das anders. So könne der Denkmalschutz der Markierung entgegen stehen.

Viele Umwege wegen fehlender Markierung

Diese Erfahrung hat auch Lisa Mümmler in Heidelberg gemacht, wo die literaturbegeisterte junge Frau Germanistik und Philosophie studierte. Sie engagierte sich im Handicap-Team der Uni, das ausgerechnet in einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude untergebracht war. Daran seien ihre Versuche gescheitert, eine Markierung der Stufen zu erreichen. Im Deutschen Museum in München bot man ihr wegen des Treppenproblems an, eine Assistenz dürfe kostenlos mit ins Museum, was ihr alleine aber nichts half.

Heute vermisst sie zum Beispiel an Apotheken und in ihrer direkten Wohnumgebung in Gablenberg Markierungen. Um eine Treppe, die die Gottlieb- mit der Aspergstraße verbindet, zu vermeiden, müsse sie zum Beispiel immer einen langen Umweg laufen. „Es ist eine Kleinigkeit, eine Markierung anzubringen, aber eine große Sache für den einzelnen Menschen“, begrüßt sie die Aktion am Sehbehindertentag.